Buchbesprechung: Jean Ziegler: „Das kapitalistische System lässt sich nicht schrittweise und friedlich reformieren.“

dies ist eine Schlussfolgerung, die Jean Ziegler in seinem neuen Buch „Was ist so schlimm am Kapitalismus“ zieht.

Jean Ziegler, der 85-jährige Schweizer Globalisierungskritiker beschreibt eine Vielzahl von grausamen Auswirkungen aus der Geschichte des weltweiten Kapitalismus und aus seinen eigenen Erfahrungen als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung.

„.. Kaiser Karl V. hat sich gerühmt, er herrsche über „ein Reich, in dem die Sonne niemals untergeht“. Vor der Ankunft der spanischen Plünderer belief sich die Bevölkerung Mexikos auf 37 Millionen, ungefähr die gleiche Zahl bevölkerte die Hochebenen der Anden. In Zentralamerika und der Karibik lebten ungefähr 10 Millionen Indios. Ende des 15 Jahrhunderts kamen die großen Kultusvölker der Azteken, Maya und Inkas insgesamt auf eine Gesamtzahl von 70 bis 90 Millionen Menschen. Ein Jahrhundert später waren es nur noch 3,5 Millionen. Das Kapital kam also in der Tat „aus allen Poren blut- und schmutztriefend zur Welt. …“

Ziegler zeigt die Schwierigkeit der Gewerkschaften, die in der Welt des Finanzkapitals immer seltener die konkret wirkenden Personen benennen können.

„… Die Oligarchen, die Investmentfonds und andere Großaktionäre, die die Fabriken, Handelsfirmen, Banken und Aktiengesellschaften besitzen, agieren im Verborgenen. Nur selten kennt man ihre wahre Identität. Anonym, also unsichtbar, wohnen sie meist Tausende Kilometer von ihren Unternehmen entfernt. Unter diesen Bedingungen ist es schwierig, sie zu enttarnen und die öffentliche Meinung gegen sie zu mobilisieren. …“

Im Zwiegespräch mit seiner Enkelin Zohra weist Jean Ziegler auf die Dramatik der augenblicklichen Weltlage und auf die Notwendigkeit zum Handeln hin.

„ …Zohra: Und jetzt, was wird jetzt geschehen?

Jean Ziegler: Zeit ist menschliches Leben. Wir können die Armen nicht warten lassen. Deshalb sind die Forderungen dieser Bewegungen so radikal. Die Schlacht, die heute nicht gewonnen wird, läuft Gefahr, endgültig verloren zu gehen, wenn wir nicht handeln.

Zohra: Jean, du antwortest nicht auf meine Frage. Was wird passieren?

Jean Ziegler: Zohra, wir wissen nicht wie es passieren wird. … Der Mensch weiß mit Gewissheit, was er nicht will. Ich will nicht auf einem Planeten leben, auf dem alle fünf Sekunden ein Kind an Hunger oder einer hunger bedingten Krankheit stirbt, wenn die Erde ohne Schwierigkeiten fast die doppelte Zahl der gegenwärtigen Weltbevölkerung normal ernähren könnte, würden die Nahrungsmittel nur gerecht und gleich verteilt. Die Ungleichverteilung des Reichtums und der unablässige Krieg der Reichen gegen die Armen finde ich unerträglich. Als eine Beleidigung der Vernunft empfinde ich den Obskurantismus (gegen die Aufklärung gerichtete Politik), die Dummheit des neoliberalen Wahns, die Erhebung der Marktkräfte zum Naturgesetz, die Manipulation der Konsumenten. Die Umweltzerstörung, der Raubbau an unseren natürlichen Ressourcen, das langsame Sterben des Planeten sind einfach pompös. …“

Gegen Ende seines Buchs versucht Jean Ziegler eine Zusammenfassung.

„… Zohra: Nach allem, was du mir gesagt hast und was ich verstanden habe, wollen die Kapitalisten weder die Gleichheit aller Menschen, noch die Sicherheit für jeden.

Jean Ziegler: Das ist in der Tat nicht ihr Problem. Soziale Gerechtigkeit, Brüderlichkeit, Mitmenschlichkeit, Freiheit? Universelle Solidarität unter den Völkern, öffentliches Interesse, Allgemeinwohl, freiwillig akzeptierte Ordnung, das Gesetz, das befreit, divergierende Bestrebungen durch eine gemeinsame Regel gebändigt? Alte Hüte, Träumereien von gestern, die den jungen, effizienten Managern der transnationalen Konzerne ein verächtliches Lächeln entlocken!

Die haben eine andere Agenda. Das Grundprinzip des kapitalistischen Systems ist der Profit. Die unerbittliche Konkurrenz zwischen allen Individuen und Völkern. Die Logik des Kapitals gründet auf Konfrontation, Vernichtung des Schwachen, auf Krieg. Krieg durch Zerstörung, Wiederaufbau und Waffenhandel ist eine unerschöpfliche Quelle des Profits.

Lass es dir noch einmal sagen, Zohra: Das kapitalistische System lässt sich nicht schrittweise und friedlich reformieren. Wir müssen den Oligarchen die Arme brechen, ihre Macht zerschlagen.

Zohra: Aber Jean, während all unserer Gespräche hast du von der Allmacht der Herren des kapitalistischen Systems gesprochen. Wie kann es da den Schwächsten gelingen, den Stärksten die Arme zu brechen?

Jean Ziegler: Wir haben beide, du und ich, viel von Karl Marx gesprochen. In einem Brief an seinen Freund Josef Wedemeyer schreibt er: „ Der Revolutionär muss imstande sein, das Gras wachsen zu hören.“ Ich garantiere dir, gegenwärtig wächst das Gras! ..“

Jean Ziegler thematisiert in seinem Buch die Geschichte des Kapitalismus, sein aktuelles Handeln und die Notwendigkeit des entschlossenen Kampfes. Er verwendet dabei Formulierungen, die von allen fortschrittlichen und revolutionären Menschen bei täglichen Gesprächen gut verwendet werden können. Es ist lesenswert und hilft mit vielen aktuellen Beispielen.

Jean Ziegler: Was ist so schlimm am Kapitalismus – Antworten auf die Fragen meiner Enkelin, Verlag C. Bertelsmann; 15,00 Euro

HM