Kaum hatte die EVG das Scheitern der Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn(DB AG) verkündet, kaum hatte sie die Urabstimmung ausgerufen und kaum war für den 4. Juli 2023 ein weiterer 24-stündiger (Warn-)Streik angedroht, hieß am es 19. Juni 23, die Schlichtung könne kommen und ein 24-Stunden-Streik sei erstmal abgesagt.
Irgendwie überrascht das nicht. Aber nach den vielen mutigen Aktionen der Bahnkolleginnen und -kollegen wirft die Zustimmung zur Schlichtung doch viele Fragen auf.
Vor allem gilt normalerweise während einer Schlichtung Friedenspflicht. Keine Streiks also! Der EVG-Vorstand gab denn auch bekannt: „Der Bundesvorstand der EVG hat beschlossen, Gespräche mit der DB AG über eine Schlichtung aufzunehmen.“ Man hätte nach dem Scheitern der Verhandlungen gesagt, man werde sich einer Schlichtung nicht verweigern. Jetzt halte die EVG Wort, so Verhandlungsführer Kristian Loroch. Die EVG denke dabei insbesondere an die Reisenden, denen man in der Urlaubszeit möglichst keine Streiks zumuten wolle. Das würde die Falschen treffen. Komme es zu einer Schlichtung, würde die EVG von Streiks während der Urlaubszeit absehen.
An der Urabstimmung, so die EVG-Führung, werde aber festgehalten. Die Mitglieder der DB AG würden so über das Ergebnis der Schlichtung und damit auch über die Möglichkeit unbefristeter Arbeitskämpfe abstimmen. Überzeuge ein Schlichtungsergebnis nicht, gebe es unbefristete Streiks, so EVG-Tarifvorstand Cosima Ingenschay. Der Bundesvorstand stehe zu seiner Entscheidung, die Urabstimmung durchzuführen.
Scheinradikal!
Das klingt irgendwie radikal, ist es aber in Wirklichkeit nicht. Denn wenn ein Schlichtungsergebnis erst einmal vorliegt, dann verliert nach dieser Lesart die Urabstimmung ihren Charakter als ursprüngliche Abstimmung über Streik. Sie wird im Gegenteil fast schon zu einer automatischen Zustimmung zum Schlichtungsergebnis. Denn bekanntlich sind in DGB-Gewerkschaften, also auch bei der EVG, erst 75% Zustimmung zum Streik ein Streikbeschluss. Hier aber wird die Ablehnung des Schichtungsresultats zum Streikbeschluss erklärt. Weder kann noch will der EVG-Vorstand damit das 75%-Quorum außer Kraft setzen! Folge: Wenn 74 % das Schlichtungsergebnis ablehnen, ist ein Streik gleichwohl doch nicht beschlossen! Und die Schlichtung wohl oder übel akzeptiert. Was so entschlossen klingt, ist in Wirklichkeit ein betrügerisches Junktim, das einen vollen, unbefristeten Streik abwenden soll. Zumindest liegt diese Vermutung nahe.
Was bisher geschah
Die EVG forderte ja ursprünglich für ihre Mitglieder 12%, aber mindestens 650 Euro. Dabei eine Laufzeit von 1 Jahr, da wir es mit einer massiven Inflation zu tun haben, die eine selbst für deutsche Verhältnisse ordentliche Lohnerhöhung schnell wegschmelzen lässt.
Absolut verständlich war deshalb auch der laute Protest der EVG und ihres Vorstands vor 2 Wochen:
„Der Bundesvorstand hat … das Votum der Tarifkommission einstimmig bestätigt: Die Verhandlungen sind gescheitert.
Insbesondere folgende Punkte des aktuellen Verhandlungsstandes sind ungenügend:
Die Laufzeit (27 Monate) ist zu lang. Die angebotene Erhöhung (2 × 200 Euro) ist zu gering und kommt viel zu spät (Dezember 2023). Zugleich hat er beschlossen, dass wir jetzt die Urabstimmung vorbereiten“
Der DB-Vorstand schrie Zeter Mordio wegen dieses Beschlusses, drohte den Kolleg/innen, CDU, FDP und andere stellen schon wieder das Streikrecht der Eisenbahner in Frage, man jammerte um die armen Bahnkunden, die Medien machten alles mit. Die EVG kam bei ihnen kaum zu Wort.
Nur eines kam nicht aus der Führungsetage der Bahn: Der Vorwurf, das derzeitige Ergebnis habe der EVG-Vorstand falsch dargestellt. Das war also wirklich das magere Angebot dieser DB-Vorstandsheuchler, einer an seiner eignen Aufgabe als Vorstand vollständig gescheiterten, unfähigen Truppe, die eigentlich fristlos gefeuert gehört. Das müsste die Bundesregierung bzw. der Aufsichtsrat tun, der aber stützt normalerweise diese Truppe. Der DB-Vorstand, Aufsichtsrat und Regierung billigen den Bahn-Mitarbeiterinnen und -mitarbeitern noch nicht mal einen Inflationsausgleich zu.
Brosamen für die Basis, Entgeltverdoppelung für die Bahnbosse!
Fahrzeugreiniger verdienen derzeit ab 1932 €, Gleisbauer ab 2487 €. Lokführer ab 3031 €. Der oberste Bahnboss, Vorstandvorsitzender Richard Lutz, hat dagegen im vergangenen Jahr mehr als doppelt so viel Geld von seinem Unternehmen erhalten wie ein Jahr zuvor. Laut Geschäftsbericht lag die Vergütung des Vorstandsvorsitzenden bei 2,24 Millionen Euro! Sein Grundgehalt lag bei fast 970.000 Euro. Hinzu kommt ein Bonus von mehr als 1,26 Millionen Euro. Infrastrukturvorstand Berthold Huber (60) landete bei einer Gesamtvergütung von 1,41 Millionen Euro (2021: 662.000 Euro), Personalvorstand Martin Seiler (58) verdiente 1,39 Millionen Euro (2021: 659.000 Euro). Gehälter mehr als verdoppelt! Eine Unverschämtheit!
Das sind die Typen, die durch unverschämte Minusgebote an ihre Mitarbeiter/innen immer neue Streiks provozieren, durch eine unterirdische Performance dabei sind, die Bahn, die heute dringlicher benötigt wird denn je, in Grund und Boden zu fahren: Nur noch gut 60% der Züge kommen pünktlich, massenhaft Zugausfälle, veraltetes bzw. technisch unzuverlässiges Material, Vollsperrungen von Hauptstrecken in Hauptreisezeiten, trotz höchstem gesellschaftlichem und Umwelt-Bedarf, den Güterverkehr auf die Schienen zu bringen, weiterer Rückgang bei DB-Cargo, Vollversagen bei Baustellen und Scheitern vieler Umsteigeverbindung, Aufgabe der Nachtverbindungen, (die jetzt erfolgreich von der ÖBB (Östereich) und anderen ausländischen Gesellschaften bundesweit betrieben werden – es gibt nicht den geringsten Anlass für irgendwelche Boni dieser Vorstände. Eher für den Rauswurf! Immerhin blockieren derzeit Teile des Aufsichtsrats deshalb die Auszahlung der Boni an die Vorständler, allerdings ohne sie grundsätzlich in Frage zu stellen…
Aber auch so: Diese Herrschaften kassieren ab, während die Kolleginnen und Kollegen, die trotz alledem die Bahn unter zum Teil übelsten Bedingungen am Laufen halten, mit Krümeln abgespeist werden sollen.
Natürlich werden wir die Schlichtung und ihr Ergebnis abwarten müssen, aber wer sich den miserablen Ausgang der Mindestlohnverhandlungen 26. Juni 2023 vor Augen führt (vgl.: https://www.arbeit-zukunft.de/2023/06/26/kapital-drueckt-voellig-unzureichende-erhoehung-des-mindestlohns-durch/ ), weiß, dass bei Schlichtungen keinerlei Vertrauen angebracht ist. Stimmen wir in der Urabstimmung mit JA für Streik und gegen das Schlichtungsergebnis, wenn dies – mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit – einen faulen Kompromiss bringt! Voller Streik ist die einzige Sprache, die diese Kapitalisten verstehen.