Bericht: Metallertreff Stuttgart.
Seit Jahren verlaufen IG Metall Protest-Veranstaltungen ähnlich: Laut, bunt, aber Phrasen ohne Inhalt und Forderungen so unkonkret wie möglich. Am Dienstag, 19. Oktober 2021, bei den Protesten hunderter Kolleg/innen gegen den im Mahle-Konzern geplanten Job-Kahlschlag war manches anders! Selbst Presse und Medien berichteten ausführlich!
Auch wenn die Aktionen unter der Flagge der „IG Metall“ liefen – die Initiative kam von den Vertrauensleuten und dem Betriebsrat von Mahle-Behr. Die Bevollmächtigten der Stuttgarter IG Metall schickten eine Gewerkschaftssekretärin, sie selbst hatten anscheinennd „wichtigeres“ zu tun. Aber es kamen viele Mahle-Beschäftigte aus Cannstatt, Fellbach, Markgröningen und vor allem aus Mühlacker. Der Gesamtbetriebsratschef hatte das freilich nicht organisiert, der hatte Urlaub genommen.
Dafür kamen Solidaritäts-Delegationen von Daimler Untertürkheim und Sindelfingen, von Porsche und Bosch, von den Maschinenbau-Firmen KBA und Coperion.
Auch sie waren nicht einer Aufforderung der IGM-Zentrale gefolgt, sondern hatten einen Aufruf der BR-Vorsitzenden Lilly Culjak, Mahle Behr Feuerbach, auf der letzten Delegierten-Versammlung durch Mobilisierung ihrer Kollegen und aktive Präsenz unterstützt. Es kamen auch Kolleg/innen aus Betrieben, vor denen die Vertrauensleute von Mahle-Behr Flyer verteilt hatten, genauso wie vor den lokalen Einkaufs- und Verkehrsknoten.
Also war schon der Rahmen anders als das übliche Ritual. Man hatte als Metallerin oder Metaller mal wieder das Gefühl, die Gewerkschaft lebt!
Mehr Bewegung – mehr Inhalt!
Die Rede von Lilly zeigte auf, was diesen Betriebsrat und diese Belegschaft treibt: Der Gesamt-Betriebsrat hatte im Frühjahr den vom Konzern geforderten Stellenkürzungen zugestimmt. Die „freiwilligen“ Ausscheidungsvereinbarungen aber hatten diesen Abbau nicht zuwege gebracht. Jetzt droht die Geschäftsführung deswegen mit 98 Entlassungen oder alternativ „Arbeitnehmer-Beiträgen“, also Lohnverzicht in Höhe von 39 Millionen pro Jahr. In Wirklichkeit ist in vielen Abteilungen jede Menge Arbeit vorhanden.
Für Mühlacker stellte die Betriebsratsvorsitzende Nektaria Christidou ihre Motivation dar: Dort soll statt dem Abbau von rund zunächst 200 Arbeitsplätzen perspektivisch die Belegschaft von derzeit rund 1300 Leuten halbiert werden. Alles Wohlverhalten des Betriebsrates, der im letzten Jahr nicht nur Arbeit rund um die Uhr, sondern auch befristete Neueinstellungen genehmigt hatte, hat nichts genützt. Die gesamte zukünftige Produktion wird der Belegschaft praktisch unterm Hintern weggezogen. Das trieb auch die IG Metallbevollmächtigte aus Pforzheim auf die Rednertribüne.
Neben den kämpferischen Solidaritätserklärungen fielen zwei Reden aus dem Rahmen:
Mehmet Sahin! Zehn Jahre lang war er faktisch der „Outlaw“ des Feuerbacher Betriebsrats. Denn er hatte zusammen mit seinen Kolleg/innen für den Erhalt des Werk 8 noch gekämpft hatte, als die IG Metall dies schon längst aufgegeben hatte, über 2 Instanzen seine Wiedereinstellung gerichtlich durchgesetzt und 2014 mit einer zweiten Liste über 40% bei der Betriebsratswahl erzielt. Jetzt konnte er genau auf diesen langen und nervenaufreibenden Kampf verweisen! Plötzlich ist nun alles wieder aktuell! Seine Botschaft: Wichtig ist nicht nur der Kampf bis zum Ende, sondern auch eine harte, aber solidarische Diskussion innerhalb der Strukturen der IG Metall. Nur sie kann die Basis sein, um auch nach Niederlagen zurück zum gemeinsamen solidarischen Kampf zu finden, der heute wieder so notwendig ist. Auch sprach Mehmet über die Notwendigkeit der 30 Stunden Woche bei vollem Entgelt- und Personalausgleich für die gesamte Metall-Industrie! Und er forderte die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien, wie es in der Satzung der IGM steht.
Anschließend sprach Bernd Riexinger, Bundestagsabgeordnete der LINKEN. Aber das stand heute nicht im Vordergrund, denn in Stuttgart ist er noch wohl bekannt als Verdi-Geschäftsführer, der unzählige Streiks in Branchen organisiert hatte, die zuvor nicht als streikfähig galten. So sprach er darüber, wie gewerkschaftliche Kämpfe aussehen müssen: Demokratische und offene Einbeziehung der Basis, Solidarität zwischen den Belegschaften organisieren und aufzeigen, wie wichtig aktive Belegschaften bei Streiks sind, davon, dass Streiks beweisen, wie entscheidend diese sind – im Unterschied zu den Kapital-Manager/innen, deren Fehlen die Produktion nicht beeinträchtigt. Eine Rede, wie sie Rednerinnen oder Redner der IG Metall halten müssten.
Die Stimmung war sehr kämpferisch. Das trieb auch den Betriebsratsvorsitzenden von Mahle Markgröningen dazu, an den Protest der Mahle-Belegschaften 2005 zu erinnern, als rund 5000 aufgebrachte Kolleginnen und Kollegen vor der Konzern-Zentrale standen. Wie viele andere Redner/innen betonte er, dass dies erst der Anfang sein dürfe!
Wie weiter?
Die Frage stand also im Raum, wie es weitergehen soll? Wie es nicht funktionieren wird, zeigte Teil zwei der Veranstaltung. Nach einer kurzen Demonstration rund ums Werksgelände in Feuerbach, fuhren Busse aus Mühlacker und ein Teil der Demonstrant/innen nach Stuttgart-Bad Cannstatt, vor die Konzernzentrale. Einige Kolleg/innen aus der Zentrale schlossen sich dem Protest an, aber weit weniger als in Feuerbach zurückgeblieben waren.
Auch der Charakter der Veranstaltung wandelte sich durch eine Regie-Umstellung: Die Geschäftsführung war eingeladen zu reden: Es kamen die Arbeitsdirektorin und die Leiterin des Geschäftsbereichs Kühler und Klima (BU3). Das Thema Mühlacker dominierte alles. Die Geschäftsführer/innen wurden angefleht, doch was Nettes zu sagen, zu erkennen, dass es um Menschen gehe, um Menschen mit Familien, die doch auch eine Zukunft bräuchten. Was die Betriebsräte bräuchten, wäre von der Geschäftsleitung ernst genommen zu werden und in Gespräche eingebunden zu werden. Vom klaren NEIN! gegen den Angriff auf die Existenz des Werkes Mühlacker wurde fast nur noch am Rande geredet. Eine mit klarem Kampfeswillen untermauerte Forderung „transformierte“ sich (um das vielfach missbrauchte Modewort zu benutzen) zu einer entschiedenen Bitte. Die Fortsetzung des Kampfes wurde darauf reduziert, wieder kommen zu wollen (und die Bittstellung zu erneuern), wenn es bei den Gesprächen nicht vorwärts ginge. Natürlich antworteten die Geschäftsführerinnen sehr geschmeidig. Und natürlich gaben sie nicht eine einzige Zusage! Also: Viel geredet und nichts gesagt.
Eine andere Antwort ist nötig
Die Betriebsgruppe Mahle-Solidarität hatte danach zum Treffen eingeladen. Eine gute Diskussion entstand über die Erfolge der Aktion und ihre Grenzen. Was ist nötig:
Das Solidaritätsnetz von unten muss aufgebaut werden. Dazu gehört die Kritik am Verhalten der Geschäftsführung und des Vorstandes der IG Metall. So waren zum Beispiel die Kolleg/innen von Coperion richtig sauer, als sie die Flyer für die Kundgebung erhielten: Ihnen waren gerade die ERA-Eingruppierungen mit Unterschrift der IG Metall gekürzt worden.
Auch wenn die Unternehmen gerade vor allem nach Osteuropa verlagern, gegen die Parole von der „Sicherung des Standortes Deutschland“ müssten wir die Perspektive des gemeinsamen internationalen Widerstandes setzen: Bei Mahle zum Beispiel werden auch über 5000 Arbeitsplätze in anderen Ländern vernichtet.
Insgesamt belegt der Aktionstag, dass der Kampf der MAHLE-Solidarität und des Metallertreffs Stuttgart richtig ist. Wir machen weiter!