Zur Verteidigung des Böblinger Bauernkriegsmuseums!
Böblingen/Stuttgart Es hatte eine Konferenz zu einer Museumskonzeption für die „Böblinger Museumslandschaft“ werden sollen am letzten Montag (15. Juli 2019 im Rathaus Böblingen). Aber das klappte so nicht so recht. Das lag daran, dass das fragliche Konzept („Gutachten“) des Ludwigsburger „Kulturmanagers“ Thomas Knubben und des Stuttgarter Architekturbüros Demirag an die „Reise nach Jerusalem“ erinnert: Am Ende der Runde fehlt ein Stuhl, und einer geht leer aus: das Bauernkriegsmuseum! Es fehlt halt der Fun-Faktor, was absolut im Wesen des Themas liegt.
Über 100 Interessierte kamen genau deswegen, und sie verschafften sich teilweise lautstark und emotional Gehör gegen die Versuche, die Debatte von Anfang unter Kontrolle der Gutachter zu halten. Engagierte Bürgerinnen und Bürger verteidigten das würdige Gedenken an den Bauernkrieg und die Böblinger Bauernschlacht vom 12. Mai 1525. Sie verteidigten auch das neben zwei kleinen wichtigste im Westen der Republik existierende Bauernkriegsmuseum, zudem im Verbund mit den beiden Häusern im Osten stehend – ein klares Merkmal der Kompetenz und großer Leistung.
Das Deutsche Fleischereimuseum nebenan – kein Problem für die Herren. Das hat zwar im Gegensatz zum Bauernkriegsmuseum – laut „Gutachten“ – keinerlei „spezifische Bezüge zu Böblingen“, aber die „Gutachter“ überschlagen sich mit den tollsten Zukunftsideen für die Fleischerei-Schau – es geht bis zu einem „Zentrum für Ernährung, City of food, Science Center“ usw. (muss halt Englisch sein!). Dabei – um das mal festzuhalten – soll eigentlich nichts gegen ein gut gemachtes Fleischereimuseum in dem schönen Böblinger „Vogtshaus“ gesagt sein. Menschen essen eben auch Fleisch, und viele haben zurecht schon immer ein Faible für Fragen der Produktion und der Volksernährung, auch wenn sich diese verändert angesichts Umwelt, Klima, Nachhaltigkeit, Veganismus….
Dasselbe gilt im Übrigen auch für die Städtische Galerie. Keiner der Anwesenden wollte diesen Häusern etwas am Zeug flicken!
Revolutionäre Tradition – abwickeln?
Aber das Bauernkriegsmuseum steht für ein brennendes Württemberg, für einen revolutionären Massenaufstand breiter Teile das Volkes – und für einige der schlimmsten und dramatischsten Stunden der Stadtgeschichte. Die Soldateska der im Schwäbischen Bund zusammengeschlossenen Feudalherren stürmte 1525 auf ihrem Angriff gegen die vor den Stadtmauern stehende Bauernarmee genau da entlang, wo heute das Rathaus steht, in dem Prof. Knubben das „Gutachten“ präsentierte. Georg Truchsess von Waldburg (Bauernjörg), der kaiserliche Kommandeur der Truppe, hatte sich den von den Bauern nicht einsehbaren Durchmarsch durch die Stadt in die ungedeckten Flanken der Bauern mit wüstesten und brutalsten Drohungen gegen die Stadt Böblingen freigepresst. Knubben fand allerdings, dass sich die Bauernschlacht von Böblingen doch eigentlich recht zufällig draußen vor der Stadt ereignet hatte, und Böblingen damit nicht arg viel zu tun hätte. Womit er zugleich offenbarte, dass er sich das von ihm abgeschriebene Museum offenbar gar nicht genau angeschaut hat.
Es wurde lautstark und emotional!
Aber die Masse der Besucher hatte keine Lust, sich mit Fragen der fleischlichen bzw. (für die Zukunft) veganen Wurstpräsentation, mit einem „Forum für Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Stadt, einem „Open Room“, wo 2025 (vielleicht!!) eine „Sonderausstellung 500 Jahre Bauernkrieg“ stattfinden könnte, für die aber noch nicht mal ein Haus existiert, zu befassen, oder mit Problemen der sicherlich verdienstvollen und attraktiven Böblinger Kunstgalerie. Sie waren gekommen, um das Bauernkriegsmuseum zu verteidigen! Sie ließen sich auch nur äußerst widerwillig ein auf das „Moderationskonzept“ des angeheuerten Moderator/innen-Trios mit ihren bunten Kärtchen ein, auf die man seine Meinungen zum abgelehnten Konzept brav aufschreiben sollte.
Wenn auch einige bewusste Verteidiger Knubbens und Demirags auftraten, wie der Vertreter des Fleischerei-Museums, der das Bauernkriegsmuseum „am liebsten sofort schließen“ wollte – die Botschaft der in freier Rede gehaltenen Beiträge war eindeutig: Dieses Bauernkriegsmuseum soll bleiben! Niemand hat etwas gegen Erneuerung, aber dieses Museum bleibt erhalten! Dr. Scholz von den Museumsfreunden, einer der Mitgründer des Hauses, hielt in diesem Sinne ein engagiertes Eingangsstatement für die Debatte, für das es einen demonstrativ langanhaltenden Beifall gab.
Die Debatte lief dann recht spontan, weil, wie ein Redner treffend bemerkte, das „Gutachten“ der Knubben/Demirag gerade mal eine Wochen bekannt war, so dass sich die meist ehrenamtlichen Engagierten gar nicht eingehend vorbereiten, geschweige denn zuvor abstimmen konnten. Deshalb muss man auf die Gefahr aufmerksam machen, die sich auftat: Ist die Idee eines „Freiheitsmuseums“ als „Ausweitung“ des angeblich veralteten Konzepts des Bauernkriegsmuseums angemessen?
Auch wenn auf dem so anschaulichen Diorama der Böblinger Bauernschlacht die große gelbe Fahne „Fryhet“ (Freiheit) inmitten der Bauerntruppe sofort ins Auge fällt – ein Freiheitsmuseum, das alles Mögliche von Bauernkrieg über Französische Revolution, (1918/19 Novemberrevolution fand keine Erwähnung) 68iger-Bewegung, bis hin zur „Wende von 1989“ (wie jetzt mit der Wandlitzausstellung vorweggenommen), Ungarn, Honkong etc. wird das eigentliche Thema Bauernkrieg in die zehnte Reihe verbannen!
Es geht um Revolution!
Der Bauernaufstand war nicht einfach eine „Freiheit“sbewegung. Er war revolutionär – sowohl in seiner Gewalt als auch in seinem antifeudalen politischen Programm, das die im 16 Jahrhundert herrschende Feudalordnung in Frage stellte: Abschaffung der Leibeigenschaft! Freie Jagd und Fischerei! Rückgabe der vom Feudaladel geraubten Gemein-Ländereien (Allmenden)! Reduzierung der Frondienste und der geradezu ins Irrwitzige getriebenen Abgabenlast! Schluss mit der Willkürjustiz der Fürsten, die Ankläger und Richter in einem waren – speziell des württembergischen Herzogs und erwiesenen Mörders Ulrich!
Insbesondere auf dieses Programm verwies zu Recht einer der Redner. Die bäuerlichen und plebejischen Forderungen werden übrigens im aktuellen Museum in einer gelungenen, kreativen Präsentation verdeutlicht. Diese wurde leider immer vergessen, als viele der wertvollen Ausstellungstücke, darunter 250 Kunstwerke, aber auch ein originalgetreu nachgebaute Druckerpresse, der erschütternde Raum zu den elenden Lebens- und Wohnverhältnissen der Bauern hervorgehoben wurden, die bzw. deren Wert Knubben und Demirag schlicht leugnen.
Entlarvend ihre Äußerung im „Gutachten“: „Die Konzeption des Bauernkriegsmuseums wurde seit der Eröffnung 1988 nicht mehr grundsätzlich erneuert. Sie spiegelt Erkenntnisse, Einstellungen und Herangehensweisen wider, die als überholt gelten müssen und im Hinblick auf das 500jährige Bauernkriegsjubiläum 2025 von Grund auf überarbeitet werden müssten.“
Da liegt offenbar der Hase im Pfeffer. Was waren denn die „überholten Vorstellungen“? Etwa, dass „im Gefolge des gesellschaftlichen Umbruchs nach 1968 auch die Geschichte der ‚kleinen Leute‘ und die demokratischen Traditionen der deutschen Geschichte stärker in den Mittelpunkt des Interesses“ (Gutachten über die Ideen bei Gründung des Hauses) rückte? Real ist es ein Museum, dass nicht einfach irgendeine Freiheit feiert, sondern den Aufstand für die Befreiung von unerträglichen Feudallasten und eine in diesem Sinne revolutionäre Parteilichkeit für das plebjische und leibeigene Volk. Die Bauern von damals – heute stehen da die Arbeiter/innen, die Prekären, die Hartz-IV-Empfänger/innen, die Millionen verarmter Kinder und Jugendlichen!
Freiheit einfach so, darauf können sich auch die einigen, gegen die sich der aktuelle Klassenkampf richtet. Für „Freiheit einfach so“ begeistern sich Christian Lindner, Horst Seehofer, Dieter Zetsche, Ola Källenius oder Angela Merkel, ja sogar die Halbnazis der AFD! Für die Befreiung einfacher werktätiger Menschen von Ausbeutung und sozialer Unsicherheit, für würdige Arbeit und Zukunft haben die nichts übrig. Dafür lassen sie die „Freiheitskämpfer“ des Majdan hochleben, welche Gewerkschaftshäuser einschließlich der Leute darinnen abgefackelt haben, oder den US-Agenten Saakaschwili in Georgien rühmen, der völlig verantwortungslos mal kurz eben die Katastrophe eines Krieges gegen Russland vom Zaun brach…
Interessant der grüne Oberbürgermeister Stefan Belz in einem ersten Video-Zusammenschnitt der Veranstaltung:
„Also ich fand die Idee eigentlich ganz spannend, aus dem Bauernkrieg ganz grundsätzlich mal das Thema Freiheit abzuleiten, und jetzt genau diesen Freiheitsgedanken auch zu übertragen auf ein Stadtforum, das heißt, das war mal meine grundsätzliche Idee, ob man vielleicht sogar dieses Stadtforum in diesem Kontext sehen könnte in der Zehntscheuer“
(vgl.: https://www.youtube.com/watch?v=ZHuiRWkaZ0Q – ab Minute 2:40 )
Belz´ Einlassung stand schon sichtlich unter dem Druck der kontroversen Diskussion. Das Haus einfach zumachen und die (kaum der Rede werten – so Prof. Knubben) Bestände einlagern (so wörtlich das „Gutachten“!), das Trostpflästerchen der Ausstellung 2025 anbieten – das geht offensichtlich nicht mehr! Ein erster, kleiner, doch ganz labiler Erfolg!
Des Grünen Belz Lösungsidee: Vielleicht das Bauernkriegsmuseum in einem Freiheitsmuseum auf- bzw. untergehen lassen!
Es sieht eben doch so aus, dass – wie es am Ende auch immer ausgehen sollte – das aufrührerische Element des heutigen Museums entsorgt werden soll in einem allen Parteien genehmen, unverbindlichen, alle politischen Richtungen vermengenden „Freiheits-Forum“. Vielleicht sogar – sei´s drum – doch in der Zehntscheuer. Aber dafür Erdrosselung einer demokratischen – nennen wir es doch beim Namen – linken, fortschrittlichen Idee! Für Aufrührer kein Platz in Böblingen…
Man kann den tapfer streitenden Freunden des Bauernkriegsmuseums nur raten, sich nicht so schnell geschlagen zu geben! Die städtischen Macher hinter diesem Prozess samt ihren „Gutachtern“ und Moderator/innen – sie sind blind und taub, sie wollen nicht hören und sehen: Die Zehntscheuer selbst ist schon das erste Ausstellungsstück, seine die Stadtsilhouette prägender gewaltiger Giebel, seine – wie die couragiert für ihr Haus streitende Leiterin, Frau Cornelia Wenzel betonte – rauen Wände – es gibt keinen bessern Ort für diese Institution. Wenn man das Haus nicht in zwei Museen teilen will, dann gehört das Bauernkriegsmuseum da rein. Für ein Stadtgalerie wird sich mit gutem Willen ein anderes Haus finden lassen!
Wer meint, Böblingen brauche ein „Stadtforum“ – mache es! Aber lasst das Bauernkriegsmuseum in der Zehntscheuer leben, baut es auf und aus, aber lasst es!
Genoss/innen von Arbeit Zukunft nahmen an der Debatte aktiv teil. Wir hatten auch andere Genoss/innen bzw. Organisationen benachrichtigt. Sie kamen nicht! Wir sehen es so: Diese jetzt ausgetragenen weltanschaulichen, im echten Sinne ideologischen Auseinandersetzungen betrachten die Herrschenden zu Recht – als Vorgefechte für die kommenden Klassenauseinandersetzungen und Massenkämpfe. Hunderttausende Jobs von Arbeiter/innen und Angestellten stehen derzeit auf dem Spiel – der nächste imperialistische Großkrieg droht – mit deutscher Beteiligung. Es braucht entschiedene Gegenwehr. Da finden herrschende Kreise solche „Aufruhr-Museen“ echt „unpassend“, so etwas muss als „überholt gelten“!
Wir haben diesen Kampf an einer exemplarischen Stelle aufgenommen.
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