WMF-Kolleg/innen fordern Vergesellschaftung – sie wollen kein Co-Management, sondern selbst das Sagen haben!
Im Februar 2020 wird der DGB Bundesvorstand in einer großen Festveranstaltung „100 Jahre Betriebsrätegesetz“ feiern. Erinnert wird an das Inkrafttreten des Betriebsrätegesetzes am 4. Feburar1920, an die „Geburtsstunde des dualen Systems der betrieblichen Interessenvertretung“, das heißt der Trennung von Betriebsräten und Gewerkschaften.
Die Betriebsräte erhielten eine Doppelrolle: Sie wurden zwar als Interessenvertreter der abhängig Beschäftigten gesetzlich anerkannt, waren aber zur Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber verpflichtet.
Wie ist es dazu gekommen?
Die am 9. November 1918 siegreiche Novemberrevolution hatte die kaiserliche Militärdiktatur mitsamt dem deutschen Kaiser zum Teufel gejagt; sie hatte der deutschen Kapitalistenklasse die Macht der Arbeiterklasse gezeigt, sie fürchteten die Verstaatlichung ihrer Betriebe und die Errichtung eines sozialistischen Deutschlands.
Aus diesem Grund kam es am 15. November 1918 zu Abschluss des sogenannten „Stinnes – Legien – Abkommen“, in dem die sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmer anerkannt wurden, der Abschluss von Tarifverträgen und der Acht-Stunden-Tag vereinbart wurden. Die Gewerkschaften feierten das Stinnes-Legien-Abkommen als einen grundlegenden Wandel im Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit. Für die deutsche Kapitalistenklasse war es ein Not- und Zweckbündnis. Aus Furcht vor einer Sozialisierung ihrer Fabriken hatten sie, wenige Tage nach Ausbruch der Revolution, das Abkommen unterzeichnet. Die Großindustriellen waren in schwerster Sorge vor einer kommenden Sozialisierung. Sie waren zu allem bereit, wenn sie nur ihr Eigentum behielten.
Die genauen Aufgaben und die grundlegende Rolle der in der Novemberrevolution treibenden Kraft der Betriebsräte („Betriebssowjets“) sollte in einem eigenen Betriebsrätegesetz (BRG) festgeschrieben werden.
Ein im Mai 1919 bekannt gewordener Gesetzentwurf des BRG wurde ab August 1919 in der Nationalversammlung behandelt. Er traf auf eine grundlegende Ablehnung durch linke Gewerkschafter und die Betriebsrätezentrale. Sie alle forderten den „Ausbau der Betriebsräte zu selbständigen revolutionären Organen neben den Gewerkschaften“ und wollten statt lediglich einer Mitwirkung das volle Kontrollrecht über die Betriebsführung durch Arbeiter, Angestellte und Beamte in sämtlichen Privat- und Staatsbetrieben. Durch jederzeit von ihren Wählern absetzbare Vertreter sollte es bei allen Entscheidungen hinsichtlich der Stilllegung, des Umfangs der Produktion, der Preisgestaltung, der Verteilung von Rohstoffen und der Ein- und Ausfuhr ausgeübt werden. In der Konsequenz zielten die Vorschläge auf ein Verschwinden der Unternehmerschaft als gesellschaftlicher Klasse ab.
Die Unternehmerverbände wiederum waren an einem weitestgehenden Abbau der Arbeitnehmerrechte im Betrieb interessiert, der die Mitwirkung der Betriebsräte auf innerbetriebliche Wohlfahrtsmaßnahmen und die Teilnahme am Kündigungsschutz reduzierte.
Als die zweite Lesung des Gesetzes im Reichstagsgebäude am 13. Januar stattfinden sollte, riefen USPD und KPD gemeinsam in den Parteiorganen Freiheit und Rote Fahne die Arbeiter und Angestellten Berlins zur Arbeitsniederlegung ab 12.00 Uhr und zur anschließenden Protestversammlung vor dem Reichstag auf: „Heraus zum Kampf gegen das Betriebsrätegesetz, für das revolutionäre Rätesystem!“ Der Aufruf betonte, dass „die umfassende Kontrolle“ nur erreicht werden könne „im Kampf gegen die Staatsmacht, die die Unternehmer durch Noskegarden schützt,“ und dass die „parlamentarische Aktion der Gegenrevolution nicht nur im Parlament allen erdenkbaren Widerstand“ finden muss.
(Rote Fahne vom 13. Januar 1920)
Der Schutz des Reichstags lag bei der militärisch organisierten Sicherheitspolizei (Sipo). Sie war von der sozialdemokratisch geführten Reichsregierung in fortgesetzter Zusammenarbeit mit der Heeresleitung (Ebert-Groener-Pakt) zum Schutz der bestehenden Ordnung speziell in Berlin aufgestellt worden. Die Sipo bestand hauptsächlich aus ehemaligen Freikorpsangehörigen und wurde von Armeeoffizieren kommandiert. Zahlreiche Angehörige und Offiziere waren eindeutig rechtsradikal eingestellt. Kleinere Sipo Verbände mit Maschinengewehren waren im Reichstagsgebäude postiert, größere vor dem Portal des Gebäudes.
Etwa ab zwölf Uhr des 13. Januars 1920 stellten die Beschäftigten in den meisten Großbetrieben Berlins ihre Arbeit ein; dazu gehörten beispielsweise AEG, Siemens, Daimler und Knorr-Bremse. Sie zogen in die Innenstadt auf den Königsplatz vor dem Reichstag, viele kamen aufgrund des Andrangs aber nur bis in die angrenzenden Seitenstraßen. Die Zahlenangaben variieren erheblich, es handelte sich um mindestens 100.000, wahrscheinlich waren es deutlich mehr.
Redner der USPD, der KPD und der Betriebsrätezentrale hielten Ansprachen.
Später wurde von der SiPo ohne Grund und ohne vorherige Warnung geschossen. Bemerkenswert aber ist, dass sich nach übereinstimmenden Berichten fast alle Toten und Verletzten südlich des Reichstags, auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig und im angrenzenden Tiergarten, befanden. Dort, in der Simsonstraße, war die Menschenmenge aber mindestens vier Meter von den Polizisten entfernt. Hier kam es weder zu Handgreiflichkeiten noch zu einem Sturm auf das Gebäude. Die meisten Opfer entfielen auf diesen Moment. Danach floh die Menge, die Sipo schoss noch mehrere Minuten weiter mit ihren Gewehren und MGs. Dass von Demonstranten zurückgeschossen worden wäre, wird nirgends behauptet.
42 Tote und 105 Verletzte sind Ergebnis dieses Blutbads vom 13. Januar 1920.
Es handelt sich damit um die opferreichste Demonstration der deutschen Geschichte.
Das Betriebsrätegesetz verabschiedete die Nationalversammlung in einer ihrer folgenden Sitzungen am 18. Januar. Mit der Verkündung im Reichsgesetzblatt trat es am 4. Februar 1920 in Kraft.
Die Folgen des 13. Januar 1920
Reichswehrminister Noske übernahm unmittelbar die vollziehende Gewalt für Berlin und die Provinz Brandenburg. Über Preußen und die norddeutschen Staaten wurde am nächsten Tag der Ausnahmezustand verhängt und Versammlungen unter freiem Himmel untersagt.
Insgesamt wurden 46 Zeitungen der Opposition verboten, darunter auch die Rote Fahne und die Freiheit. Damit war es den Linken aber fast unmöglich gemacht worden, den schweren Vorwürfen und Verleumdungen der Regierung und der sie stützenden Presse entgegenzutreten. In den folgenden Tagen verhafteten die Sicherheitsorgane mehrere Hundert Mitglieder der USPD und der KPD, darunter die beiden Parteivorsitzenden Ernst Däumig und Paul Levi.
Trotz eines Verbots kamen etwa 10.000 Menschen zu einer Gedenkfeier für die toten Demonstranten am 15. Januar in Neukölln. Am selben Tag traten außerdem die Belegschaften einiger Berliner Großbetriebe in einen kurzen Proteststreik.
Das Blutbad vor dem Reichstag ereignete sich am 13. Januar 1920 vor dem Reichstagsgebäude in Berlin während einer Verhandlung der Nationalversammlung zum Betriebsrätegesetz. 42 Tote und 105 Verletzte sind das Ergebnis. Es handelt sich um die blutigste Demonstration in der deutschen Geschichte. Das Geschehen wurde als historisches Ereignis von dem zwei Monate später durch Generalstreik und die Einigkeit der Arbeiterklasse siegreich zurückgeschlagenen Kapp-Putsch überstrahlt, blieb aber in der Arbeiterbewegung in kollektiver Erinnerung.
An die Zerschlagung des Kapp-Putsches 1920 durch die vereinte Kraft der Arbeiter-klasse, an die gemeinsame Aktion von KPD und SPD kann und muss erinnert werden; das Blutbad vom 13. Januar 1920 ist für Gewerkschafter kein Grund zum Feiern.
H.M.
Extrainfo 1
Die wichtigsten Bestimmungen des Betriebsrätegesetzes 1920
§1 und § 2 BRG regeln die Wahl eines Betriebsobmanns (ab 5), bzw. eines Betriebsrats (ab 20 Arbeitnehmern). Für Arbeiter und Angestellte sollte kein gemeinsames Gremium gewählt werden, sondern getrennt ein Arbeiterrat und ein Angestelltenrat. Die Vereinigungsfreiheit der Gewerkschaften wurden garantiert; allerdings mussten die Betriebsratsmitglieder nicht Mitglied einer Gewerkschaft sein.
Ein Betriebsrat wurde gegründet, um „1. .. die Betriebsleitung durch Rat zu unterstützen, um dadurch mit ihr für einen möglichst hohen Stand und für möglichste Wirtschaftlichkeit zu sorgen; 2. … an der Einführung neuer Arbeitsmethoden fördernd mitzuarbeiten, 3. den Betrieb vor Erschütterungen zu bewahren (…)“. Der Betriebsrat sollte darauf achten, dass Maßnahmen, die das Gemeinwohl schädigten, unterlassen werden.
Betriebsräte hatten eine befriedende , den Unternehmer unterstützende Funktion.
Mit einem Wort: Bis auf unterschiedliche Formulierungen ist das Betriebsrätegesetz 1920 ein zentraler Baustein des heute wieder propagierten Co – Managements.
Extrainfo 2
Aufruf von KPD, USP und Zentrale der Betriebsräte Deutschlands (13. Januar 1920)
„An das revolutionäre Proletariat Deutschlands!
… Die Gegenrevolution sucht eine revolutionäre Errungenschaft nach der anderen niederzuschlagen. Nachdem durch die Abwürgung der Soldatenräte die militärische Macht wieder der alten Soldateska unter neuer Führung zugefallen war, hat sie die politische Hoffnung des revolutionären Proletariats, die Arbeiterräte, vernichtet.
Jetzt will die Konterrevolution ihr Werk besiegeln, indem sie den revolutionär errungenen Einfluss der Arbeiter mit Hilfe der Gesetzgebung bricht. …
Der Gesetzentwurf schaltet die Arbeiter und Angestellten aus der Kontrolle der Geschäftsführung und Betriebsleitung völlig aus. Er macht die Betriebsräte zu bloßen Antreibern im Dienste des kapitalistischen Unternehmertums. …
Wir fordern daher das volle Kontrollrecht über die Betriebsführung.
Die schaffenden Menschen, die Arbeiter und Angestellten, müssen durch ihre Beauftragten darüber bestimmen, ob Betriebe stillgelegt werden dürfen oder nicht, was und wieviel von jedem Produkt hergestellt wird, welche Preise gefordert werden, wie Kohle, Roh- und Hilfsstoffe verteilt werden, was ein- und ausgeführt wird.
Diese umfassende Kontrolle kann nur erreicht werden im Kampfe gegen das Unternehmertum in jedem Betriebe und gegen die Staatsmacht, die die Unternehmer durch Noskegarden, durch die Parlamente und durch die Gerichte gegen die Arbeiter schützt. …
Nur im Kampf wird das Proletariat sein Recht erringen können.
(„Die Rote Fahne“ vom 13. Januar 1920, aus: Zur Geschichte der KPD, Eine Auswahl von Materialien und Dokumenten aus den Jahren 1914 – 1946, S.73 – 74 , Rotfront Verlag, Kiel)