Das Jahr 2021 endete mit der Bekanntgabe eines großen Zwischenfalls im südchinesischen Atomkraftwerk Taishan, der zu dessen vollständiger Abschaltung führte. Dieses Kraftwerk, das von EDF und Framatome nach demselben Modell wie das in Flamanville in Partnerschaft mit der China General Nuclear Power Corporation gebaut wurde, ist auch das erste, das weltweit in Betrieb ist. Dies ist kein gutes Zeichen für die Inbetriebnahme der folgenden Anlagen, da EDF gerade über eine weitere Verzögerung von sechs Monaten bei der Inbetriebnahme des EPR („schneller Brüter“) in Flamanville und eine weitere Budgetüberschreitung von 500 Millionen Euro informiert hat! (1)
Ebenfalls im November 2021 prangerte ein hochrangiger Mitarbeiter des Kraftwerks Tricastin (Drôme) an, dass die Agentur für nukleare Sicherheit (ASN) bei einer alle zehn Jahre statfindenden Inspektion des Kraftwerks einen Zwischenfall verschwiegen hatte. Das Jahr endete auch mit der Ankündigung, dass mehrere Kraftwerke, darunter die beiden leistungsstärksten, Chooz in den Ardennen und Civaux in der Vienne, aufgrund von Problemen mit Schweißnähten abgeschaltet werden sollten. Im Laufe des Jahres folgen Korrosionsprobleme an den Primärkreisläufen, dann die Abschaltung mehrerer Kraftwerke aufgrund von Wartungsarbeiten; weitere Kraftwerke werden aufgrund der Dürre und der niedrigen Wasserstände der Flüsse abgeschaltet. Im Sommer 2022 waren 32 der 56 Reaktoren des französischen Atomparks abgeschaltet! Das Jahr 2022 begann jedoch mit Macrons Besuch im Alstom-Werk in Belfort. Am 10. Februar kündigte er seinen großen Plan zur Wiederbelebung der Kernenergie an: Verlängerung der Laufzeit der Kraftwerke auf über 50 Jahre, Bau von 6 EPR bis 2040 und von 2 weiteren bis 2050 sowie Bau mehrerer SMR (small modular reactor). All dies dank einer massiven öffentlichen Finanzierung in Höhe von mehreren zig-Milliarden Euro.
Jedoch sollte der Ende Februar begonnene Krieg in der Ukraine zeigen, dass zivile Kernreaktoren zu militärischen Zielen werden können, wie die Drohungen gegen das größte Kraftwerk Europas, Saporoschja, gezeigt haben. Zwar konnten sich die Atomlobby und die französische Regierung über die Entscheidung des EU-Parlaments vom Juli freuen, Atomstrom als saubere Energie einzustufen, doch der Anfang November im Ministerrat vorgelegte Gesetzentwurf, der den Bau der neuen EPR durch eine Vereinfachung der Verwaltungsverfahren beschleunigen sollte, wurde vom Staatsrat zurückgewiesen.
Die öffentliche Debatte über die Frage des Baus neuer EPR, die am 27. Oktober begann und am 27. Februar enden soll, ist ein großes Täuschungsmanöver, da bereits alles entschieden wurde. Die Erfahrung des Bürgerkonvents zum Klimaschutz, bei dem von 149 Vorschlägen nur 10 % von der Regierung übernommen wurden, war für diejenigen, die daran geglaubt und mitgemacht haben, eine bittere Erfahrung. Diese öffentliche Debatte über die Atomkraft, die ohnehin nur einen beratenden Charakter hat, ist bereits verzerrt: Sie postuliert den Bau neuer Reaktoren an bestehenden Standorten wie Chooz.
Die gesamte Geschichte der Atomkraft in Frankreich ist eine Geschichte der Demokratieverweigerung, der Undurchsichtigkeit, der Staatslügen, der Medienvergiftung, des technologischen Kokettierens und des lyrischen Schwärmens über die nationale Unabhängigkeit! Aber kann es anders sein, wenn die jeweiligen Regierungen nie die Interessen der Arbeiter, der Volksmassen und der Völker vertreten haben, sondern die Interessen der Monopole, die Interessen der Kernkraftindustrie.
Die Energiefrage, die insbesondere seit dem Krieg in der Ukraine und seinen Folgen für die Öl- und Gasversorgung wieder verstärkt in die öffentliche Debatte eingetreten ist, bot den Befürwortern der Kernenergie die Gelegenheit, wieder auf den Plan zu treten, indem sie die Frage „unserer energetischen Unabhängigkeit“ in den Vordergrund stellten und dabei ganz nebenbei die Herkunft des Erzes vergaßen, das vollständig importiert wird.
Wir machen uns keine Illusionen über die Abstimmung, die im Parlament über die künftigen Energie- und Klimagesetze für 2023 stattfinden wird. Aber es könnte durchaus sein, dass es auf den Baustellen der neuen EPR, die beschlossen werden, zu Verzögerungen oder sogar zu mehr kommen wird… In Chooz hatte sich 1979 beim Bau des zweiten Reaktors ein Teil der Bevölkerung, insbesondere die Jugend, auf beiden Seiten der Grenze (Frankreich/Belgien) dagegen gewehrt. Heute, auch wenn sich die LR-Politiker der Region für ihre Standorte bewerben, kann das Wissen um die Gefahr, die von dieser Technologie aus der Vergangenheit ausgeht, eine viel stärkere Bewegung hervorrufen. Daran müssen wir arbeiten. Mit dem „Réseau Sortir du nucléaire“ sagen wir: „Neue Reaktoren: weder hier noch anderswo“!
Anmerkung 1: Im Jahr 2007 sollte der Bau fünf Jahre dauern und 3,3 Milliarden Euro kosten. Er wird schlussendlich 17 Jahre dauern und die Kosten werden nun auf 19,1 Milliarden Euro geschätzt.
(Übersetzung aus La Forge 01/2023 – Zeitung der PCOF)