Seit Monaten müssen wir nun zuhause bleiben, haben keine Schule, Berufsschule oder Uni und können unser Leben nicht einmal annähernd so führen wie vor der Pandemie. Genervt davon sind wir alle. Aber bei vielen Jugendlichen machen sich mittlerweile auch andere Probleme bemerkbar. Studien legen nahe, dass die Pandemie und die damit verbundenen Infektionsschutzmaßnahmen besonders auf Kinder und Jugendliche schwere psychische Auswirkungen haben können.
Bereits bei einer COPSY-Studie aus Mai/Juni 2020, der Zeit des letzten Lockdowns, gaben etwa 71% der Kinder und Jugendliche von 11 bis 17 Jahren an, psychisch belastet zu sein. Fast ein Jahr später sind es 85%, zu den Beschwerden zählen depressive Verstimmungen und Angst. Der Online-Unterricht fällt den meisten schwerer als noch im Frühjahr. Auch die psychosomatischen Beschwerden stiegen an, zum Beispiel Niedergeschlagenheit oder Kopfschmerzen. Auch die körperliche Fitness dürfte abgenommen haben, denn im Vergleich zu den vier Prozent vor der Pandemie und den 20 Prozent im Frühjahr geben jetzt 40% der Befragten an, an keinem Tag der Woche Sport zu machen. (COPSY-Studie, zweite Befragung)
Dass das Zuhause bleiben, die fehlende Gesellschaft und die Angst vor der Pandemie psychische Folgen mit sich bringt ist klar. Jedoch sind auch die Zukunftsängste, die viele Jugendliche in dieser Zeit verspüren, leider häufig begründet, denn für viele Familien stellen Pandemie und Wirtschaftskrise ein erhebliches Risiko dar.
Psyche als Klassenfrage
In diesen Familien sind die Kinder auch besonders belastet. Finanzielle Not, enge Wohnungen und unsichere Zukunft verschärfen die Symptome psychischer Belastung. Das Fünftel der Kinder und Jugendlichen, die es auch schon vor der Pandemie erheblich schwerer hatten, leidet jetzt zum Beispiel dreimal so häufig an depressiven Verstimmungen. Während besser gestellte Familien sich in der Krise weniger Sorgen machen müssen, mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen und ihnen bei der Schularbeit helfen können bleiben andere auf der Strecke. In Familien mit Migrationshintergrund ist auch das Homeschooling häufig schwieriger, weil die Eltern auf Grund von Sprachbarrieren nicht so viel Unterstützung leisten können. Und insgesamt gilt: je kleiner die Wohnung desto höher häufiger das Stresslevel. Wie die Pandemie die Psyche beeinflusst hängt also nicht unerheblich mit dem Klassenhintergrund zusammen.
Und was tun?
Die Infektionsschutzmaßnahmen zu kritisieren stellt einen häufig in eine Ecke mit Corona-Leugnern und Verschwörungstheoretikern. Auch die sprechen gerne von dem Leid der Kinder und nutzen diese als emotionale Begründung ihrer kruden Theorien. Gleichzeitig können wir die Effekte der Pandemie auf Kinder und Jugendliche nicht einfach ignorieren und müssen sehen, dass viele Jugendliche zurzeit wichtige Lebensabschnitte unter schweren Bedingungen durchmachen. Dies ist jedoch nicht unausweichlich, sondern zu großen Teilen eine Folge der Corona-Politik der Bundesregierung. Diese hat seit Anfang der Pandemie wenig Wert darauf gelegt, die Lebensbedingungen der Bevölkerung in dieser Zeit aufrecht zu erhalten. Seit der ersten Welle im letzten Frühjahr hätte man einiges tun können, um sich auf den Winter vorzubereiten: mehr Lehrpersonal, um allen Schülern eine gute Bildung (auch online) zu ermöglichen. Kostenlose Nachhilfe und große Räume zum Lernen in allen Stadtteilen für alle, die zuhause keinen eigenen Raum haben. Technische Ausstattung für alle. Luftfilter in den Schulen und weitere Maßnahmen, um Präsenzunterricht sicherer zu machen. Mehr Räume für Jugendliche, um sich auch unter Einhaltung der Sicherheitsabstände noch treffen zu können und zumindest ein bisschen Alltag beizubehalten. Mehr Möglichkeiten, draußen zum Beispiel Sport zu treiben. Die Bereitstellung von mehr pädagogischem Personal vor Ort, um Kindern und Jugendlichen zur Seite zu stehen. Konzepte für sichere Freizeitgestaltung. All diese Dinge wären möglich gewesen, wären sie denn gewollt gewesen. Die Bundesregierung war nur zu beschäftigt, steuerfinanzierte Hilfspakete für die Konzerne in Milliardenhöhe zu verschenken, um sich Gedanken um die Jugendlichen zu machen. Dass dieses System psychisch krank macht und viele heute ständig unter Burn-Outs oder Stress leiden ist offensichtlich. Dass aber in so einer Ausnahmesituation, in der die Jugendlichen so maßgeblich getroffen sind, nur über Schulöffnung oder nicht diskutiert wird und Maßnahmen zur Ausfinanzierung des sozialen Bereiches nicht einmal im Gespräch sind, zeigt auf, wie wenig sich wirklich um das Wohlergehen der Menschen geschert wird. In vielen Städten haben sich während Corona Nachbarschaften zusammengefunden, um Solidarität zu zeigen und Hilfe anzubieten. Dies jedoch meistens auf Eigeninitiative, der Staat hatte damit wenig zu tun. Und auch die Sozialarbeiter, Lehrer und Erzieher, die den Jugendlichen zur Seite stehen möchten, werden zur Zeit im Stich gelassen und allein mit den immer größer werdenden Problemen konfrontiert.
Die Psyche wird häufig individuell betrachtet und die Verbindung zu gesellschaftlichen Entwicklungen und Problemen wird geleugnet. Die Corona-Pandemie liefert ein gutes Beispiel dafür, wie eng die psychische Gesundheit mit der Außenwelt zusammenhängt. Gleichzeitig zeigt sie aber auch auf, dass diese Probleme nicht unvermeidbar sind. Wenn die Bedürfnisse der Menschen an erster Stelle stehen würden wäre genug Geld da, um diese Zeit der notwendigen Einschränkungen so angenehm wie möglich zu gestalten. Wir sehen jedoch, dass weiterhin die Profite von Unternehmen an erster Stelle stehen und dass wir in Zukunft höchstens mit Kürzungen im sozialen Bereich rechnen können, um diese Löcher in der Staatskasse zu decken. Solange unser System an Profiten und nicht an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist werden auch unsere psychischen Probleme weiter verschärft werden – wenn wir nicht klarmachen, dass wir auf ein lebenswertes Leben bestehen, egal wie viel das kostet.