Hunderttausende auf der Straße gegen den Rechtsruck
Seit der Aufdeckung des Geheimtreffens von AfD- und CDU-Mitgliedern, Unternehmern und Medienschaffenden, die letztes Jahr nahe Potsdam ihre faschistischen Visionen von „Remigration“ diskutierten, hat es in zahlreichen Städten große Demonstrationen gegen rechts gegeben. Dabei ging und geht es oft nicht nur um dieses Geheimtreffen und die AfD. Für viele Menschen ist der gesamte Rechtsruck in der deutschen Politik alarmierend. Auf den Demonstrationen fanden sich nun also alle möglichen Kräfte, von Gewerkschaften und Antifa bis zu Konservativen und Regierungsparteien zusammen. Die „Demokraten sind aufgestanden“, kommentiere Bundespräsident Steinmeier. Doch die Regierungsparteien, die auf diese Proteste aufsatteln und versuchen, sie in eine systemstützende Richtung zu reiten, können keine Perspektive bieten.
Die „Krise der Demokratie“
Denn die Ursache des Rechtsrucks liegt ja gerade in der derzeitigen Politik, wie viele Demonstranten auch selbst betonen. Positionen, die vor Jahren von der AfD, NPD und anderen faschistischen Parteien und Organisationen vertreten wurden, haben mittlerweile Eingang selbst in die Politik der „Fortschrittskoalition“ aus SPD, Grünen und FDP gefunden. Bundeskanzler Olaf Scholz forderte Abschiebung im großen Stil. Zeitgleich mit dem Beginn der Proteste verabschiedete der Bundestag das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ – ein komplizierter Begriff, der eigentlich nur eins bedeutet: Mehr und schnellere Abschiebungen. Doch auch im sozialen Bereich macht die Ampel eine brutale Politik gegen die Arbeitenden, die seit Jahren immer weiter verarmen, und rüstet stattdessen lieber die Bundeswehr mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden auf. Die AfD ist eine noch rassistischere und unsozialere Partei, die sich zwar gerne als Stimme des kleinen Mannes präsentiert, aber im Bundestag gegen sozialen Wohnungsbau, höhere Freibeträge für Alleinerziehende, den Kinderbonus von 300€, Unterstützung in Pflegesituationen, Geld für Ganztagsbetreuung, Grundrente, Mindestausbildungsvergütung und bessere Kitas und Mutterschutz (nur ein paar Beispiele) stimmt.
All das wissen auch viele Menschen, trotzdem steigen die Umfragewerte und Wahlergebnisse der AfD. Dass diese Partei so erfolgreich ist, liegt vor allem daran, dass sie sich besonders glaubhaft als Alternative, als Wahl all derer darstellt, die unzufrieden damit sind, wie es gerade läuft, und sich eine grundlegende Veränderung wünschen. Der Erfolg der AfD ist damit auch Ausdruck der Krise der parlamentarischen Demokratie, in der sich Parteien verschiedener politischer Ausrichtung darin abwechseln, wer seine Wahlversprechung danach in Regierungsverantwortung brechen darf. Wie rechte Parteien in vielen anderen Ländern nutzt die AfD dieses Vakuum und Enttäuschung aus. Wie in Italien mit der Meloni-Regierung gerade bewiesen wird, unterscheiden sich diese Kräfte in Regierungsverantwortung allenfalls dadurch, noch mehr soziale Kürzungen durchzudrücken und den Rassismus und die Spaltung sowie die Unterdrückung der Arbeitenden noch weiter zu verstärken. Doch auch wenn eine AfD in Regierungsverantwortung unbedingt zu verhindern ist – und darum sind die vielen Demonstranten im ganzen Land auch so begrüßenswert – darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die derzeitige Regierung die „Krise der Demokratie“, wie es gerne genannt wird, nicht lösen kann!
Ein riesiger Aufmarsch der Demokraten?
Darum stößt es auch vielen Menschen auf, wenn bei den Protesten Regierungsvertreter als prominente Sprecher auftreten und sich als Speerspitze im Kampf gegen den Faschismus darstellen. Natürlich versucht die Regierung gerade, die Proteste als Unterstützung für ihre eigene Politik umzudeuten. Sie versuchen (und das bisher ziemlich erfolgreich), einen Gegensatz aufzumachen zwischen den Demokraten, die die Ampelpolitik bejubeln und den Rechten die rote Karte zeigen, und den Extremisten, die unsere Freiheit und Demokratie angreifen, indem sie beispielsweise die AfD wählen.
Diese Erzählung so stehen zu lassen wäre falsch und nützt nur den rechten Kräften. Nach dieser Logik wäre die AfD ja wirklich die einzige Alternative zu einem riesigen, ampelfarbenen Block von Demokraten, die wollen, dass alles bleibt, wie es ist. Doch wir haben schon an verschiedenen Stellen in Deutschland und außerhalb gesehen, dass weder die Etablierung von Parteien rechts der Konservativen noch die Bündnisse von rot-grünen Verteidigern der Demokratie die Krise des parlamentarischen Systems aufhalten und seine Glaubwürdigkeit retten können. Die Krise liegt ja genau darin, dass all diese Parteien, egal welcher Couleur, den Anforderungen des Systems gerecht werden wollen und müssen: Dass sie die Sozialausgaben kürzen „müssen“, wenn mehr Geld für Krieg gebraucht wird. Dass sie die Aufrüstung ankurbeln „müssen“, wenn deutsche Wirtschaftsinteressen militärisch verteidigt werden wollen. Dass sie deutsche Konzerne subventionieren „müssen“, wenn diese im internationalen Wettbewerb nicht mehr mithalten können. Dass sie Migranten abschieben „müssen“, wenn diese für die Wirtschaft nicht brauchbar sind, während sie andere anwerben, um sie in Deutschland billig arbeiten zu lassen.
All diese Notwendigkeiten kommen selbstverständlich bei den Menschen an, die spüren, dass an ihren Bedürfnissen ganz bewusst vorbei regiert wird – dies kann keine AfD, keine CDU und keine Ampel ändern. Darum wäre es falsch, jetzt einfach unkritisch das sinkende Schiff der Demokratie, die keine ist, Seite an Seite mit Regierungsvertretern zu verteidigen und sich zum Steigbügelhalter ihrer Politik zu machen. Die vielen Menschen auf der Straße setzen ein wichtiges Signal, dass sie bereit sind, gegen den Rechtsruck auf die Straßen zu gehen. Die Aufgabe muss es jetzt sein, diesem Kampf auch einen Charakter zu verleihen, der über eine bloße Verteidigung des Status Quo hinausgeht und eine Kritik an der Regierung und ihrer Politik in die Proteste hineinzutragen. Die Erfahrungen der letzten Wochen zeigen, dass viele Menschen bereit sind, GEGEN etwas auf die Straße zu gehen. Das große Interesse, das in verschiedenen Städten an regierungskritischen Schildern, Bannern und Flugblättern vorhanden war zeigt jedoch auch, dass viele noch etwas suchen, FÜR das sie kämpfen können, denn sie wissen, die derzeitige Politik ist es nicht. Das macht es umso wichtiger, dass wir mit Forderungen in die Proteste reingehen, die nicht nur die rechten Kräfte angreifen, sondern auch die sozialen Probleme sowie den Wunsch nach Frieden aufgreifen und die Verbindung zu anderen sozialen Kämpfen betonen.