„Ich will meine Geheimdienstakte!“

Von H.P. – der Genosse wurde in der DDR vom MfS bespitzelt und in der BRD genauso, weil er Kommunist ist.

Am 26. September 2019 hat der Bundestag entschieden, dass die Stasi-Akten in das Bundesarchiv überführt und gemeinsam mit weiteren DDR-Akten in einem „Archivzentrum zur SED-Diktatur“ auf dem Gelände der früheren Stasi-Zentrale untergebracht werden sollen. „Auch künftig sollen die Akten für Bürger, Medien und Wissenschaft zugänglich bleiben“:

Leider nur die „halbe Wahrheit“ – wie so oft.

Die andere Wahrheit lautet:

Verschiedene Geheimdienste aus Deutschland und der ganzen Welt haben Stasi-Unterlagen angefordert und verwendet. Das geht aus einer Antwort der Behörde des Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen auf eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz hervor. Auch aus den USA waren Behörden dabei: National Security Agency, die Botschaft in Berlin, das Department of Justice und das Air Force Office of Special Investigations.

Und weiter: Bei den Ermittlungen nach Paragraf 129a gegen die sogenannte Militante Gruppe (MG) soll das Bundeskriminalamt (BKA) auch Stasi-Material verwendet haben. Das gab die ehemalige DDR-Oppositionszeitschrift »telegraph« bekannt. Demnach sollen Opferakten früherer DDR-Oppositioneller zur Erstellung eines aktuellen Personenprofils herangezogen worden sein. (https://www.heise.de/tp/features/Anti-Terror-mit-der-Stasi-3506513.html)

Aber:

Für den DDR-Bürger gilt: Keine Einsichtnahme in Akten die eventuell in Westgeheimdiensten stehen. Wie das?

Ich will aber meine Akte!

Ich will meine Akte. Wie westdeutsche Geheimdienste Ostdeutsche bespitzeln.” Autor Robert Allertz, Verlag Das Neue Berlin. “Mindestens 71500 namentlich bekannte Ostdeutsche wurden systematisch observiert – vom Westen.”

Wie weit und flächendeckend die Bespitzelung von DDR Bürgern reichte, können sich viele Ostdeutsche kurioserweise auch heute offenbar immer noch nicht vorstellen. Nach wie vor fehlen eine entsprechende Bundesbehörde, ein Bundesbeauftragter wie im Falle der Stasi-Unterlagen. Nach wie vor gibt es zudem keine CIA-BND-Unterlagenbehörde zur Spionage gegen die DDR, zur Vorbereitung des “Regime Change”.

(”KALTER KRIEG. 10.000 BND-Agenten spionierten in der DDR”. (DIE WELT)

 

Ein erheblicher Teil der vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) angelegten Akten- und Datenbestände enthält sensible personenbezogene Informationen, die unter Verletzung elementarer Menschenrechte wie beispielsweise durch zielgerichtete Bespitzelung, Post- und Fernmeldekontrolle oder unzulässige Verhörpraxis über Jahrzehnte gesammelt worden sind. Die Verwertung solcher „Erkenntnisse“ für aktuelle Strafverfahren (vgl. z.B. Anja Lederer: „Subjektiv terroristisch“, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 88, 2007) oder deren Verwendung zur „Gefahrenabwehr“ wurde nach anfänglichen Diskussionen 1991/1992 kaum weiter problematisiert und ist heute nahezu in Vergessenheit geraten. Auch die Verwendung der Stasi-Unterlagen für Zwecke der Geheimdienste hat sich mittlerweile auf einem hohen Niveau verstetigt.

Ein bürgerrechtlicher Diskurs hierzu findet ebenso wenig statt wie eine wissenschaftliche Evaluierung, welche neben der Häufigkeit der Verwertung auch die Qualität der gelieferten MfS Unterlagen kritisch hinterfragen könnte. Insbesondere die Übermittlung von Unterlagen an die In- und Ausländischen Geheimdienste und der fortwährende Zugriff auf das Zentrale Einwohnerregister (ZER) stößt vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Verletzung von Grund- und Menschenrechten in der ehemaligen DDR auf großes Unverständnis, war doch eine der Kernforderungen der DDR-Bürgerbewegung ein diesbezüglich vollumfängliches Nutzungsverbot!

Auch heute wird darüber geschwiegen

Proteste gab es u.a.:

Wir, die Bürgerbewegungen der DDR, haben nicht vierzig Jahre unter den Praktiken der Stasi gelitten, führen nicht den aktuellen Streit um die endgültige und restlose Auflösung des Staatssicherheitsapparates, um demnächst – nach der Vereinigung und Rechtsangleichung – erneut Gefahr zu laufen, in unserem Denken und Handeln durch ‚Ämter für Verfassungsschutz‘ überwacht und bespitzelt zu werden.“

Dokumentiert in: taz v. 31.5.19