Korrespondenz von Annegret Braun, Stuttgart
Als ehemalige Kinderkrankenschwester und Lehrerin für Krankenpflege, die in den 70iger und Anfang der 80iger Jahren eine Art „Hochblüte“ der Krankenpflege erlebte, zu Zeiten als wir aus 300 Bewerberinnen für die Krankenpflegeschule nur 28 auswählen konnten, als es noch kein DRGs und Fallpauschalen gab, steht mir in besonderer Weise eine Beurteilungskompetenz in dieser Problematik der Pflegekrise zu.
Ich denke, dass es in erster Linie nicht die Tarifbedingungen waren, die die Pflegekräfte aus dem Beruf getrieben haben und für die Misere nun verantwortlich gemacht werden.
Nicht, dass ich hier falsch verstanden werde, eine ordentliche Gehälterfinanzierung ist unabdingbar.
Doch was m. E. in größerem Ausmaß zur Pflegekrise geführt hat, sind die Arbeitsbedingungen unter dem Gesetz der Wirtschaftlichkeit.
Eine Pflege, die unter diesem Diktat der Fallpauschalen- Finanzierung steht, die sich nur danach ausrichten soll, dass der/die Patient /in sobald wie möglich, am besten noch davor, entlassen werden soll, auch unter Inkaufnahme, dass er/sie ein paar Tage später wieder aufgenommen werden muss,
Eine Pflege, die bevor sie pflegt erstmal den Patienten einstufen muss,eine Pflege, die unter dem Gesichtspunkt der Zeitersparnis Qualitätseinbussen hinnehmen soll, eine Pflege, bei der der höchste Wert der Pflege, nämlich die Pflegebeziehung auf einen Minimum-Standard reduziert wurde und wird, wo der Einsatz von sogenannten Casemanager/innen, der sich angeblich arbeitsentlastend auswirken soll, dabei aber einen wesentlichen Teil der Pflegezielsetzungen raubt,
eine Pflege, in der die Dokumentation, auf Grund eines juristischen Absicherungsdiktats, die Pflege mehr bestimmt als Pflegehandlungen, das ist kein am eigentlichen Beruf der Krankenpfleger/in sich orientierender Beruf mehr.
Frustration und Enttäuschung, Genervt-sein und ein schlechtes Gewissen begleiten die Arbeit.
Ein Beispiel soll hier genannt werden, das ich in den letzten Wochen gleich zweimal erlebt habe:
Aus Zeitersparnis wurde ein Blasenkatheter gelegt, weil der Toilettengang mit der Patientin zu zeitaufwendig gerechnet wurde.
Wenn ein Patient, wie in der Nachbarschaft erlebt, wegen ein und derselben Erkrankung innerhalb von 6 Wochen 5 mal stationär aufgenommen wurde, schlägt einem die Fallpauschalen-Abrechnung ins Gesicht.
Ich halte es, sowie geschehen, für ein pflegerisches und medizinisches Verbrechen, wenn eine Mutter nach einer Kaiserschnittentbindung von Zwillingen am 3.Tag nach OP. schon entlassen wird.
Das sind Gründe, warum Menschen, die den Pflegeberufe mit anderen Vorstellungen und Idealen gewählt und begonnen haben, ihm nun entfliehen bzw. bereits entflohen sind.
In der Pandemie-Zeit im Mai 2020 stand die Problematik und ein Mit-Verschulden der DRG- und Fallpauschalen – Folgen politisch in der Diskussion, ebenso wie die Folgen der Schließungen der kleineren Krankenhäuser. Diese Schließungen sind ebenfalls so ein politisch verschuldeter Einbruch in der Krankenpflege.
Der Vorzug einer größeren Identifikation mit dem eigenen Krankenhaus, der Arbeit und dem Arbeitgeber und damit auch ein befriedigender Gewinn des Berufserlebens ist erwiesen, und wurde hier nicht berücksichtigt.
Viele der Krankenpfleger /innen sind nach den Schließungen der Kleinkliniken nicht in die Großkliniken gewechselt, sondern haben aus diesen und den oben beschriebenen Gründen in andere Arbeitsplätze gewechselt.
Warum ist die 2020 kurz aufgebrochene Diskussion über die Abschaffung der Fallpauschalen-Abrechnung und den weiteren Schließungen von Kliniken so schnell wieder verstummt?
Weil es sich wirtschaftlich nicht rechnet!
Früher war es klar, dass der Gewinn eines Krankenhauses der wieder-genesene, gesunde Mensch ist. Das Krankenhaus war für die Patienten da und nicht umgekehrt die Patienten für das Krankenhaus.
„Patientenzentrierte Pflege“ war in den 70iger Jahren die große und gute Errungenschaft und der Aufbruch in ein neue Pflege.
Was ist davon geblieben? Nichts bzw. nicht mehr viel.
Sie wurde dem Mammon, dem Klinik- Management , einer sich aufblähenden Verwaltung geopfert.
Die Städte, Kommunen, das Land kamen damals für die jährlich entstehenden Defizite der Krankenhäuser auf, für die Lücken, welche die ausgehandelten Pflegesätze nicht mehr hergaben.
Via Steuerzahler /innen war diese Finanzierung gewährleistet. Und warum geht das heute nicht mehr so? Ich bin überzeugt, dass der diesbezüglich richtig aufgeklärte Steuerzahler /in dieser Investition in Krankenhaus und Krankenpflege heute zustimmen würde.
Als ein im jährlichen Haushaltsetat fester Finanz-Posten käme und kommt diese Investition ihm/ihr selbst doch am meisten zu Gute.
Ein Krankenhaus ist und darf kein Wirtschaftsbetrieb sein, sonst geht ihm sein wesentlichster Auftrag verloren.
Genau deshalb sind wir in diese Pflegekrise geraten.
Es dürfte nicht allzu schwer sein, diese Entwicklung wieder zurück zu entwickeln. Denn die Umsetzung kann auf die Gegebenheiten von vor 2003 zurückgreifen.
Es ist eine Frage des Erkennens und des politischen Wollens.
(kleine Anmerkung von mir: Mit den Herren Lauterbach, Lindner und Spahn ist das wohl schwer oder gar nicht umsetzbar).
Leider wurde dieses Thema im Wahlkampf so nicht aufgenommen.
Doch vielleicht gibt es andere Wege und Möglichkeiten, diese Erkenntnis und das Wissen darum öffentlich und politisch zu machen, damit sich etwas im Grundsätzlichen ändern kann.
Annegret Braun Oktober 2021
Stuttgart