Urteil im Lübcke-Prozess


Karikatur: Guido Kühn, https://www.guidos-welt.de/ Wir danken für die Genehmigung zur Veröffentlichung

Lübcke-Mörder Stephan Ernst zu lebenslanger Haft verurteilt. Der mitangeklagte Neonazi Markus Hartmann ist frei.

Alles andere als eine lebenslange Freiheitsstrafe gegen Ernst wäre eine Überraschung gewesen. Das Gericht stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest, damit nach der Haft eine Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann. Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel hat Ernst jedoch eine Hintertür weit aufgestoßen: Wenn Ernst die Haft nutze und an einem Aussteigerprogramm teilnehme, könne er die Sicherungsverwahrung vermeiden. Das Geständnis des Angeklagten und seine Kooperationsbereitschaft wirke strafmildernd.

Welches der Geständnisse Ernsts der Vorsitzende da meint, bleibt dabei offen. Die haben sich im Verlauf der öffentlichen Verhandlung jedenfalls mehrmals geändert.

Zugegeben hat Ernst letztlich nur das, was ihm ohnehin bewiesen werden konnte. Die Rolle, die sein Kumpane Hartmann bei der Mordtat spielte, hat Ernst nicht beleuchtet. Das relativiert seine Kooperationsbereitschaft. Daher wurde Hartmann nur zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt, die er mit der Untersuchungshaft bereits abgesessen hat. Das kommt einem Freispruch gleich.

Damit liegt dieses Urteil letztlich auf der Linie der hessischen Politik, die gegen Rechtsextremismus nicht mal das Nötigste zu tun bereit ist.

Rechter Terror in Hessen

Denn durch Hessen verläuft eine Spur des rechten Terrors: 2006 wurde Halit Yozgat in seinem Kasseler Internet-Café vom NSU praktisch unter Aufsicht eines Mitarbeiters des hessischen Verfassungsschutzes ermordet. Der damals für das Tun dieser Behörde verantwortliche Innenminister heißt Volker Bouffier, heute hessischer Ministerpräsident. Alle Akten zu diesem Vorfall sind mittlerweile unter Verschluss.

Letztes Jahr wurden in Hanau vom Rechtsterroristen Tobias Rathjen neun Menschen ermordet: Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtovi, Said Nessar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu und Vili-Viorel Păun. Ein weiteres Opfer war Rathjens Mutter. Geholfen hat das Land Hessen mit drei Waffenscheinen und dem offensichtlichen Unwillen, Personen mit legalem Zugang zu Waffen zu überprüfen. Rathjens Vater übrigens, dessen Rolle bei der Tat niemand aufklären will, schmäht die Ermordeten und beleidigt die Hinterbliebenen bis heute.

Anfang Januar wurde in Frankfurt der Serienbrandstifter Joachim S. zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt, der seit 2018 mehrere linke Treffs und Wohnprojekte angegriffen hatte. Bereits zu Beginn der Anschlagsserie wurde er von Besuchern eines linken Kulturzentrums auf frischer Tat ertappt und der Polizei übergeben. Diese jedoch erkannte keinen dringenden Tatverdacht und ließ S. laufen, nahm ihn aber nach Kritik der Öffentlichkeit unter Observation, während der er 15 weitere Brandanschläge verübte. Eine politische Motivation mochte das Gericht in seiner Urteilsbegründung nicht feststellen.

Auch ist in Hessens Polizei seit 2018 ein unter dem Namen NSU 2.0 agierendes Terrornetzwerk aktiv. Bedroht wurden unter anderem die Opferanwältin der NSU-Opfer, Seda Başay-Yıldız, die Fraktionsvorsitzende der Linken im hessischen Landtag, Janine Wissler (mittlerweile Bundesvorsitzende der Partei der Linken), die Kabarettistin Idil Baydar, die Frankfurter Kommunalpolitikerin Jutta Ditfurth (ÖkoLinx), aber auch Mustafa Kaplan, der in Frankfurt den Terroristen Ernst verteidigt hat.

Da gegen alle Verdächtige neben staatsanwaltlichen Ermittlungen auch Disziplinarverfahren eröffnet worden sind, ist vorerst sichergestellt, dass keine Informationen über den Verlauf dieser Ermittlungen an die Öffentlichkeit kommen. Doch der Kreis der Verdächtigen ist zusammengeschrumpft, nicht nur weil sich einer der verdächtigten Polizeibeamten mittlerweile selbst getötet hat.

Nach über zwei Jahren Ermittlungstätigkeit ist keine Anklage erhoben worden, es werden aber bis heute immer wieder neue Drohmails und Drohfaxe verschickt. Einzige politische Konsequenz ist bislang der erzwungene Rücktritt des Landespolizeipräsidenten Udo Münch – als Bauernopfer für den wegen seiner Untätigkeit heftig in die Kritik geratenen Innenminister Peter Beuth.

Für bundesweite Empörung sorgte im September 2019 die Wahl eines NPD-Mannes Stefan Jagsch in Altenstadt-Waldsiedlung im braunen Gürtel um Frankfurt zum Ortsvorsteher durch eine große Koalition aus CDU, SPD, FDP und NPD. Dieser Stefan Jagsch fand bereits drei Jahre zuvor in der Presse ungewollte Aufmerksamkeit, als er nach einem schweren Unfall aus dem Wrack seines Wagens gerettet wurde – von zwei syrischen Flüchtlingen.

Die Politikwissenschaftlerin Alexandra Kurth sagte im vergangenen Februar gegenüber der Frankfurter Rundschau, dass Hessen „kein Brennpunkt, kein Schwerpunkt“ für rechte Straftaten sei, die rechtsextreme Szene aber sei „verwurzelt und verankert“. Verfestigen können sich Strukturen aber nur dann, wenn mit Störungen nicht zu rechnen ist, wenn „es nicht möglich ist, präventiv dafür Sorge zu tragen, dass solche Taten verhindert werden“. (Frankfurter Rundschau vom 22.02.2020). Dafür trägt die hessische Politik die Verantwortung.

Es mangelt an politischen Willen

Wenn jedoch die Ermordung eines hohen Staatsbeamten keine politischen Konsequenzen hat, werden Morde an Migranten und Morddrohungen gegen Migranten und Personen, die sich für Migranten einsetzen, und nicht zuletzt Gewalt gegen Linke und linke Einrichtungen, kaum zu einer Wende in der Politik gegen den Rechtsextremismus führen.

Vielmehr steht gerade die hessische CDU, Alfred Dregger sei Dank, seit Jahrzehnten für rechten Positionen, die sich am konsequenten in ihrer Fremdenfeindlichkeit äußert.

Bereits in den Achtzigerjahren hat Alexander Gauland als Chef der hessischen Staatskanzlei unter CDU-Ministerpräsidenten Walter Wallmann seine fremdenfeindliche Politik durchzusetzen vermocht.

Kristina Schröder, ehemalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, hat in Berlin versucht, die Politik durchzusetzen, die sie im heimischen Wiesbaden gelernt hat: Kampf gegen Linksextremismus (wozu Schröder auch die Tageszeitung Neues Deutschland zähle) und Integration.

Die in Hanau aufgewachsene ehemalige CDU-Politikerin und Vertriebenenfunktionärin Erika Steinbach stand stets für reaktionärste Positionen. Sie stimmte 1991 gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Grenze zwischen Polen und Deutschland; die Politik der Bundesregierung in der sogenannten Flüchtlingskrise war für sie Anlass die CDU zu verlassen. 2019 beteiligte sich Steinbach an der Hetzkampagne gegen Walter Lübcke und dessen Engagement für die Integration von Flüchtlingen. Der ehemalige Generalsekretär der CDU, Peter Tauber, sieht eine Mitverantwortung Steinbachs an Lübckes Tod.

Von den hessischen Grünen, die zusammen mit der CDU die Regierung bildet, ist keine Hilfe zu erwarten. Die Grünen – als Erfinder des Multikulti von den Rechten geschmäht – werden ihre Regierungsbeteiligung nicht wegen all dieser Skandale aufs Spiel setzen. Das neue Grundsatzprogramm der Grünen ist nicht umsonst mit der Eidesformel „… zu achten und zu schützen…“ betitelt.

Zudem ist die Position der Grünen die hessischen Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Priska Hinz, durch den Wilke-Wurstskandal mit drei Todesfällen von Ende 2019 geschwächt. Da sich der Koalitionspartner CDU schützend vor die politisch verantwortliche Hinz gestellt hat, können die Grünen nunmehr schwerlich Konsequenzen im Innenministerium fordern. Ein Hand wäscht die andere.

An die Regierung braucht in Hessen niemand zu appellieren, der sich von Rechtsextremen bedroht fühlt. Geschweige denn, von ihr Schutz zu erwarten oder gar eine Politik zu fordern, die Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bekämpft. Vielmehr müssen sich alle fragen, ob Migranten in Hessen in Sicherheit leben können.