Enteignung im Kapitalismus

Zur aktuellen Diskussion um das Thema Enteignung veröffentlichen wir erneut zwei Artikel. Hier ein Beitrag vom 1. November 2009:

Ständig wettern die Propagandisten des Kapitals gegen Enteignung. Der Sozialismus ist für sie ein Verbrechen, weil er das „heilige“ Privatkapital enteignet. Doch das Kapital enteignet selbst beständig hemmungslos.

Dabei machen sie im Interesse des Erhalts ihrer Gesellschaftsordnung oder im Rahmen des Konkurrenzkampfes selbst vor ihren Klassenkollegen nicht halt. Ganz frisches Beispiel: Die Pleitebank Hypo-Real-Estate (HRE) wurde per Gesetz enteignet. Damit – selbstredend im Gesamtinteresse des Kapitals  – die deutsche Bundesregierung diese nun vollständig in die Hand bekommt, werden sogar Aktienbesitzer gegen Zwangsentschädigung aus der Aktiengesellschaft hinausgedrängt, ein Akt der Enteignung (sqeezing-out). Dies betraf sogar den amerikanischen Fondsbesitzer, der zuvor die Mehrheit der HRE besaß.

Aber es gibt jede Menge weitere Beispiele.

Beispiel Bauern

Wenn das Großkapital über die EU plant, dass es zu viele kleine Bauern gibt und dann per Verordnung die Rahmenbedingungen so geändert werden, dass zigtausende Bauernhöfe sterben müssen, was ist das anderes als Enteignung? Ein solcher Prozess findet gerade bei den Milchbauern statt. Die großen Nahrungsmittelkonzerne wollen in diesem Bereich eine industrielle Produktion durchsetzen, durch die erst eine für sie lohnende Kapitalverwertung möglich wird. Ein bäuerlicher Kleinbetrieb, der gut von seiner Arbeit leben kann, ist für das Kapital uninteressant, ja sogar ein Hindernis. Denn hier lässt sich kein Profit machen. An einem ruhigen, auskömmlichen Leben der arbeitenden Menschen hat das Kapital kein Interesse. Und angesichts der ungeheuren wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Kapitalismus müssen die Herrschenden danach streben, immer größere Teile der Wirtschaft in den Kapitalkreislauf hineinzuzwingen, um die Profitmöglichkeiten für das Kapital auszuweiten.

Im Fall der Milchbauern besteht die Enteignung durch das Kapital darin, dass ihnen das alte Recht auf Milchquote geraubt wird. Für die Bauern bedeutete das einen Schutz, sozusagen ein kleines Stück Planwirtschaft im Chaos des kapitalistischen Konkurrenzkampfes. Mit der Milchquote konnte ein Bauer relativ stabile Einnahmen erzielen und seine Produktion einigermaßen planen. Das hat das Wirtschaften erleichtert, das Risiko begrenzt und ein halbwegs auskömmliches Leben ermöglicht. Mit der nun beschlossenen schrittweisen Abschaffung der Milchquote wird den Bauern ihr bisheriger Besitzstand enteignet. Durch die Vergrößerung des Marktdruckes werden viele Bauern aufgeben müssen und große Einheiten gefördert. In diesen großen Einheiten, die als GmbH, AG oder KG gestaltet werden, kann großes Kapital Gewinn bringend investiert und der Agrarmarkt weiter monopolisiert werden. Fachleute im Agrarbereich können anhand der Maßnahmen vorher bereits abschätzen wie viele tausend Bauern ungefähr dabei Pleite gehen. Die Enteignung der kleineren Bauern ist direktes Ziel und erwünscht.

Wenn auch die Bauern zunächst einmal ihre Interessen als Kleineigentümer vertreten und sich gegen die Enteignung durch das Kapital wehren, um ihr Eigentum zu verteidigen und zu erhalten, so zeigen doch die Forderungen der Milchbauern nach Beibehaltung oder gar Verschärfung der Milchquote, dass die Entwicklung des Kapitalismus sie zwingt, für eine Planung ihrer Produktion zu kämpfen. Denn die Quote ist nichts anderes, als – wenn auch rudimentäres – geplantes Wirtschaften nach Bedürfnissen. Wenn auch eine solche Forderung innerhalb des Kapitalismus vor allem unter imperialistischen Bedingungen nicht realisiert werden kann, so ist sie doch fortschrittlich und zukunftsweisend. Die Bauern wollen ein Wirtschaften nach Plan und Bedürfnissen der Gesellschaft – ohne die Schwankungen des Marktes, ohne Überproduktion oder Mangel. Das ist sinnvoll und im Interesse der Arbeiter und Angestellten, aber es steht im völligen Gegensatz zu den Interessen der Kapitalisten, die sich immer weitere Bereiche der Gesellschaft rücksichtslos unterwerfen wollen.

Beispiel Gesundheitswesen

Seit Jahren findet hier eine heimliche Enteignung statt. Mit den verschiedenen Gesundheits“reformen“ der zurückliegenden Jahre wurden beispielsweise kleine kommunale Krankenhäuser immer unwirtschaftlicher. Man veränderte einfach die Bezahlung, z. B. durch die Einführung der Fallpauschalen. Das führte dazu, dass große Krankenhäuser kostengünstiger arbeiten können. Die kleinen Krankenhäuser gerieten in die roten Zahlen und werden nun Schritt für Schritt geschlossen oder an große Konzerne verkauft, die dann die Kapazitäten auf wenige Standorte konzentrieren und spezialisieren. Erklärtes Ziel ist: Profit! Durch diese Politik werden Kommunen enteignet. Ebenso werden die Kranken einer wohnortnahen Versorgung beraubt. Und unter dem Druck, Höchstprofite zu erzielen, werden auch die Beschäftigten im Gesundheitswesen in gewisser Weise enteignet. Alte Rechte, erkämpfte Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen werden über Bord geworfen. Zahlreiche Bereiche werden ausgegliedert und dabei Löhne gedrückt und Arbeitszeiten erhöht. Auch das ist eine Form der Enteignung. Für die Interessen großer Medizinkonzerne wird der Gesundheitssektor wirtschaftlich so ruiniert, dass Kommunen gezwungen werden, ihren Besitz billigst zu verkaufen, und Beschäftigte ihre Arbeitskraft billiger verkaufen müssen.

Im Bereich der Kurkliniken hat diese kapitalistische Enteignung schon in einem länger zurückliegenden Prozess statt gefunden. Für einige Zeit wurden Kuren vom Staat im Interesse großer Medizinmonopole so zurück gefahren, dass viele kleine Kurkliniken in den Ruin getrieben wurden. Die Häuser konnten von den großen Kurkonzernen für einen Spottpreis aufgekauft werden. Innerhalb kürzester Zeit wurden große Klinikketten aufgebaut, die sehr profitabel arbeiten können. Danach wurden Kuren wieder etwas ausgeweitet, sodass sich das angelegte Kapital auch verwerten lässt.

In gleicher Weise sollen allmählich die Apotheken sturmreif für eine Verwertung durch das Kapital gemacht werden. Und mit der neuesten Gesundheitsreform (siehe AZ 5/09); sollen auch Arztpraxen in große Ketten eingegliedert werden. Mit den ständig wechselnden Gesundheitsreformen wird die Planung für viele Ärzte immer schwieriger und die finanzielle Grundlage unsicherer. Insbesondere kleine Arztpraxen und Ärztinnen bzw. Ärzte, die besonders gründlich und Zeit aufwendig arbeiten, verdienen immer weniger. Bewusst wird Konkurrenz verschärft. Zugleich wird die Möglichkeit geschaffen, Einzelpraxen aufzukaufen und zu so genannten MVZ (Medizinischen Versorgungszentren) auszubauen. Auch dazu stehen die Konzerne, die bereits Kurkliniken und Krankenhäuser massenhaft aufgekauft haben, bereit. Die ersten Schritte sind getan.

Enteignet werden in diesem Prozess sowohl die Ärzte als auch die Patienten. In dem leider weitgehend ständischen Protest der Ärzte gegen diese Enteignung gibt es auch einige fortschrittliche Elemente. So wollen die meisten Ärzte endlich einmal feste Honorare, also Planbarkeit. Obwohl das ganz und gar nicht der Ideologie vieler Ärzte entspricht, die sich als stolze Kleineigentümer sehen, geben sie damit unbeabsichtigt zu, dass Planung für sie wichtig ist. Sie brauchen verlässliche Grundlagen für ihre Arbeit. Für die meisten Ärzte bedeutet die Unsicherheit des kapitalistischen Marktes ein hohes Risiko und der mögliche Untergang. Viele sehen das noch nicht klar und lassen sich deshalb vor den Karren der großen Konzerne spannen, indem sie mehr private Eigenbeteiligung und damit mehr Markt fordern. Aber dieses legitime Interesse wird die materielle Grundlage dafür bilden, dass immer mehr Ärzte Arbeitsverhältnisse mit einem Gehalt eingehen werden, und dass das einmal für die meisten normal sein wird.

Objektive Gesetze

Letztlich sind es die objektiven Gesetze der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die hinter diesen Prozessen stehen. Die Krise des Kapitalismus ist kein Zufall. Sie ist Ergebnis des chaotischen Wirtschaftssystems, indem jeder gegen jeden kämpft und jeder versucht, für sich den größten Kuchen an Umsatz und Gewinn zu ergattern. Da das alle tun, kommt es immer wieder zu Überproduktionskrisen, wo mehr produziert wird, als Gewinn bringend verkauft werden kann. Dann werden Milliardenwerte in kürzester Zeit vernichtet. Selbst neue Produktionsanlagen rotten still vor sich hin. Qualifizierte Arbeitskräfte liegen auf der Straße. Kapital wird nur eingesetzt, wo es Profit bringen kann. Um die Grenzen der kapitalistischen Profitwirtschaft zu sprengen und die engen Fesseln, die ihnen ihr eigenes System anlegt, abzustreifen, suchen die Kapitalisten nach immer neuen Bereichen, wo sie Profit erzielen können. So wird zunehmend die gesamte Gesellschaft dem Profit unterworfen und erobert.

Wenn jetzt z. B. die Bauern und die Ärzte in diesem Prozess dran sind, dann ist das ein Resultat der Krise und des Niedergangs des Kapitalismus. Es ist allerdings auch ein Resultat der stürmisch voran schreitenden technischen Entwicklung. Moderne Technik erfordert auch in Bereichen wie Landwirtschaft und Medizin, die lange noch als Einzelwirtschaft geführt werden konnten, immer höhere Investitionen und immer stärkere Spezialisierung. Die Konzentration ist also auch ein notwendiger Prozess.

Zwei Wege

Wie sich in Ansätzen auch im Widerstand der betroffenen Klassen und Schichten ausdrückt, gibt es nur zwei Wege, darauf zu reagieren:

Der eine ist der Weg der kapitalistischen Enteignung, der Unterordnung unter die großen Monopole und ihre Profitinteressen. Dieser Weg wird mit aller Macht von unserem Staatsapparat und den Kapitalisten beschritten.

Im Protest kommt jedoch auch ein ganz anderer Ansatz zum Vorschein. Die Bauern wollen Planbarkeit. Sie wollen feste Preise und feste Abnahmemengen, damit sie mit ihren Familien in Ruhe leben können. Die heutige Wirtschaftsordnung mit ihrer rasanten Entwicklung der Technik schreit geradezu nach einer Planung, gegen das zerstörerische Chaos des Marktes. Das haben viele Bauern bereits gespürt. Auch in einzelnen Forderungen im Ärzteprotest, wird das Bedürfnis nach Planung gegen den brutalen, rücksichtslosen Konkurrenzkampf auf dem Markt sichtbar. Leider nicht so deutlich wie bei den Bauern. Aber auch hier zeigt sich, dass die moderne Medizin im Griff des kapitalistischen Krisensystems nicht gut aufgehoben ist. Für die Medizin mit ihren wachsenden Möglichkeiten wäre eine Planung nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen und Notwendigkeiten dringend erforderlich. Das würde es Ärzten ermöglichen, in Ruhe, fachlich solide und auf hohem wissenschaftlichem Niveau ihre Arbeit zu machen.

Der Kapitalismus lässt das nicht zu!

Der Sozialismus ist aufgrund der Entwicklung der Technik, Wissenschaft und Wirtschaft dringend notwendig geworden. Das würde selbstverständlich auch Enteignung bedeuten. Allerdings Enteignung des Großkapitals zum Wohle der Gesellschaft und Überführung diese Privateigentums in das kollektive Eigentum der Gesellschaft. Für die Bauern wie auch für die Ärzte und viele andere Schichten dieser Gesellschaft gäbe es im Sozialismus viele Möglichkeiten. Auf der Basis freiwilliger, genossenschaftlicher Zusammenschlüsse könnte der notwendige Prozess der Konzentration, der Spezialisierung so durchgeführt werden, dass niemand um die Früchte seiner persönlichen Anstrengungen betrogen wird und zugleich die Gesellschaft die Möglichkeit zu einer vernünftigen Planung erhält. Voraussetzung jedoch ist die radikale Beseitigung des Kapitalismus mit seiner zerstörerischen Wirkung. Voraussetzung ist auch, dass Klassen und Schichten wie Bauern, Ärzte und andere  bereit sind, auf ihren überholten Status als Selbständige zu verzichten und sich für eine gemeinsame Zukunft mit den Arbeitern und Angestellten, der Jugend, den Rentnern – gegen das Kapital – entscheiden.

 

 

Anmerkung:
Wir verweisen als Ergänzung auf
einen weiteren Artikel
Enteignung – Alltag im Kapitalismus“,
der bereits 2006 in „Arbeit Zukunft
erschienen ist