In den deutschen Gewerkschaften, vor allem in der IG Metall beginnt endlich wieder die Diskussion um die Arbeitszeitverkürzung! Das ist ein existenzielle Frage für alle Kolleginnen und Kollegen – egal in welcher Branche, in welcher Industrie, in welchem Dienstleistungsbereich auch immer.
Die IG Metall ist besonders gefordert,
- weil sie in den 80ger Jahren des letzten Jahrhunderts die letzte größere Arbeitszeitverkürzung durchgekämpft hat: in mehreren Stufen von der 40 Stunden-Woche auf die 35 Stunden-Woche (1).
- weil gerade die Vorstände der IG Metall die Weiterentwicklung der Arbeitszeitverkürzung danach – man muss das so sagen – ziemlich konsequent ignorierten, es sei denn – auch das muss gesagt werden! – es ginge um die Aufweichung der 35 Stunden-Woche (Stichwort Pforzheimer Abkommen).
- weil diese Frage gerade von zahllosen klassenkämpferischen Kolleginnen und Kollegen, nicht zuletzt von der Gewerkschaftslinken, von der „Vernetzung Kämpferische Gewerkschaften“ (VKG), in der auch Genoss/innen von Arbeit Zukunft mitarbeiten, immer wieder auf die TO gesetzt wurde. Dass diese Frage jetzt wieder da ist, ist auch ein politischer Erfolg dieser Arbeit.
Besonders erfreulich ist es, dass eine derzeit anwachsende Jugendbewegung, der Internationale Jugendverein (IJV) diese Frage in seiner Zeitschrift Lautschrift 4/23 (2) an prominenter Stelle, ja sogar gleich zweimal in der betreffenden Ausgabe aufgreift. Auch das zeigt, wie sehr die Brisanz dieser Frage gerade bei jungen Arbeitenden erkannt wird. (3)
Soll die Stahl-Branche vorangehen?
Aktuell setzt die IG Metall für die im Herbst 2023 anstehende Stahl-Tarifrunde die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich auf die Tagesordnung. Damit gibt es endlich auch wieder gewerkschaftsoffiziell die neue Debatte über Arbeitszeitverkürzung. Sie wird sicherlich nicht nur die Stahlbranche aufmischen. Auf den ersten Blick überrascht es viele, gerade jetzt eine 4-Tage-Woche zu fordern, wo die Arbeitgeber lauthals über die Krisenzeiten klagen, in denen sich Unternehmen angeblich gerade mal so über Wasser halten können. Hier kann es nur heißen: Sich nicht von dieser Kapitalpropaganda einschüchtern lassen! Umfragen und Studien zeigen übrigens seit Jahren, dass Arbeitszeitverkürzung und Viertagewoche europaweit, nicht nur in Deutschland, bei den Beschäftigten populär sind. Viele erfolgreiche Beispiele zeigen, dass Experimente und Vorhaben in anderen Ländern wie Island, Großbritannien, Spanien, Neuseeland, Ost-Tirol, Irland, Belgien und Japan mit diversen Arbeitszeitmodellen, gut angenommen werden und erfolgreich sind.
All das zeigt, dass die Forderung realisierbar ist. Gut ist auch, dass die IG Metall mit ihrer Medienpräsenz dieses Thema wieder in die öffentliche Wahrnehmung rückt.
Trotz alledem: So kann es nicht gehen!
Weniger Verständnis dürften viele Kolleginnen und Kollegen allerdings dafür haben, dass die Forderung schon jetzt vom IG-Metall-Vorstand heruntergerechnet wird. Denn wie sehen die Kernpunkte aus? Geht es dem IG Metall-Vorstand um einen Wochenarbeitstag weniger, also statt 35 Stunden nur 28?
Nein, die IG Metall fordert derzeit „nur“ die Senkung der Wochenarbeitszeit von 35 auf 32 Stunden, also gerade mal eine Absenkung um 3 Stunden, nicht um 7 Stunden. Natürlich wäre jede Verkürzung ein Schritt in die richtige Richtung, aber das Problem aktuell ist: Eine Viertagewoche bedeutete bei 32 Wochenstunden eine Verlängerung des Arbeitstages von 7 auf 8 Stunden! Das ist überhaupt nicht gut, erst recht nicht für die Stahlbranche. Denn dort arbeiten die Schichtarbeiter unter Bedingungen schwerer bis schwerster Arbeit zwar nur 33,6 Stunden in der Woche. Dafür müssen sie dann übers Jahr 13 Zusatzschichten leisten, um (im Jahresdurchschnitt) auf ihre 35-Stunden-Wochenarbeitszeit zu kommen. Der Sprung zur 32-Stunden-Woche an 4 Tagen ist also nicht sehr groß. Allerdings müssten dann immerhin die 13 Sonderschichten entfallen. Was das bei den Stahlkapitalisten an Geschrei und Widerstand auslöst, können sich alle erfahrenen Kolleg/innen selber klarmachen. Damit ist allerdings die Entlastung im Arbeitsalltag für die Stahlbeschäftigten eher gering. Die reale körperliche und psychische Belastung bleibt aufgrund von Conti-Schicht und schlechten Arbeitsbedingungen sowieso extrem hoch.
Die wenigen Stunden Arbeitszeitverkürzung sind zudem nicht effektiv als Mittel gegen den drohenden Personalabbau – aufgrund des zu erwartenden Rückgangs der Stahlproduktion. Dieser droht, weil in der Stahlproduktion Kohle durch Wasserstoff ersetzt werden soll.
Nicht nur Stahl!
Die folgenden Überlegungen gelten genauso wie für den Stahlbereich auch für alle möglichen anderen Industriebranchen: Um die überall angewachsenen Belastungen wirkungsvoll zu reduzieren und Entlassungen zu verhindern, brauchen die Kolleg/innen deutlichere Schritte von Arbeitszeitverkürzung. Unerlässlich sind voller Lohn- und Personalausgleich.
Die Verlängerung des Arbeitstages von 7 auf 8 Stunden ist kontraproduktiv, da dadurch die heute schon tagtäglich in den Medien beklagten Gesundheitsbelastungen weiter zunehmen werden.
Nach wie vor: 30-Stundenwoche bei vollem Entgelt- und Personalausgleich!
Mit einer 30-Stundenwoche bei einer Viertagewoche – im Durchschnitt also 7,5 Stunden pro Arbeitstag – wäre der Effekt sowohl für Gesundheit, Belastung und Verhinderung von Entlassungen wesentlich größer und deshalb als neuer Standard anzustreben. Ein solcher Schritt kann aber erst dann erfolgreich sein, wenn alle Gewerkschaften für die Arbeitszeitverkürzung kämpfen und nicht nur eine einzelne Branche. Nach wie vor ist die volle Bedeutung der Arbeitszeitverkürzung weder eine Frage der Arbeitszeit von einzelnen Beschäftigten noch von Betrieben oder Branchen. Nein, die 30-Stundenwoche bei vollem Entgelt- und Personalausgleich ist und bleibt eine gesellschaftliche Frage – und so muss sie auch angegangen werden.
Die IG Metall hat einen Stein ins Wasser geworfen, und es ist Zeit, das Thema breit in die Gesellschaft, in alle Branchen und Betriebe zu tragen. Ein breites gesellschaftliches Bündnis für Arbeitszeitverkürzung ist notwendig, wenn der Kampf erfolgreich geführt werden soll.
Probleme nicht übersehen!
Große Probleme bleiben, wo die Gewerkschaften schwach sind
- Es darf nicht übersehen werden, dass in zahllosen Branchen, Betrieben und Institutionen, besonders in Bereichen prekärer Niedriglohnarbeit, länger gearbeitet wird. Hier müssen oft die Kolleginnen und Kollegen für Verbesserungen erst organisiert werden, oft müssen überhaupt erstmal Tarifverträge erkämpft werden.
- Speziell im Bürobereich zahlreicher Angestellten gibt es entweder Vertrauensarbeitszeit oder in großem Umfang Homeoffice. Vertrauensarbeitszeit läuft faktisch oft auf unkontrollierte Arbeitszeiten hinaus, der Entgeltabrechnung liegt aber die jeweils geltende Arbeitszeit zugrunde: Die 35-Stunden-Woche, nicht selten aber auch noch die 40-Stundenwoche. Im Homeoffice arbeiten die Betroffenen ganz oder zum Teil zu Hause, aber auch dort findet eine Kontrolle der Arbeitszeit nicht immer statt, obwohl es dafür technische Lösungen gibt, die bei fitten, organisierten Belegschaften auch funktionieren. Bei Vertrauensarbeitszeit und Homeoffice hängen Arbeitszeitverkürzungen existenziell von der Organisiertheit und ggf. Kampfbereitschaft der Kolleg/innen ab, in vielen Branchen noch ein großes Problem
Es wird ein Zukunftsproblem der Arbeitenden sein, ob und wie stark sie sich organisieren und ihr Bewusstsein entwickeln, dass das Kapital nur die Sprache des Streiks verstehen.
Anlass zu Pessimismus gibt es dort allerdings nicht. Gerade www.arbeit-zukunft.de hat immer wieder berichtet, wie neu organisierte oder durch wieder aufgenommene gewerkschaftliche Arbeit neu motivierte Kolleg/innen sich immer mehr Rechte und Errungenschaft erkämpfen.
Das Kapital geht in die Gegenoffensive
Kaum ist die Arbeitszeitfrage wieder auf der Tagesordnung, macht die Kapitalseite dagegen mobil, mobilisiert die kapitaltreuen Medien . Den ersten Aufschlag machte der Präsident der „Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände“ (BDA), Rainer Dulger Anfang Juni in der Bildzeitung. „Deutschland muss die Ärmel wieder hochkrempeln. Mit niedriger Wochen- und Jahresarbeitszeit, verkürzter Lebensarbeitszeit und zugleich sehr hohen Lohnkosten werden wir Klimawandel, Demografie und Digitalisierung nicht bewältigen“… Ginge es nach ihm, müsste Deutschland sein „verstaubtes Arbeitsrecht flexibilisieren“. (zitiert nach VKG: https://vernetzung.org/kampf-um-arbeitszeitverkuerzung-wieder-aufnehmen/ ) Er will die gesetzliche tägliche Höchstarbeitszeit am liebsten gleich entsorgen.
Zeitgleich meldete sich Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (DIW), zu Wort. Dieser Neoliberalo hält zwei Stunden Mehrarbeit pro Woche für angemessen. Sein Totschlagargument: wieder muss der „Fachkräftemangel“ herhalten. Doch die „Wissenschaft“ hinkt den wirklichen, Kapitalistenführern wie so oft hinterher: Mit zwei Stunden pro Woche gibt sich Gesamtmetall nicht zufrieden. Die Kapitalisten der Stahl-, Metall- und Elektroindustrie wollen vier Stunden Mehrarbeit pro Woche. Dabei geht deren Verbandschef Stefan Wolf wie selbstverständlich nicht von der tariflich vereinbarten 35-Stunden-Woche aus, sondern von der statistisch gemessenen Durchschnittsarbeitszeit der Beschäftigten. Deshalb spricht er von durchschnittlich 38 Stunden pro Woche, die auf 42 erhöht werden. Also eigentlich eine Erhöhung um 7 Stunden.
Der Chef des Mittelstand-Bundesverbandes BVMW, Markus Jerger fordert lautstark: Weder Gewerkschaften noch der Staat dürften die heiligen unternehmerische Freiheiten immer weiter einschränken. Er will die Erhöhung der Wochenarbeitszeit direkt mit den Mitarbeitern vereinbaren. Weder Betriebsräte noch Gewerkschaften tauchen in seiner Welt als Verhandlungspartner auf.
Die klassenkämpferischen Kolleginnen und Kollegen müssen sich dafür einsetzen, dass diese Angriffe auf Arbeitszeit und Arbeitsrecht entschieden zurückgewiesen werden, von den Gewerkschaftsvorständen, akut natürlich vor allem vom IG Metall-Vorstand, aber auch von allen Kolleg/innen an der Basis, in Werkhallen, Büros, in Betriebsräten und den betrieblichen Gewerkschaftsorganen.
Kämpfen in Krisen- und Kriegszeiten.
Diese immer dreisteren, aggressiveren Zumutungen, die aus den Chef-Etagen des Kapitals herausschallen, haben einen aktuellen Hintergrund. Angesichts der immer bedrohlicheren Wirtschafts- und Energiekrise, vor allem aber angesichts des immer gefährlichen Krieges in der Ukraine will das Kapital, wollen die Chefinnen und Chefs des Kapitals vorbauen: Je „flexibler“ ja volatiler sie die Arbeitszeit noch oben treiben können, desto besser für die immer stärker um sich greifende Kriegsproduktion. Je weiter das geht, desto dringlicher das Interesse des Kapitals an möglichst schrankenloser Arbeit(szeit)!
Nicola Leibinger Kammüller, die Chefin des mächtigen High-Tech-Maschinenbaukonzerns Trumpf (Lasertechnologie, Laser-Metallbearbeitung!), hält sich bedeckt, lässt sich aber in der Stuttgarter Zeitung so zitieren: „… Wir haben … festgelegt, dass wir uns nicht an der Waffenproduktion beteiligen. Andererseits ist mir klar. dass wir uns verteidigen können müssen (sic!), und das nicht nur mit schönen Worten…Aber man muss auch wissen: Wer für die Rüstungsindustrie arbeitet, unterliegt vielen Geheimhaltungs- und Exklusivitätsvorschriften. Das würde uns der Freiheit berauben, unsere Laser für … zivile Zwecke einzusetzen. Außerdem sind wir ein deutsches Unternehmen. Wenn es einmal so weit sein sollte, wäre die deutsche Regierung unser erster Ansprechpartner….“ Der Trumpf-Konzern also ist, so der Sinn der gewundenen Ausführungen, sehr wohl dabei, sich auf den möglichen Kriegsfall vorzubereiten. Und mit Sicherheit steht Trumpf nicht allein damit.
Für die arbeitenden Menschen ist das eine miese Botschaft. „Wenn es einmal so weit“ ist, will keine Kapitalistin und kein Kapitalist sich mit Rechten der Werktätigen herumschlagen.
Deshalb heißt es, jetzt handeln und jetzt entschlossen kämpfen, um die eigenen Klasseninteressen zu wahren. Der Kampf um weitere Arbeitszeitverkürzung für die arbeitenden Menschen ist auch ein Kampf um den Frieden. Schluss mit den Kriegsvorbereitungen!
Karl Liebknecht und Rosa-Luxemburg standen im Ersten Weltkrieg dafür ein, sich von Kriegshetze und Militarismus nicht einschüchtern zu lassen. Selbst unter Kriegsbedingungen organisierten sie Massenstreiks bzw. traten mutig dafür ein, denn beide wurden oft eingekerkert, Rosa Luxemburg fast die ganze Zeit des Kriegs, bzw. Karl Liebknecht an die Front geschickt.
Deshalb bleibt es dabei. Kämpfen wir entschlossen für die 30 Stundenwoche, an 4 Arbeitstagen!
***********************************************************
Anmerkungen:
- Hier muss der historischen Gerechtigkeit halber auch auf die für deutsche Verhältnisse ausgesprochen kämpferische, frühere „Drucker-Gewerkschaft“ IG Druck und Papier (Drupa) hingewiesen werden, die diese gewerkschaftspolitische Auseinandersetzung mit einem großen Streik parallel vorantrieb! Drupa besteht nicht mehr, sie ging nach dem historischen Niedergang der Druckindindustrie durch die neuen Medientechnologien in der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di auf.
- „Mehr Zeit zum Leben“, von Kevin Westphal, Lautschrift 4/23, S, 4, und „4-TAGEWOCHE, Die Zukunft der Stahlindsutrie?“ von Jason Henß, der ausdrücklich darauf hinweist, dass diese Frage derzeit in der Stahlbranche vorangetrieben, aber nicht auf diese beschränkt bleiben kann, Lautschrift 4/23, S. 21.
- Natürlich wird diese Frage auch in zahllosen anderen Medien und Organen analysiert, nicht zuletzt in der VKG.