Stuttgart 18. Februar 2021
Fast den ganzen Tag, von 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr!!, lief vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart in der Augustenstraße der Prozess von Alassa Mfouapon gegen das Land Baden-Württemberg. 7 Stunden dauerte die Verhandlung!
Alassa Mfouapon, der bekannte Flüchtling aus Kamerun, längst ein wichtiger Sprecher geflüchteter Menschen in Deutschland, klagt gegen das Land wegen der brutalen Polizieeinsätze am 3. Mai 2018 in der Landes-Erstaufnahmestelle (LEA) Ellwangen und anlässlich seiner Abschiebung am internationalen Tag des Flüchtlings, am 20. 6. 2018, nach Italien. Ein Urteil der Kammer, bzw. der Urteilstenor wird erst am Nachfolgetag, am Freitag, 19. Februar 2021, veröffentlicht, die genaue Begründung noch später.
Beeindruckende Solidarität!
Bis zu 100 Solidaritäts-Demonstrant/innen begrüßten morgens ab 8:45 Uhr Alassa und seinen Anwalt Frank Jasenski (Essen)! Corona-Regeln wurden beachtet. Mehrere Redner/innen sprachen, darunter Sprecher des Freundeskreises Flüchtlingssolidarität und Lisa Gärtner von der MLPD. Auch Janka Kluge, Sprecherin des VVN/BDA Stuttgart, rief zur Solidarität auf.
Im Anschluss an die Auftaktkundgebung lief eine Demonstration durch das umliegende Stadtgebiet, zum Marienplatz und zurück.
Eingeschränkte und behindete Öffentlichkeit!
Es gab ernsthafte Probleme für die „Öffentlichkeit“, in den Verhandlungssaal zu kommen. Massenhaft Justizbeamte kontrollierten den Eingang zum Gericht und den Weg hinein zur Verhandlung. Die Kundgebung setzte durch, dass zehn Prozess-Besucher und Beobachter in den Gerichtssaal durften – mit lauten Sprechchören: „Lasst uns rein!“. Insgesamt gab es nur 20 Plätze, Einlasskontrollen vorm Gerichtssaal! Wenn man dann hineindurfte, musste man alles abgeben, was man dabei hatte, kein Schreibstift, kein Papier, außer man konnte einen Presseausweis vorlegen.
Grundsätzliche Bedeutung!
Der Tag war sehr wichtig und von grundsätzlicher Bedeutung. Zurecht betonte Gabi Gärtner (MLPD) vorm Gerichtsgebäude die Bedeutung der Tatsache, dass hier ein Geflüchteter als Kläger gegen den Staatsappartat, nicht als Angeklagter stehe! Bemerkenswert: Alassa führte die Verhandlung sehr selbstbewusst und durchgehend auf Deutsch! Der SWR war den ganzen Tag vor Ort.
Nachmittags 17:00 Uhr sind immer noch ca. 40 Leute da, die Alassa und Frank Jasenski mit starkem Beifall begrüßen. Beide betonten in ersten Stellungnahmen, wie intensiv und sorgfältig sie die oft hanebüchenen „Argumente“ der Landesvertreter auseinandernehmen mussten und werteten das allein als Erfolg. Ein weiterer Erfolg sei, dass das Gericht bereits zugesichert habe, dass Revision zugelassen werde, so dass man ggf. weiterkämpfen könne. Damit anerkennt das Gericht die grundsätzliche Bedeutung des Falles. Im Übrigen könne und müsse man die Entscheidung des Gerichts abwarten.
Fragwürdig war, dass Issaya, ein betroffener Flüchtling, der den Polizieeinsätz in der LEA miterlebte, aber nicht so viel zur „Behandlung“ Alassas aussagen kann, weil er damals in einem anderen Gebäude untergebracht war, kaum zu Wort kam, beim Gericht nur kurz Gehör fand. Trotzdem ließ aufhorchen, als er berichtete, wie er Betroffene gefesselt auf dem Boden der Korridore vorfand, darunter auch der Kläger, einige Betroffene sogar nackt!
Polizei und Grundrechte?
Einige inhaltlichen Andeutungen sollen die grundsätzliche Bedeutung unterstreichen. U.a. wurde darüber verhandelt, dass die Polizei nicht willkürlich, ohne richterlichen Beschluss in die Wohnungen der Geflüchteten eindringen dürfe. Die bestritt gar nicht, dass sie das getan hätte, argumentiert aber irrwitzig, warum sie das dürfte: Die Zimmer wären eher so etwas wie Arrestzellen. Sie dürften nicht abgeschlossen werden (trotzdem musste die Polizei während des Angriffs am 3, Mai Türen einschlagen!), Security dürfe rein, Mitbewohenr/innen könne man sich nicht aussuchen, jederzeit müsse man auf Zuruf das Zimmer wechseln, Privatsphäre gibts nicht usw usf.. Das seien folglich gar keine richtigen Wohnungen, da brauche die Polizei sich auch nicht um das Grundrecht „Unverletzlichkeit der Wohnung“ zu kümmern. Klasse! Also: Wir zwingen die Geflüchteten, darunter Kinder und Familien in eine menschenunwürdige Behausung, dann braucht man dieses lästige Grundrecht auch nicht weiter zu beachten. Zynisch!
Auch die Verhältnismäßigkeit der exzessiven Gewalt wurde intensiv diskutiert. Die Polizei behauptete, sie hätte Hinweise auf „weitere geplante Straftaten der Migranten“ gehabt. Die LEA sei ein gefährlicher Ort, deswegen hätte man so gewaltsam vorgehen müssen. Als einziges Beispiel konnte sie auf Befragung vor Gericht dann vorbringen, Flüchtlinge in der LEA hätten eine Demonstration vorbereitet, also nichts anderes, als ihre Grundrechte wahrzunehmen, sehr gefährlich.
Wir werden nach Veröffentlichung der Gerichtsentscheidung weiter berichten.