Vorläufige Corona-Bilanz


 Rund 6 Monate nach dem Auftreten des ersten Covid-19-Falls in China kann man eine erste vorsichtige Bilanz ziehen. Dabei muss man berücksichtigen, dass vieles bei dieser neuartigen Erkrankung noch nicht abschließend erforscht ist und noch wissenschaftlich diskutiert wird.

Unvorbereitet in die Krise

Schon Mitte April hatten wir in einer Chronik des Regierungshandelns aufgezeigt, wie viele Versäumnisse es im Gesundheitswesen gegeben hat, und wie man sinnvolle, begrenzte Maßnahmen zu Anfang unterließ, um auf die Profite des Kapitals Rücksicht zu nehmen. Später musste man dann harte Maßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung ergreifen, die die gesamte Bevölkerung getroffen und die bereits anrollende Wirtschaftskrise extrem beschleunigt haben. (siehe auch https://www.arbeit-zukunft.de/2020/04/17/chronik-des-regierungshandelns-in-der-corona-krise-nichts-vorbereitet/)

Beispielsweise bevorratete die Regierung trotz detaillierter Vorwarnungen seit 2012 und einer direkten Vorbereitungszeit von immer noch ca. drei Monaten viel zu wenige Schutzausrüstungen; noch nicht einmal für die Beschäftigten stark gefährdeter Bereiche wie Gesundheitswesen und Altenpflege. Weitergehende Maßnahmen wie Grenzkontrollen, Fiebermessen, Quarantäne für Einreisende lehnte die Regierung zunächst ab, um der Wirtschaft bzw. den Profiten der Großkonzerne nicht zu schaden. Solche Maßnahmen zu einem frühen Zeitpunkt hätten aber nur die Geschäftsreisen einiger Konzerne und die Tourismusindustrie getroffen. Der Schaden wäre recht begrenzt gewesen. Eine relativ einfach umzusetzende Maskenpflicht für öffentliche Verkehrsmittel und geschlossene Räume, ein Verbot von Großveranstaltungen wie Fußball oder Karneval hätten, frühzeitig getroffen, die Zahl der Erkrankten und der Toten deutlich reduziert. Der später durchgeführte so genannte Lockdown, der von der mittlerweile unkontrollierbar gewordenen Ausbreitung des erzwungen wurde, hat zu deutlich massiveren Schäden geführt. Es hat vor allem viele kleine Selbständige, Millionen Arbeiter/innen und Angestellte, Arbeitslose, Hartz-IV-Bezieher, Rentner/innen, Jugendliche in Existenznot gebracht.

Notstandsregime

Zugleich hat die Regierung ihre eigenen Versäumnisse genutzt, um ihre Macht, den Polizeistaat auszubauen. Ein Notstandsregime wurde errichtet, der Gesundheitsminister, der bei der Vorbereitung versagt hatte, mit noch mehr Machtbefugnissen ausgestattet. Im Schatten der Corona-Krise wurden – wie beispielsweise in Baden-Württemberg – neue Polizeigesetze erlassen, die demokratische Rechte weiter einschränken. Die Daumenschrauben für das Volk werden angezogen.

Gerettet wird der Profit!

Allein in Deutschland wurden „Hilfsprogramme“ von inzwischen fast 2 Billionen Euro bei Bund, Ländern und Kommunen aufgelegt. Eine ungeheure Summe, wenn man beachtet, dass Deutschland im 4. Quartal 2019 bereits Staatsschulden von rund 2 Billionen hatte. Die werden jetzt nebenher verdoppelt!

Wie wir bereits in einem Beitrag nachgewiesen haben (https://www.arbeit-zukunft.de/2020/05/30/nicht-auf-unserem-ruecken/#more-7104), erhalten die Großkonzerne den Löwenanteil, während für kleine Selbständige. Millionen Arbeiter/innen und Angestellte, Arbeitslose, Hartz-IV-Bezieher, Rentner/innen, Jugendliche nur ein paar Krümel abfallen – oder gar nichts wie bei Beziehern der Grundsicherung. Für sie wurde eine Nothilfe in Höhe von 100 Euro pro Person und 60 Euro pro Kind einmütig von AfD, CDU/CSU und SPD abgelehnt!

Überhaupt handelte es sich um einen einseitigen, unvollständigen Lockdown. Was so genannt wird, betraf eben zahlreiche arbeitende Menschen, kleine Selbständige, gilt aber nicht für das große , monopolistische Finanzkapital: Deren Zockerei an Börsen, Finanz- und Währungsmärkten ging ungebremst weiter. Während Arbeiter/innen und Arbeiter, Kleinselbständige große Teile ihrer Einkommen einbüßten, teilweise vor einem Totalausfall des Einkommens standen oder Pleite gingen – eine Entwicklung die auch noch läuft – bleiben ihnen die Immobilienbesitzer und Spekulanten, die Banken, bei denen sie Konsumkredite laufen haben, mit ihren Forderungen ungemindert im Nacken. Nie haben die Herrschenden mit auch nur einem Wort, geschweige denn irgendeiner praktischen Maßnahme die Spekulation, die Miet- und Pachteinnahmen sowie die Immobilienspekulation unterbunden. Hier gab es keinen Lockdown!

Wir haben während der Covid-19-Krise stets aufgezeigt, dass die Arbeiterklasse und das Volk die Krise bezahlen sollen. Schon werden von den bürgerlichen Parteien Rentenkürzungen, Erhöhung der Arbeitszeit, Senkung bzw. Einfrieren des Mindestlohns vorgeschlagen. Für die Reichen sind Steuersenkungen in der Diskussion.

Wir sehen also: Die Krisenbewältigung erfolgt auf kapitalistische Weise: Existenznot für die große Masse der Menschen, Billionen für das Großkapital und Ausbau des Staatsapparates verbunden mit einer Einschränkung der demokratischen Rechte für das Volk. Eine regelrechte Umverteilung von unten nach oben!

Es ist dringend notwendig, dagegen eine breite Front aufzubauen. Denn ohne Widerstand werden die Millionen Arbeiter/innen und Angestellten, kleinen Selbständigen, Arbeitslose, Hartz-IV-Bezieher, Rentner/innen, Jugendlichen gnadenlos an den Rand gedrängt und abgezockt.

Obwohl die Maßnahmen zu spät ergriffen wurden, haben sie trotzdem bewirkt, dass die Zahl der Toten im Vergleich zu anderen Ländern relativ niedrig ist. In Deutschland verstarben bis jetzt 8.522 an CoViD-19 Erkrankte, das bedeutet: auf 100.000 Einwohner nur 10,3 (Stand 3. Juni 2020; Zahlen Robert Koch Institut RKI). In Schweden mit seinem gelobten lockeren Umgang sind es fast 44 Verstorbene auf 100.000 Einwohner, 4,3 mal so viele wie in Deutschland. Man sieht also: Es geht schlimmer. Bei 4,3 Mal höheren Todeszahlen würde die Zahl der Toten bei der schlimmsten Grippewelle seit Jahrzehnten (2017/18) deutlich übertroffen. Damals wurden rund 25.000 Tote in einer Saison, also 12 Monaten gezählt. Eine 4,3 mal höhere Todesrate – wie in Schweden – hieße in Deutschland: bis jetzt mehr als 36.600, nicht 8.522 an CoViD-19 Verstorbene.

Aber es geht noch schlimmer! In Großbritannien ist die Zahl der Toten pro 100.000 Menschen 5,7 mal, in Belgien 8,1, in Spanien 5,8, in Italien 5,4, in Frankreich immer noch 4,2 mal höher als in Deutschland (Zahlen gerechnet nach Daten Stand 3.6.2020, European Centre for Disease Prevention and Control, vgl.: https://www.ecdc.europa.eu/en/cases-2019-ncov-eueea)

Natürlich sind diese Zahlen nicht hundertprozentig sicher. Denn es werden irrtümlich Tote als an Covid-19 verstorben registriert, aber auch viele nicht als Covid-19-Tote registriert, weil man ohne Untersuchung einen Infarkt, eine Embolie oder Entzündung als Todesursache angibt. Fehlerquellen gibt es also in beide Richtungen. Das ist für den Einzelfall schlimm, nicht aber für eine Statistik, bei der es auf den Vergleich mit anderen Ländern ankommt. Denn da gleichen sich die Fehlerquellen nach beiden Seiten weitgehend aus.

In manchen Ländern wie den USA, Brasilien, Türkei sind die offiziellen Zahlen daher kaum zu verwerten. Und obwohl das so ist, haben die USA bis jetzt bereits dreimal so viele Coronatote auf 100.000 Einwohner wie Deutschland.

Erste Schlussfolgerungen

Trotzdem geben die angeführten Vergleichszahlen erste Anhaltspunkte.

1. Deutschland steht mit 10 Toten pro 100.000 Einwohner relativ gut da. Wir scheinen auf einer Insel der Seeligen zu leben. Warum? Auch wenn viel versäumt wurde, ist die kapitalistische Großmacht Deutschland immer noch stark, sodass relativ schnell Beatmungsgeräte oder Intensivbetten hergestellt, gekauft und bereit gestellt werden konnten. So konnten alle schwer Erkrankten behandelt werden, Bettenkapazitäten sogar noch für Erkrankte anderer Länder zur Verfügung gestellt werden. Szenen wie in Italien oder Frankreich, wo selektiert wurde und alte Menschen keine Behandlung mehr sondern nur noch Drogen bis zum Tod bekamen, konnten so noch einmal vermieden werden. Massengräber wie in Italien, Brasilien oder den USA gibt es nicht. Zudem hat das medizinische Personal, wie allerdings auch in vielen anderen Ländern, bis zur Erschöpfung um die Leben der schwer Erkrankten gekämpft. Und das bei 12-Stunden-Schichten in schwerster Schutzausrüstung, so sie denn vorhanden war. Selbstverständlich hat auch der Lockdown die Ausbreitung des Virus gebremst. Das hätte man zwar, wie oben dargelegt, mit geringeren Mitteln haben können. Aber der Lockdown hat trotzdem gewirkt.


Bolsonaro, Brasilien: „
Komm auf die Straße! Quarantäne ist eine Farce! Corona ist eine Grippe!“ Karikatur von Latuff

2. Schaut man in die anderen europäischen Industriestaaten, so sieht man, dass dort überall die Zahl der Toten auf 100.000 Einwohner spürbar höher ist. Es gibt eine regelrechte Rangliste. Je mehr ein Gesundheitswesen kaputt gespart und/oder privatisiert wurde, umso weniger konnte es mit dieser Pandemie fertig werden. Das zeigen Belgien, Frankreich, Italien und Spanien! Eine 8,1fach höhere Todesrate wie in Belgien zeigt den Bankrott der neoliberalen Kürzungs- und Privatisierungsorgie im Gesundheitswesen. Insgesamt macht diese Pandemie sehr deutlich, was es bedeutet, wenn der Profit regiert: Mehr Tote! Das ist keine Neuigkeit, sondern Alltag im Kapitalismus, wurde aber jetzt in zugespitzter Form sichtbar.

3. Schaut man in die USA, so sieht man die verheerende, menschenfeindliche Wirkung imperialistischer Politik. Als Weltpolizist geben die USA Unmengen für Rüstung und Krieg aus. Das ist nur durch brutale soziale Verhältnisse möglich. Denn so, wie wir jetzt in Deutschland die zusätzlichen 2 Billionen Schulden bezahlen sollen, müssen die Menschen in den USA seit Jahrzehnten diese immensen Kosten tragen. Das bedeutet, es gibt für viele keine Krankenversicherung und damit kaum einen Zugang zu medizinischer Behandlung. Und für Arbeitslose gibt es praktisch kein Arbeitslosengeld. Sie fallen tief. Damit hat die Corona-Krise in den USA extreme Folgen, sowohl im Gesundheitswesen als auch für die Existenzgrundlagen von zig Millionen Menschen. Besonders hart betroffen ist der afroamerikanische Bevölkerungsteil. Sie beklagen dreimal so viele Tote durch Covid-19 wie Weiße. Hier zeigt sich krass die Klassenteilung der Gesellschaft. Übrigens stellen in praktisch allen Ländern die ärmsten Schichten den größten Anteil bei den Toten – auch in Deutschland. Kasernierte Flüchtlinge, Mitarbeiter der Fleischfabriken, Erntehelfer, aber auch das oft mies bezahlte medizinische Personal tragen ein erhöhtes Risiko, an Covid-19 zu erkranken und zu sterben.

4. In einer Visualisierung (siehe: https://www.arbeit-zukunft.de/2020/05/29/harte-fakten-zu-den-todeszahlen-weltweit-bei-covid-19/#more-7098) kann man die Entwicklung der Todeszahlen bei Covid-19 im Vergleich zu anderen Todesursachen weltweit vom 1. Januar 20 bis zum 24. Mai 20 verfolgen.


Am Anfang liegt die Zahl der weltweiten Corona-Toten bei null und steigt nur langsam an. Alle anderen Todesarten sind deutlich höher, am höchsten Malaria und Mangelernährung/Hunger.


Ab Mitte März explodiert die Zahl der Covid-19-Toten regelrecht. Am Ende übertreffen die Covid-19-Toten alle anderen bei weitem. Man kann daraus ersehen, wie gefährlich dieser Virus real ist. Zugleich sieht man immer mehr Menschen zu einem Zeitpunkt weltweit daran sterben, wo die relativ wohlhabenden Industriestaaten Europas bereits ein Abklingen verzeichnen. Das bedeutet, dass dieses Virus nun vor allem in den ärmsten Staaten Lateinamerikas, Afrikas und Asiens wütet und in Staaten wie den USA und Russland, wo die herrschende Klasse die Gefahr herunterspielt und keine ausreichenden Schutzmaßnahmen ergreift.

Wir haben von Anfang an gefordert:

Gesundheitsschutz ja! Notstandsregime nein!

Wir sind der festen Überzeugung, dass Einschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie notwendig waren und sind. Allerdings sind wir dagegen, dass dafür demokratische Rechte eingeschränkt oder abgeschafft werden. Und wir sind dagegen, das dieser Staatsapparat immer weiter zu einem Polizeistaat ausgebaut wird.

Zusätzlich haben wir gefordert

Nicht auf unserem Rücken! Die Reichen sollen die Krise bezahlen!

Die Corona-Pandemie zeigt, dass der Klassenkampf nicht verschwindet. Im Gegenteil! Die Krise verschärft ihn. Der kapitalistische Staat und die Kapitalisten greifen an, wenn sie die Last der Krise auf die Millionen Arbeiter/innen und Angestellte, kleinen Selbständige, Arbeitslose, Hartz-IV-Bezieher, Rentner/innen, Jugendliche abwälzen wollen.

Zwar geben sie die Parole „Gemeinsam schaffen wir das“ aus. Doch in der Realität gibt es keine Gemeinsamkeit mit ihnen. Sie profitieren sogar von der Krise. Ein typisches Zeichen dafür: Während vieles in der Krise geschlossen war, arbeiteten die Börsen weiter. Spekulation, Finanzgeschäfte, Krisengewinne – das hat sie sogar in der Krise reicher gemacht.

Ein solches System, indem die Armen ein höheres Sterberisiko haben, in dem Millionen um ihre Existenz bangen müssen, in dem sie alle Lasten tragen müssen, hat keine Zukunft. Es muss beseitigt werden!

Wir streben eine andere Gesellschaft an:

– Beseitigung des Kapitalismus! Übernahme der Macht durch die arbeitenden Menschen und das Volk!

– Gesellschaftliche Planung und Gestaltung der Produktion und Dienstleistungen im Interesse der Bevölkerung!

– Schutz der Umwelt und der Menschen!

– Abrüstung und Frieden!