In Stuttgart waren es am 30.1.24 an die 5000 demonstrierende Landwirte und unterstützende Unternehmer, die mit rund 3000 Traktoren, etlichen LKW und Maschinen-Fahrzeugen für die Forderungen der Landwirtschaft demonstrierten. Versammlungsort war der Cannstatter Wasen, ein riesiger Festplatz am Neckar, auf dem sonst die Volksfeste stattfinden. Schon seit dem frühen Morgen wälzten sich die Massen der Landmaschinen dröhnend und ohrenbetäubend hupend (z.T. ganze Fanfaren-Hupen!) durch zahllose Zufahrtsstraßen Stuttgarts zum Kundgebungsplatz.
Geladen hatte das Netzwerk LSV (Land schafft Verbindung), der Bauernverband und die so genannten Freien Bauern.
Gegen 13:00 Uhr füllte die Masse den effektvoll in die Mitte zwischen all die Traktoren gelegten zentralen Kundgebungsplatz. Ein Schwerlastkran hievte einen kompletten Traktor auf einer Plattform in etwa 15 Meter Höhe, geschmückt mit Transparenten und Forderungen.
Dazu kamen auch immer mehr Unterstützerinnen und Unterstützer, darunter freilich auch offen rechts stehende. Immer wieder war Schwarz-Rot-Gold zu sehen.
Diesmal zeigten sich auch etliche politische Organisationen. Arbeit Zukunft verteilte mehrere hundert Flugblätter (bauernprotest). Auch die MLPD war da, sowie rechte Gruppen wie der Bund gegen Anpassung und Büso, die ebenfalls Zeitungen und Flugis unter die Leute brachten. Wie bereits bei den Bauernaktionen gewöhnt, gab es viele, zum Teil sehr kontroverse Diskussionen. Auch versuchten diesmal Ordner, das Verteilen zu verhindern, was aber nicht gelang.
Parteien haben schweren Stand!
Der von den Veranstaltern eingeladene CDU-Fraktionsvorsitzende im Stuttgarter Landtag, Manuel Hagel, wollte sich die Gelegenheit zur Wahlwerbung so wenig entgehen lassen wie Martin Hahn, Abgeordneter der Grünen (wurde erstaunlich freundlich vorgestellt „der Maddin hört uns stets zu, hört ihm bitte auch zu!“ – Es gab trotzdem Buh-Rufe!), sowie Vertreter der SPD und der FDP im Landtag. Aber sie konnten nicht ungebremst reden, immer wieder unterbrach sie lautstarker Protest und wurden Zwischenfragen gerufen. Empörung löste bei vielen aus, dass diese Politiker allesamt keinerlei Antworten auf die Forderungen der Landwirte geben wollten, um den heißen Brei herumredeten, und dass keiner von ihnen bis zum Ende blieb, sondern allesamt möglichst schnell wieder abhauten.
Obwohl das natürlich im Vordergrund stand, blieb es nicht bei der Forderung nach vollständiger(!) Rücknahme der Steuererhöhungen beim Agrar-Diesel und der Kfz-Steuer. Nein, mit besonderer Wut wurden eine offensichtlich immer absurdere Bürokratie gegeißelt. Auch kam es immer wieder zu lautstark bejubelter Kritik an Umweltmaßnahmen, die als nicht zielführend, als absurd oder die Betriebe unmäßig belastend bewertet wurden.
Besondere Wut löste die Verlogenheit aus, gerade der bäuerlichen Landwirtschaft, den Landwirtinnen und Landwirten, die sich selbst für die Umwelt einsetzen, immer gravierendere, ökonomisch nahezu unerfüllbare Umweltstandards auf zu oktroyieren, aber in großem Umfang Lebensmittelimporte zuzulassen, die keinerlei Umweltstandards und keinerlei Kontrolle unterliegen. Das löst aber eben nicht nur Wut, sondern auch Existenzangst aus!
Entsprechend lautstark wurde gefordert:
Eine klare Herkunftskennzeichnung landwirtschaftlicher Importprodukte
sowie die ausschließliche Zulassung von Landwirtschaftsimporten, die zu vergleichbaren (Umwelt-)Standards produziert werden und
die Freihandelsabkommen nicht weiter zu verhandeln geschweige denn zu unterzeichnen.
Immer wieder entsprechende Spruchtafeln an den Traktoren wie z. B. gegen die berüchtigten „Freihandelsabkommen“ der EU: „Heimische Landwirtschaft vernichten – Mercosur solls dann richten!“ oder „Regionale Qualität statt unkontrollierter Import!“
Auch die Außenpolitik geriet in die Schusslinie, wenn es auf Traktoren hieß: „We make food not war! Und was macht d` Ampel??“
Und wieder gab es die Seitenhiebe auf gewerkschaftliche Auseinandersetzungen und Kämpfe, die von Verständnislosigkeit und Abgrenzung geprägt waren. Wieder der Hinweis, dass „der Bauer“ eine 70-Stundenwoche hätte und das auch gerne mache, wenn man ihn nur „schaffen“ ließe, aber keine 35 Stundenwoche etc. Da war es zum wiederholten Male schädlich, dass der DGB oder Einzelgewerkschaften niemanden, keine Rednerin, keinen Redner schickten, um Solidarität auszudrücken und um diesen Ball aufzunehmen, dass Arbeitszeitverkürzung der Sicherung von Jobs, und Lohnerhöhungen der Fähigkeit dienen, überhaupt die Qualitätsprodukte der „regionalen Landwirtschaft“ kaufen zu können oder eben auch nicht. Dass Billiglöhner nur Billiglebensmittel der schlechtester Qualität kaufen können. Und dass genau die Zulassung billigster Waren, auch gerade billiger Importwaren eben keine „Unsinn“ unfähiger Politikaster ist, sondern absichtlich der Lohnsenkung zu Gunsten des Kapitals dient – so, wie das Bauernlegen durch die Berliner Agrarpolitik eben auch der rücksichtslosen Durchsetzung kapitalistischer Profitinteressen der Banken, Handelsmonopole und Bodenspekulanten dient!
Die Ampel muss weg!
Die gesamte Kundgebung mit ihrer Empörung und Wut war durchdrungen von Zukunftsangst und dem Willen, dagegen zu kämpfen. Die Parole „Die Ampel muss weg!“ war unüberhörbar und allgegenwärtig. Vergeblich die Versuche der eher „gemäßigten“ Kundgebungsleitung, hier sich doch etwas zu „mäßigen“.
In der beginnenden Dämmerung gegen 16:00 Uhr ging es für die tausenden Ackerschlepper, ihre Fahrerinnen und Fahrer wieder zurück. Viele hatten stundenlange Heimfahrten vor sich.
Es kocht in der Gesellschaft