Vom 05. bis zum 08. Februar fand in Willigen (Hessen) die 24. Jugendkonferenz der IG Metall Jugend statt. Diese bundesweite Versammlung beschließt alle vier Jahre die allgemeine gesellschaftspolitische, aber auch die innerorganisatorische und betriebspolitische Ausrichtung des Jugendverbandes neu. Zu diesem Zweck werden aus den deutschlandweiten Geschäftsstellen der IG Metall jugendliche Delegierte aus den ehrenamtlichen Ortsjugendausschüssen gewählt. Die Delegiertenverteilung richtet sich dabei nach dem Anteil der IG-Metall-Mitglieder pro Geschäftsstelle. In diesem Jahr nahmen 234 ordentliche Delegierte an der Jugendkonferenz teil; hinzu kamen einige Dutzend Gastdelegierte und das gewerkschaftliche Hauptamt.
Als Tagungsort diente das Hotel „Sauerland Stern“ in dem berühmten Skigebiet Willingen nahe Kassel. Wenn sonst von „Gewerkschaftsaristokratie“ gesprochen wird, so ist der Begriff für die meisten Leute sehr abstrakt. Jedoch gibt uns alleine der Veranstaltungsort eine gute Grundlage zur praktischen Unterfütterung dieses Begriffes. Das Vier-Sterne-Hotel „Sauerland Stern“ bietet neben einem über 40m² großen Zimmer mit Bad, einem Doppelbett und zwei Schlafcouchen – welches wahlweise alleine oder zu zweit bezogen werden konnte – auch noch Fitnessbereich, Sauna und Schwimmbad, bei einem durchschnittlichen Übernachtungspreis von 164€ pro Nacht. Für den bescheidenen Gewerkschaftsaktiven sind außerdem noch Tennisplätze, Luftgewehrschießstand, Kegel- und Bowlingbahn, Thermal- und Freibad, Lagunen-Erlebnisbad mit Riesenrutsche, Kino, Eissporthalle, Disco, Spielsalon und ein Hubschrauberlandeplatz angegliedert.
In Vorbereitung auf die Konferenz war es den verschiedenen ehrenamtlichen Gremien (so zum Beispiel Orts- und Bezirksjugendausschüssen) möglich Anträge zu allen möglichen Themen zu verfassen. So gab es zum Beispiel Anträge, welche die Verstaatlichung der Energieinfrastruktur oder eine höhere Präsenz der Gewerkschaften an den Berufsschulen forderten. Diese mussten bis Ende Oktober digital eingereicht werden und wurde daraufhin von der zu diesem Zweck gebildeten „Antragsberatungskommision“ (kurz „ABK“) überarbeitet. Auch wenn diese Überarbeitung rein technisch erfolgen sollte, so gestand die ABK noch vor der Antragsdebatte ein, dass sie auch politische Korrekturen vorgenommen hatte und zwar mit der Absicht einen „für alle akzeptablen Kompromiss“ zu ermöglichen. Die Tragweite der vorgenommen Änderungen reichte also von der Ergänzung einzelner Worte bis hin zur Streichung des wesentlichen Antragsbegehrens und sogar zur völligen Umdeutung und Umbenennung ganzer Anträge. Der Initiativantrag eines ehrenamtlichen Gremiums, welcher das Korrekturverhalten der ABK kritisierte, wurde noch vor der Konferenz von die zuständigen Hauptamtlichen zurückgepfiffen. Auch wenn die Änderungen der ABK nur als Vorschläge in die Antragsdebatte eingebracht wurden, so haben sie dennoch eine hohe Wirkung, da die Konferenz zuerst über die Änderungsvorschläge und erst danach über die Urfassung abstimmt. Wer also seinen Antrag in Urfassung beschließen lassen wollte, der musste die 234 Stimmberechtigten erst von der Unbrauchbarkeit der ABK-Änderungen und danach von der Richtigkeit seiner Urfassung überzeugen. Doch damit die Debatten nicht zu einfach und unbürokratisch verlaufen, hat die ABK ein weiteres Werkzeug, dass die Abstimmung über die Urfassungen der Anträge erschwert und damit die Wirkmächtigkeit der ABK-Änderungen erhöht. Und zwar gibt es die Möglichkeit mehrere Anträge zum gleichen Themengebiet in einem „Antragsblock“ zusammenzufassen. Was erstmal sinnvoll klingt, hat jedoch starke Auswirkungen auf die Abstimmungen. Denn die erste Abstimmung, die zu diesem Block stattfindet, entscheidet über die Annahme des gesamten Blocks mitsamt aller von der ABK vorgeschlagenen Änderungen. Wer jetzt also über seinen eigenen Antrag in Urfassung abstimmen möchte, der muss die Konferenz nun also zuerst von der Ablehnung des Blocks, danach von der Ablehnung der vorgeschlagenen Änderungen und von der Annahme der Urfassung überzeugen. In einem Antragsblock haben sich dabei bis zu fünf Anträge befunden, die vor der Blockabstimmung auch in einer gemeinsamen Debatte diskutiert wurden. Wer das Verfahren bis hierhin unübersichtlich und kompliziert findet, hat bereits einen guten Eindruck von der Konferenz gewonnen. Und über die Fälle in denen die ABK die Ablehnung von Anträgen empfiehlt, soll gar nicht erst gesprochen werden.
Die Antragsdebatte sollte am Nachmittag des zweiten Tages beginnen. Zuvor gab es eine Begrüßung durch das Hauptamt, zwei Diskussionsrunden, in denen sich die Delegierten in Kleingruppe über innerorganisatorische und gesellschaftspolitische Themen austauschen konnten und eine Rede zur Lage der Jugend von Christiane Benner (zweite Vorsitzende der IG Metall). Des Weiteren durften sich die Jugendlichen über eine Podiumsdiskussion mit ihrem scheidenden ersten Vorsitzenden Jörg Hofmann freuen, der es prompt verstand, sich nachhaltig in das Gedächtnis der Delegierten einzubrennen. Als die Jugendvertreter in der Diskussion auf die Kampfbereitschaft ihrer Kollegen verwiesen und den Willen zu streiken betonten, antwortete Hofmann in sozialdemokratischer Parteimanier: „Die Streikkasse ist dafür da, dass sie da ist.“ Diese Logik bildet die Grundlage von Reallohnverlust für mehrere Millionen Arbeiter in Deutschland. Denn hier wird offenbart: der Streik ist für die sozialdemokratische Gewerkschaftsführung der IG Metall kein reell nutzbares Kampfmittel in Tarifauseinandersetzungen, sondern ein Schreckgespenst im Wandschrank, auf das man höchstens zur Vertröstung der Arbeiter aufmerksam macht und vor dem sich die Gewerkschaftsführung selbst noch am meisten fürchtet. Denn die Bosse – mindestens der M+E-Industrie – haben den Mummenschanz längst durchschaut und ruhen sich auf dem sozialpartnerschaftlichen Dogma ihrer sozialdemokratischen Bundesgenossen aus und drücken Jahr um Jahr den Lohn noch weiter.
In der folgenden Antragsdebatte beriet die Konferenz über insgesamt 191 Anträge. Während einige Themen keiner wirklichen Diskussion bedurften und höchstens kurz von den Antragsstellern vorgestellt wurden, ehe die Konferenz diese einstimmig beschloss, entbrannten um andere Themen hitzige und zum Teil ausufernde Debatte. Das war zum Beispiel bei den Themen wie Verstaatlichung, Mindestausbildungsvergütung, Frieden und Abrüstung, EU und politischer Streik der Fall. Über das Abstimmverhalten zu den einzelnen Anträgen wurde in Vorbereitung der Konferenz bereits auf Bezirksebene beraten. Dort fanden im Rahmen von „Delegiertenvorbesprechungen“ erste Diskussionen zu dem Thema statt, in dessen Folge man versuchte sich auf ein gemeinsames Abstimmverhalten zu einigen. Klafften die Meinungen innerhalb der Bezirksdelegation zu weit auseinander, so unterblieb diese Einigung. Die meisten Bezirke betonten aber auch, dass jeder Delegierte in erster Linie seinem Gewissen verpflichtet ist und ließen Abweichungen von der bezirklichen Einigung zu. Doch leider war das nicht überall der Fall. So gibt es Berichte aus Bezirksdelegationen, in denen während kurzer Unterbrechungen der Konferenz regelrechte Standpauken über die Abweichung von der Bezirksmeinung abgehalten wurden oder wo ehemalige Delegierte ganz klar über einen bestehenden „Gruppen-„ bzw. „Fraktionszwang“ berichteten.
Diese Tatsache erschwerte die Antragsdebatte zu kontroversen Themen erheblich. Denn aufgrund des strengen Fraktionszwanges in einzelnen Delegationen, ließen sich etwa 40% der Delegierten nicht mehr durch die Diskussion auf der Konferenz überzeugen. So kam es innerhalb der Debatten recht früh zu einer politischen Lagerbildung. Auf der einen Seite standen die Bezirke Küste, Mitte und Bayern, die das vergleichsweise fortschrittliche Lager darstellten. Die gemeinsame Linie bildeten im Wesentlichen ein verhältnismäßig proletarischer Antikapitalismus, eine recht fortschrittliche Friedensposition und ein kritischer Standpunkt gegenüber der EU. Das zweite, eher sozialdemokratische Lager bildeten die Bezirke Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Hier zeichnete sich ein klar spürbarer Einfluss der Gewerkschaftsbürokratie ab. Aufgrund der überwältigenden Größe der baden-württembergischen Delegation hatten beide Lager eine beinahe identische Größe, sodass die Diskussionen zu Schlachten zwischen den Lagern um die verbleibenden zwei Bezirke ausarteten. Das Wort „Diskussion“ ist in diesem Zusammenhang allerdings recht weit hergeholt. Wie bereits dargestellt, ließ sich ein bedeutender Teil der Konferenz praktisch nicht mehr überzeugen. Im Gegenteil brachten es ganze Delegationen fertig, die vorherigen Beiträge völlig zu ignorieren und anschließend völlig unbeeindruckt von den bereits vorangegangenen Argumenten ihre Gegendarstellung zu präsentieren. Ein Beispiel war die Diskussion um die Passage, in der behauptet werden sollte, dass „die Ukraine als demokratischer Staat Teil eines vereinten und starken Europas“ ist. Auf die Argumente, dass die Ukraine kein demokratischer Staat ist, weil seit 2014 faschistische Kräfte eine wichtige Rolle innerhalb des Staates spielen, weil mit Ausbruch des Krieges 11 Partei und die Gewerkschaften verboten worden sind, weil es innerhalb der Regierung große Probleme mit Korruption gibt und dass die EU selber die Rechtsstaatlichkeit der Ukraine in Zweifel zieht, entgegnete der Gegenredner völlig stoisch: „Die Ukraine ist ein demokratischer Staat.“ Damit war die lückenlose Beweisführung für dieses Thema abgeschlossen. Ein weiterer trauriger Höhepunkt war die „Debatte“ rund um einen Antrag, welcher öffentliche Kritik an den Äußerungen von Yasmin Fahimi, der Vorsitzenden des DGBs, forderte. In einem Interview mit der Zeit im Dezember hatte diese kritisiert, dass Unternehmen, welche staatliche Krisenhilfen über 50 Millionen Euro erhalten, keine Boni und Dividenden ausschütten dürfen. Des Weiteren mahnte sie: „[…] jetzt ist nicht die Zeit für kapitalismuskritische Grundsatzdebatten […]. Das BaWü-NRW-Lager argumentierte für die Ablehnung des Antrages und ließ es sich in einem letzten Redebeitrag nicht nehmen, die ganze bisherige Diskussion als „antifeministisch“ zu diffamieren, aus dem einzigen Grund, dass hier eine Frau kritisiert werden sollte. Letztendlich scheiterte der Antrag an zwei Stimmen.
Alles in allem gelang es nur recht selten und dann auch nur durch große Kraftanstrengung fortschrittliche Akzente zu setzen. Zu den Erfolgen der Konferenz zählen unter anderem ein klares Bekenntnis zur Leglaisierung und Etablierung von politischen Streiks, die Forderung der Streichung des Abtreibungsparagraphen 218 und die Kritik an der Sozialpartnerschaft. Dennoch war der sozialdemokratische Einfluss auf die Gewerkschaftsjugend an vielen Stellen präsent. Die Jugendkonferenz förderte ganz offen den Widerspruch zwischen Gewerkschaftsbürokratie und der gewerkschaftlichen Basis zutage. Die Aufgabe revolutionärer Kräfte ist es dabei, diese auftretenden Widersprüche für den Kampf gegen den Rechtsopportunismus innerhalb der Arbeiterbewegung zu nutzen.