In diesem Jahr standen gleich zwei Tarifrunden bei der Deutschen Bahn und anderen Bahnunternehmen an. Denn das Besondere ist hier, dass die Bahnarbeiter von zwei unterschiedlichen, mit einander konkurrierenden Gewerkschaften vertreten werden. Zum einen von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und zum anderen von der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Die EVG ist dabei mit etwa 185.000 Mitgliedern die deutlich größere Gewerkschaft. Nachdem die EVG bereits im Frühjahr in Verhandlungen mit dem Arbeitergeber trat und im August einem ziemlich miserablen Schlichterspruch zustimmte, liegt nun ein besonderes Augenmerk auf den Tarifverhandlungen der GDL. Denn nach dem schwachen Ergebnis der EVG könnte ein starker GDL-Abschluss gehörigen Druck auf die sozialpartnerschaftliche Führung der EVG ausüben.
Die Tarifrunde der GDL
Nachdem die Verhandlungen zwischen GDL und der Deutschen Bahn Anfang November begonnen hatten, rief die DGL Mitte November zu einem ersten 20-stündigen Warnstreik auf. Damit sollte der Forderung von 555€ mehr im Monat, sowie einer Arbeitszeitverkürzung für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich und einer Inflationsausgleichsprämie von 3.000€ Nachdruck verliehen werden. Das ganze bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Anstatt diesen Forderungen auch nur ansatzweise nahezukommen, schlug die DB in der ersten Verhandlungsrunde lediglich 11 Prozent mehr Lohn für die nächsten 32 Monate vor. Das entspricht ungefähr 4 Prozent pro Jahr. Die Forderung nach einer Arbeitszeitreduzierung wurde direkt als nicht realisierbar abgestempelt, die Bahn zeigt sich diesbezüglich nicht einmal verhandlungsbereit. Aufgrund des Warnstreiks nach der ersten Verhandlungsrunde, sagte die Bahn kurzerhand weitere Gespräche ab. Auf die mangelnde Verhandlungsbereitschaft reagierte die GDL nun noch vor der zweiten Verhandlungsrunde mit einer Urabstimmung über einen unbefristeten Streik. Die Konzernvertreter bezeichneten dieses Vorgehen als „befremdlich und völlig irrational“, die GDL sei auf Konflikt anstatt auf Kooperation aus. Dass die GDL angesichts des lächerlichen Angebots und der mangelnde Gesprächsbereitschaft des Konzerns allerdings nicht dankbar auf die Knie fällt, sondern ihrerseits mit einem Zeichen der Kampfbereitschaft antwortet, ist vollkommen verständlich und richtig!
Zur Seite treten, statt nach oben
Anstatt auf Solidarität trifft das oftmals kämpferische Vorgehen der GDL allerdings oft auf Kritik und Anfeindungen. Und das nicht nur von den Arbeitergebern, ihrer Presse und ihren Lobbyvertretern aus der Politik. Insbesondere der direkte Konflikt der beiden Bahngewerkschaften EVG und GDL hat lange Tradition. Mit einem Kompromiss, welcher zu Lohnkürzungen für Lokführer führte, brachte die EVG-Vorgängerin bereits in den 90ern diese gegen sich auf. Als Affront seitens der GDL galt wiederum die Öffnung der Gewerkschaft für alle Arbeiterinnen und Arbeiter der Bahn. Die Konkurrenz beider Gewerkschaften war endgültig besiegelt, als 2015 das Tarifeinheitsgesetz beschlossen wurde, welches vorsieht, dass pro Betrieb nur der Tarifvertrag einer Gewerkschaft gelten kann. So sind die beiden Gewerkschaften gezwungen, um die verschiedenen Betriebe im Bahnkonzern zu ringen. In lediglich 18 der rund 300 Betriebe im Bahnkonzern wird der GDL-Tarifvertrag angewendet, allerdings wächst die Gewerkschaft stetig.
Ausgetragen wird dieser Konflikt extrem medienwirksam zum Nachteil aller Bahn-Beschäftigten. Die Führungen beider Gewerkschaften lassen kaum eine Gelegenheit während der Tarifrunde der jeweils anderen Gewerkschaft verstreichen, in der sie nicht über die andere Gewerkschaft herziehen. Besonders die EVG-Führung und andere DGB-Vertreter haben großen Gefallen daran gefunden, die Streikaktionen der GDL-organisierten Kollegen – entlang ihrer sozialpartnerschaftlichen „Überzeugungen“ – zu diskreditieren und zu delegitimieren. Ob Alexander Kirchner 2014, Reiner Hoffmann 2021 oder vor wenigen Tagen erst Christiane Benner: Die Erzählung bleibt die Gleiche. Durch ihre Tarifverhandlungen würde die GDL die Belegschaft spalten und ihre Streiks hätten keine Legitimation. „Verantwortungslos“ und „populistisch“ stehen als Diffamierungen für das kämpferischere Auftreten der GDL bei der DGB-Bürokratie ebenfalls hoch im Kurs. Was gäbe es Schöneres für die bürgerliche Presse, als ein Gewerkschafter der den Streik eines anderen Gewerkschafters angreift? Dass die DGB-Führer so entschieden gegen die GDL Stellung beziehen hat unter anderem den Grund, dass sie ihre Sozialpartnerschaftspolitik aufgrund einer ernstzunehmenden, existierenden Konkurrenz nicht so hemmungslos fahren können, wie es ihnen lieb wäre. Denn immer dann, wenn die EVG-Mitglieder aufgrund der klassenversöhnlichen Linie der EVG-Führung mal wieder einen Reallohnverlust erdulden müssen, um damit die Profite des Konzerns abzusichern, besteht die reale Gefahr, dass unzufriedene Kollegen spätestens nach einem erfolgreicheren Abschluss der GDL „die Seite“ wechseln. Diese Situation ist man in der DGB-Bürokratie sonst nicht gewohnt und man möchte sich auch nicht so einfach damit abfinden.
Doch längst beschränkt sich der Konflikt der beiden Gewerkschaften nicht mehr nur auf die Führungen. Bis in die gewerkschaftliche Basis, also in die Betriebe bis direkt an den Arbeitsplatz, ist diese völlig fehlgeleitete Konkurrenz bereits durchgesickert. Von persönlichen Anfeindungen, über gezieltes Mobbing, sowie Tätlichkeiten hat diese Auseinandersetzung schon jede Facette der Spaltung und Hetze gegeneinander hervorgebracht. Und das von beiden Seiten. Ein Zustand der allen Beschäftigten der Bahn schadet.
Gegen die Spaltung
Tatsächlich sind es die Gewerkschaftsbosse mit ihren gegenseitigen Vorwürfen und Machtkämpfen, die für eine Spaltung der Arbeiter sorgen, wie es die Herrschenden kaum besser tun könnten. Als würde die übliche Medienhetze gegen Streikende nicht reichen, müssen Leitmedien sich nur Gewerkschafter einladen, um die negative Stimmung gegen Streiks zu befeuern. Es ist nicht im Interesse der Arbeiter sich mit ihresgleichen aufgrund der Organisierung in unterschiedlichen Gewerkschaften zu streiten und sich gegenseitig zu bekämpfen. Das größte Interesse der Arbeiter ist ihre Einheit im gemeinsamen Kampf für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Wir müssen jede Form der Spaltung unter einander überwinden, wenn wir Erfolge im Klassenkampf erzielen wollen.