Mehr als 30000 Demonstrantinnen und Demonstranten, zum größten Teil Landwirte, aber auch Logistikunternehmen mit zahlreichen Beschäftigten, ebenso Fischer und Waldarbeiter, Jäger versammelten sich nach Angaben der Veranstalter am Montag, 15. Januar 2024 in Berlin vor dem Brandenburger Tor.
Alle möglichen Straßen und Plätze Berlins waren zugleich voll gestellt mit riesigen Traktoren, Kranwägen und LKWs. Die Straße das 17. Juni, die von der Siegessäule direkt auf das Tor zuläuft, ist über fast 2 Kilometer Länge mehrreihig mit Traktoren und anderen Protestler-Fahrzeugen zugeparkt. Ohrenbetäubender Lärm von Parolen, Trillerpfeifen, Traktor- und LKW-Hupen erfüllt die neblig nasse Januarluft. Ein Jagdhornbläser-Truppe bläst von einem LKW-Anhänger zum Hallali…
Der Platz direkt vor dem Brandenburger Tor, „Platz des 18 März“, wo auch die Rednertribüne stand, war um 11 Uhr gerappelt voll, bis weit in die angrenzenden Areale das Tiergartens standen die Protestierenden. Es gab kaum ein Durchkommen. Auf den Begrenzungsmauern im Gehölz mit ihren Sitzbänken standen dicht an dicht Menschen, um besser das Geschehen beobachten zu können. Zahllose Banner, Plakate und Fahnen mit genauso vielen Forderungen beherrschten das Bild. Was faktisch alle vereint, ist die Forderung nach dem Sturz, dem Rücktritt, dem Ende der „Ampel-Regierung“, dazu Forderungen nach der Rücknahme der Kürzungsbeschlüsse der Regierung, mit denen die Bundesregierung zwecks Sanierung des Bundeshaushalts unvermittelt die landwirtschaftlichen Betriebe belastet. Ein schlimmer Angriff gerade gegen die kleineren Bauern-Betriebe.
Im Vordergrund, wenn auch nicht allein, die Forderungen,:
Keine Streichung der Steuerbefreiung für landwirtschaftlich genutzte Kraftfahrzeuge!
Hände weg von den Steuererleichterungen für Dieselkraftstoffe!
Hau ab! Hau ab! Lindner will reden!
Auf der Kundgebung, die etwas weiter weg von der Rednertribüne nur noch schwer zu verstehen war, sprach schließlich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der die Maßnahmen der Regierung verteidigen wollte. Sein Redeversuch ging freilich immer wieder in massiven Sprechchören unter: Hau ab, Hau ab! Oder: Lügner! Lügner! Oder auch: Ampel weg! Ohrenbetäubend. Bauernpräsident Ruckwied, Hauptveranstalter der Kundgebung, rief vergeblich zu „Fairnes“ auf. Man solle Lindner doch anhören. Seine Rede kam weiterhin kaum durch.
Der Bundesregierung nützte es auch nichts, dass sie auf die geplante Erhebung der KFZ-Steuer für Bauern-KFZs schon wieder verzichten will und die Energiesteuer erst in Etappen ab 2025 einführen will. Die Stimmung war finster, wütend und unversöhnlich.
Linke Organisiationen auf der Demo?
Wir haben keine gesehen. Natürlich kann man auf der Riesen-Manifetsion nicht alles mitbekommen. Die unter einem linken Tarnmäntelchen auftretende „Freie Linke“, eine rechte Organisation, war sichtbar mit ihrer Flagge da.
Unsere Zeitung Arbeit Zukunft war im Nu verteilt, woraus aber keine falschen Schlüsse gezogen werden dürfen, angesichts im Nu weg, aber sie wurde von vielen klar abgelehnt, z. T sehr deutlich. Es gab feindselige Äußerungen.
Ein Genosse, der auf der Demo seinen IG-Metall-Schal deutlich sichtbar trug, bekam in Diskussionen immer wieder heftige Ablehnung zu spüren. Ein Teilnehmer, nach eigenem Bekunden Bauer, warf ihm vor, IG Metall bedeute „ideologische Verblendung“.
Dass er sich mit der Demo solidarisiere und auf eigene Streik- und Widerstanderfahrung im Betrieb verwies, darauf hinwies, dass die Investitionszwänge und die resultierende Verschuldung für die Bauern den von den Arbeitenden auszubadenden Zwängen in der Industrie ähnelten, beantwortete er wörtlich: „Das ist gar nicht Ihre Meinung, das haben Sie für heute auswendig gelernt. Sie sind ideologisch verblendet. Hauen Sie ab!“
Bauern und Arbeiter/innnen gemeinsam, nicht gegeneinander!
Es war erneut ein großes Problem, dass die Gewerkschaften sich in keiner Weise mit den Bauern solidarisiert haben. Dabei wäre es dringend notwendig, sich mit der Bauernbewegung gegen die Regierung zu verbinden, zu solidarisieren und sich ernsthaft mit ihr zu befassen.
Natürlich wird vorm Brandenburger Tor auch Grundverschiedenes über einen Kamm geschert. Die Angriffe der Ampel sind für Bauern und Landwirtschaft desto gefährlicher und existenzbedrohender, je kleiner die Betriebe sind. Großbetrieben, Banken, Agrar- und Lebensmittelmonopolen schaden sie nicht wirklich. Für die ökologisch ausgerichtete bäuerliche Landwirtschaft gehen sie an die Existenz.
„Wir kämpfen nicht für 35-Stundenwoche, Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich, sondern um unsere Existenz!“ Das stand an einigen Traktoren zu lesen. Auf solche Banner, auf solch ein Denken muss die Arbeiterbewegung, müssen kämpferische Gewerkschafter/innen eingehen! Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen! Denn auch für Arbeitende geht es um die Existenz! Lohn, Lohnausgleich? Vom Lohn geht die Hälfte für Miete, noch mehr für Fahrten, Energie drauf, während viele Bauern im eigenen Haus leben und trotzdem um Betrieb und Existenz bangen. Arbeitszeit kürzen? Es geht um Jobs und Arbeitsplätze, nicht um Luxus! Wenn die Arbeiter/innen und Angestellten in Industrie und sonstigen Betrieben und Institutionen um Geld und Arbeitsplatz kämpfen, kämpfen sie zudem auch für die Gelder, die für regionale, qualitätsvolle Lebensmittel der hiesigen Landwirtschaft ausgegeben werden – oder eben auch nicht, sondern ansonsten für die billigen Lebensmittel, die oft ohne jeden Standard importiert werden, worauf etliche Banner aufmerksam machten; „Gehen hier die Höfe kaputt, wird halt importiert!“ Und da kümmere sich keine „Ampel“ um irgendwelche Öko-Standards.
Hier eine Meldung von X (twitter): Einige Bauern haben verstanden, dass ihre Feinde die großen Monopole sind!
Die bäuerliche Landwirtschaft und die Arbeiter/innen haben im Großkapital und den Bankmonopolen sowie der Regierung, die deren Interessen durchsetzt, den gleichen Feind!
Rechte und Nazis vor Ort!
Bei solchen Unklarheiten ist es nicht verwunderlich, dass unübersehbar Nazis und Rechtsradikale vor Ort waren und rechtes Denken sich breit äußerte. „Volksverräter raus!“, so das Transparent an einem fetten Geländefahrzeug, das gar nicht nach Bauernhof aussah. Etwas kleiner der Sticker“ an derselben Karre offenbart in deutscher Frakturschrift den dahinterstehenden Geist: So sind wir!“ www.hungrige-woelfe.de“
Junge Alternative, AfD-Farben! „Alle Räder stehen still, wenn unser Volk es will!“ Die, die dieses Banner zeigten, vollziehen eine rechte, nationalistische Umdeutung der alten Parole der klassenbewussten Arbeiterinnen und Arbeiter dar. „Freie Bauern Mecklenburg“ trommeln militaristisch Marsch-Rhythmen und marschieren am Ende der Kundgebung in Marschformation davon???
Klassenkämpferische Aktive der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung sollten zweierlei zur Kenntnis nehmen:
Zum ersten: Auch hier findet Klassenkampf statt! Interessenkampf einer anderen Klasse. Das kann die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht kaltlassen!
Und zum Zweiten: Wenn wir den bäuerlichen Aufruhr und Widerstand völlig gleichgültig den Rechten, Nazis und Faschisten überlassen, wird die Ablehnung linker antikapitalistischer Standpunkte und Parteien mit jedem Konflikt und Kampf immer stärker werden. Der Kampf der Bauern muss von linken, revolutionären und kommunistischen Kräften unbedingt ernst genommen werden. Wie können sie, wie können wir sonst Einfluss gewinnen?
Siehe auch unser Stellungnahme: https://www.arbeit-zukunft.de/2024/01/08/bauernproteste-wofuer-kaempfen-die-bauern/