Der Krieg in der Ukraine hält bereits 18 Monate an. Er ist mehr oder weniger ins gesellschaftliche Unterbewusstsein gerückt und fast schon eine gegebene Tatsache geworden, mit der wir uns halt allesamt zu arrangieren haben. Immer mal wieder findet in Medien und Politik die eine oder andere zugespitzte Thematisierung statt. Doch so richtig das Gefühl, dass sich der Krieg weiter radikalisiert, an einen Scheidepunkt gelangt, erhält man hierzulande nicht. Doch gäbe es genügend Anhaltspunkte dafür.
Denn weltweit rücken im Zuge des Ukrainekriegs potentielle Blöcke zusammen (wie die G7 oder BRICS), findet eine Neuaufteilung ukrainischen Bodens statt und hält das Morden und Sterben im Krieg unbekümmert an. Sind wir also nun beim großen Finale eines brutalen Krieges angekommen? Oder stolpert das Kriegsgeschehen in eine neue, noch abscheulichere Phase?
Seit Ende des diesjährigen Frühlings hält eine ukrainische Gegenoffensive an, die zur Rückeroberung der von Russland faktisch annektierten Gebiete beitragen soll. Auch wenn hiesige Politiker nicht müde werden zu betonen, dass die Ukraine den Krieg „gewinnen“ kann, hat sich das aktuelle militärische Geschehen in einen Stellungskrieg festgesetzt. In anderen Worten bedeutet das: viel Materialaufwand (menschliches Kanonenfutter) und kaum Geländegewinne (wie einst im Ersten Weltkrieg an der Westfront).
Aus den Forderungen auf ukrainischer Seite werden zunehmend Maximalforderungen. Neben der Rückeroberung der vier russischen Satelliten-Republiken im Osten und Süden, steht die zusätzliche Rückeroberung der Krim auf der Agenda: die 2014 von Russland annektierte Halbinsel ist seit einigen Monaten wieder ins Rampenlicht der Diskussion um den Ukrainekrieg gerückt. Der entscheidende Unterschied zu allen anderen Kriegszielen ist, dass es sich beim Angriff auf die Krim nicht um eine Verteidigung eines vorher im Krieg befindlichen Teils der Ukraine handelt, sondern um (wenn auch völkerrechtswidrig annektiertes) russisches Gebiet. Den Verteidigungskrieg forderte Selenskyj so bereits im Juni in einen Angriffskrieg zu erweitern, der als „einer der brutalsten Schlachten in die Militärgeschichte Europas eingehen“ solle.
Auf die Worte folgten am 22. September erste Taten, als ukrainische Truppen das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol, der größten Stadt der Krim angriffen. Ist das bereits der Anfang der Schlacht um die Krim? Zwei Faktoren sorgen für Zweifel. Doch entspricht die neu ausgelegte ukrainische Strategie gerade auch der personellen Umbesetzung innerhalb der ukrainischen Regierung. Anfang September ließ Verteidigungsminister Resnikow sein Amt nieder. Die Entlassung des 57-Jährigen stellt den Höhepunkt eines Umbaus des Personals der Amts- und Würdenträger der Ukraine dar. Die grassierende Korruption im Staat schien auch an Resnikow nicht spurlos vorbeigegangen zu sein, dessen Ministerium beschuldigt wurde, Ende letzten Jahres Lebensmittelverträge zu überhöhten Preisen abgeschlossen zu haben. Inwiefern die konkreten Anschuldigen korrekt sind, kann von außen kaum beurteilt werden.
Trotz dieser ungeklärten Lage spiegelt die Nachfolge auf dem Stuhl des Verteidigungsministers die aktuellen Situation auf dem Schlachtfeld und der Strategie wider, die neuerdings vollumfänglich von Selenskyj verfolgt wird. Rustem Umerow, der neue Verteidigungsminister vereint in seiner Person gleich mehrere Eigenschaften, die zum bisherigen und zukünftigen Bild ukrainischer (Kriegs-)Politik passen. Nicht nur, dass Umerow seit Herbst letzten Jahres die staatliche Privatisierungsbehörde leitet, welche ein Instrument darstellt, um Boden und Infrastruktur an private Investoren zu verkaufen und damit die Interessen und Ziele internationalen Finanzkapitals bedient. So wurde unter Umerow der Verkauf des Ust-Dunaisk-Seehafens im ersten Quartal diesen Jahres abgewickelt.
Umerow ist seiner Herkunft nach krimtatarisch und hat in den letzten Jahren regelmäßig unter Beweis gestellt, dass für ihn die Krim von besonderem Interesse ist. So war Umerow Co-Vorsitzender, der von Selenskyj 2020 gegründeten Krim-Plattform, die seither als ein parlamentarisches Instrument zur Verhandlung über den Status der Krim fungiert und den internationalen Druck auf Moskau erhöhen soll, die Krim an die Ukraine abzugeben.
Mit Umerow als neuen Verteidigungsminister ist es daher nicht unwahrscheinlich, dass der Ausspruch Selenskyjs von der womöglich „brutalsten Schlacht“ Europas, Realität werden könnte. Auch wenn die NATO-Staaten bis heute keine eindeutige Positionierung einnehmen, was die Rückeroberung der Krim angeht, so billigten diese zumindest die jüngsten ukrainischen Angriffe auf die Halbinsel.
Das große Problem an dieser neuen militärischen Zielsetzung Kiews ist, dass am Ende einer Reihe von endlosen Schlachten, verschossener Munition und riesigen Haufen von toten Soldaten und Zivilisten eine noch zynischere Bilanz zu erkennen sein wird. Denn zwei Faktoren werden dazu führen, dass wir hierzulande in Öffentlichkeit und Medien den zweiten großen Stellungskrieg beobachten werden können.
Die Schlagkraft der Ukraine ist trotz westlicher Hochrüstung (welche sich unter Verteidigungsminister Umerow noch weiter verschärfen könnte) der russischen Seite nicht überlegen und kann nur mit Mühe und Not ein gewisses Gleichgewicht mit gelegentlichen Geländegewinnen und -verlusten aufrechterhalten. Dieser Umstand wird sich im Zuge einer möglichen Großoffensive nicht ändern, sondern manifestieren.
Denn für Moskau wird es unter keinen Umständen (wirklich unter gar keinen Umständen) möglich sein, Truppen von der Krim abzuziehen. Die Annexion der Halbinsel wurde schließlich durch das elementare Interesse Russlands motiviert, den militärischen und geostrategisch zentralen Zugang zum Schwarzen Meer beizubehalten, seit die herrschende politische Klasse der Ukraine eine Annäherung zum Westen präferierte. Der Glaube, Kiew, Selenskyj und Umerow könnten die Krim in einer heroischen finalen Schlacht zurückerobern wird in eine große Katastrophe münden, falls dieser Glaube in seinen praktischen Konsequenzen aufgehen sollte.
Je weiter die Maximalforderungen angehoben werden, desto unwahrscheinlicher wird eine Verhandlungslösung. Nimmt Washington weiterhin die Folgen billigend in Kauf, die aus einer versuchten Rückeroberung der Krim resultierten, und trägt die Bundesregierung den Aufrüstungs- und Motivationskurs weiter mit, wird der Krieg in die nächste blutige Phase schreiten.
Unsere Forderungen:
Russische Truppen, NATO und EU raus aus der Ukraine!
Sofortiger Waffenstillstand und Verhandlungen!
Keine weiteren Waffen an die Ukraine!
Keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine!
Keine Bundeswehr-Truppen ins Ausland und an die Grenzen Russlands!
Nein zum NATO- und EU-Beitritt der Ukraine!