Der Stuttgarter Obere Schlossgarten war völlig überfüllt. Eigenes Foto
700 waren für eine Protestkundgebung wegen der Ermordung von George Floyd in Stuttgart angemeldet worden. Angemeldet wurde die Kundgebung von der 22-jährigen Nadia Asiamah, die zum ersten Mal in ihrem Leben mit einer Gruppe eine Demo organisierte.
Gekommen waren fast 10.000. Der obere Schlossgarten quoll über vor Menschen. Viele hatten sich schwarze Hemden oder T-Shirts angezogen. Massenweise wurden selbstgemalte Pappschilder hochgehalten.
Alles war provisorisch. Die Lautsprecheranlage war so klein, dass man nur gelegentlich ein paar Wortfetzen verstehen konnte.
Lionel Njoya sagte: „Ich stehe heute hier, weil der Traum von Martin Luther King nicht in Erfüllung gegangen ist“. Rassismus töte. Er zog eine Linie von dem Polizeimord an George Floyd über die rechten Terroranschläge in Halle und Hanau. „All diese Vorfälle sind Teil einer langen Serie von Diskriminierung, rechtem Terror und Rassismus… Ist es noch ein Einzelfall, wenn es ständig irgendwo passiert?“
Er ging darauf ein, wie alltäglich Rassismus und Hass für viele sind – im Zug und Bus, im Urlaub, auf der Straße. Das kam bei den Menschen an, unter denen viele waren, die diese Erfahrungen mit ihm teilen. Er schloss: „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Generation sind, die Veränderung bringen kann!“
Was an Technik und Erfahrung fehlte, wurde durch den Schwung und die Wut der Menschen gut gemacht. Immer wieder gab es von rhythmischem Klatschen begleitete Sprechchöre „Black lives matter“.
Eine lange Schweigepause wurde für George Floyd und die Opfer der Polizeigewalt in Deutschland gemacht. Dabei wurde ausdrücklich an Oury Jalloh erinnert, der gefesselt in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte, nach mehreren Fachgutachten von der Polizei angezündet.
Was als kleine und kurze Kundgebung angekündigt war, weitete sich aus. Viele Teilnehmer/innen wollten nicht gehen. Die Erfahrung gemeinsamer Stärke war großartig. Immer wieder gingen Sprechchöre los, die dann ihren Weg über den ganzen Platz fanden. Auch nach dem Ende der Kundgebung zogen viele durch die Innenstadt, um weiter zu protestieren.
Wir verteilten unser aktuelles Flugblatt, das in kürzester Zeit vergriffen war.
Ein paar Worte zur Bewertung:
Diese Aktion war ein Lehrstück in der Mobilisierung von großen Menschenmassen für ihre Interessen, wie sie viele linke Organisationen in Stuttgart leider nicht verstehen oder verstehen wollen. Schon zum 1.Mai hatten wir berichtet, dass es in Stuttgart zu einer „beliebten“ Tradition geworden ist, sich zu trennen und gegeneinander zu arbeiten. Oft steht an erster Stelle, mit wem kann ich denn? Wen will ich auf keinen Fall dabei haben. Man ist mehr mit sich und den Konflikten untereinander beschäftigt, als mit den Kämpfen, um die es geht. So konnten wir erleben, wie sich bei einer Demo für Flüchtlinge verschiedene Organisationen prügelten. Das ist natürlich eine wunderbare „Visitenkarte“ gegenüber den arbeitenden Menschen, die wir ansprechen und gewinnen wollen. Mittlerweile gibt es dank des Widerstandes von uns und einigen anderen Organisationen solche Szenen nicht mehr! Aber es gibt die „beliebte“ Tradition weiter, dass jeder für sich in seinem geliebten Kreis arbeitet und auf keinen Fall alle anspricht, zusammenarbeitet und breit mobilisiert.
Die Konsequenz: Vor einer Woche gab es ebenfalls beim Oberen Schlossgarten eine Kundgebung gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf das Volk. Die Vorbereitung fand im exklusiven Kreis statt. Und obwohl dann groß mobilisiert wurde, kamen 4-500! Es war eine notwendige und gute Kundgebung, aber sie war weitgehend beschränkt auf die fortschrittlichen, linken und revolutionären Kräfte in Stuttgart. Selbst von diesen wurden viele gar nicht zur Vorbereitung eingeladen. Man blieb lieber unter sich. Am Sonntag, einen Tag später, organisierte die rechte Initiative 0711Querdenken eine Kundgebung mit fast 3.000 Menschen. Und am Freitag, dem 5.6. machte der DGB eine Kundgebung gegen die Angriffe der Identitären Bewegung auf das Gewerkschaftshaus – mit allenfalls rund 300 Teilnehmer/innen. Auch hier wurde niemand in die Vorbereitung einbezogen. Eine breite Mobilisierung gab es nicht. Bekannt gemacht wurde die Kundgebung einen Tag vorher!
Es ist erfrischend, dass nun ein paar Jugendliche ohne jede Erfahrung gezeigt haben, wie man es richtig macht und große Menschenmengen mobilisieren kann – ohne großen Apparat und riesige Lautsprecheranlage wie der DGB, nur über Instagram, Twitter und facebook. Sie haben an erste Stelle ein klares politisches Ziel gestellt. Es ging nicht um die Frage, wer kann mit wem? Wer darf nicht kommen? Es gab keine Ausgrenzungen, alle waren willkommen, die für dieses Ziel eintraten. Und es war keine Veranstaltung nur für „Linke“, die unter sich bleiben wollen. Es war offen!!!
Jeder kann anhand der praktischen Ergebnisse sehen, was richtig ist: Mobilisierung anhand eines konkreten Zieles und Kampfes – ohne Ausgrenzung und Abgrenzung oder Organisieren im kleinen Kreis und nach Vorlieben und Animositäten. Bei Letzterem bleibt man eben auch unter sich, hat seine paar hundert Genoss/innen und fördert auf Dauer Resignation, weil sich nichts entwickelt.
Wir werden weiter gegen diese enge Haltung für breite Bündnisse um konkrete Ziele – ohne Ausgrenzung und Abgrenzung eintreten. Unsere Grundhaltung ist:
Alle gemeinsam gegen das Kapital! Solidarität!