Enteignung – Alltag im Kapitalismus

Zur aktuellen Diskussion um das Thema Enteignung veröffentlichen wir erneut zwei Artikel. Hier ein Beitrag vom 4.Mai 2006:

Das Kapital wettert gegen Enteignung. Vor nichts hat das
Kapital mehr Angst als seiner Enteignung.

Im GG ist daher der Schutz des Privateigentums
festgeschrieben: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.“
GG, Artikel 14,1

Allerdings enteignet das Kapital andere sehr gern. Das
System des Kapitalismus beruht auf permanenter Enteignung. Karl Marx meinte:

„Die Schranken, in denen sich die Erhaltung und
Verwertung des Kapitalwerts, die auf der Enteignung und Verarmung der großen
Masse der Produzenten beruht, allein bewegen kann, diese Schranken treten daher
beständig in Widerspruch mit den Produktionsmethoden, die das Kapital zu seinem
Zweck anwenden muss und die auf unbeschränkte Vermehrung der Produktion, auf
die Produktion als Selbstzweck, auf unbedingte Entwicklung der
gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit lossteuern.“
(Karl Marx: Das
Kapital, MEW Bd. 25, S. 260)

Zur Geschichte der Enteignung

Ursprünglich gab es kein Privateigentum in der menschlichen
Gesellschaft. Es gab kein Grundbuchamt, bei dem man seinen Besitz an Grund und
Boden eintragen lassen konnte. Alles gehörte allen. Das bedeutet natürlich
nicht, dass diese Gesellschaft ideal war. In der Frühzeit der Menschheit war
der Kampf ums Überleben hart. Aber es gab kein Privateigentum.

Der Begriff „privat“ kommt von dem lateinischen Wort
„privare“, was rauben bedeutet. Tatsächlich konnte das Privateigentum nur durch
Raub, durch Aneignung des allgemeinen Eigentums erfolgen. Mit den ersten
Gesellschaften, die auf Sklaverei basierten (z.B. Zweistromland, Ägypten,
Griechenland, römisches Reich), eigneten sich die Fürsten das bisherige
Gemeineigentum an.

Das Mittelalter war gekennzeichnet durch das Bauernlegen. Im
Bauernkrieg 1525 wandten sich die Bauern auch gegen diese Form der gewaltsamen
Enteignung und ihrer Entrechtung durch die Leibeigenschaft.

„Dies gilt auch für Deutschland. Wo bei uns große
Agrikultur besteht, also namentlich im Osten, ist sie erst möglich geworden
durch das, seit dem 16. Jahrhundert, namentlich aber seit 1648, eingerissene
»Bauernlegen«.- F. E.“
(Anmerkung von Friedrich Engels in Marx: Das Kapital.
Marx/Engels: MEW Bd. 23)

Ab 1530 gab es in England Gesetze zur Zwangsarbeit. Mit der
Industrialisierung wurde diese Zwangsgesetzgebung ausgedehnt, um von den
Feudalherren „freigesetzte“ Bauern in die Industrie zu zwingen. Menschen wurden
ihrer Rechte enteignet.

Die Eroberung Mittel- und Südamerikas ist ein einziger
Raubzug. Fugger übernahm als Entschädigung für Kredite an den spanischen König
und deutschen Kaiser die Silberbergwerke in den neu eroberten Gebieten. Eduardo
Galeano beziffert die „Kosten“ des Silberabbaus auf die Leichen von 9 Millionen
Indios! Hier wurden die Menschen sogar ihres Lebens enteignet und die Länder
Lateinamerikas ihrer Naturschätze enteignet. Die vielen Millionen Euro, die das
geraubte Silber wert war, ermöglichte die Industrialisierung und Entwicklung
des Kapitalismus in Europa.

 Ganz in diesem Sinne
verlief auch der Sklavenhandel in die spanischen und englischen Kolonien
Amerikas. Mit Hilfe dieses Menschenhandels und der gnadenlosen Ausbeutung bis
zum Tod wurde ungeheuer viel Kapital angesammelt (akkumuliert), dass mit eine
Grundlage des modernen kapitalistischen Systems war.

Aber auch in der Neuzeit setzte das Kapital seinen Kurs der
Enteignung der Armen gnadenlos fort.

So wurden die Kolonien weiterhin ihrer natürlichen und
menschlichen Ressourcen beraubt und so enteignet.

In der NS-Zeit hat sich das deutsche Kapital gewaltsam
jüdisches Vermögen in vielfacher Millionenhöhe angeeignet, das in der Regel
nach dem Sturz des NS-Regimes nicht zurückgegeben werden musste. Auch die
Zwangsarbeit in KZs sowie von Kriegsgefangenen und Deportierten ist ein
Beispiel für die Enteignung der Ärmsten zugunsten des Kapitals. Porsche ist ein
Beispiel dafür wie sich das Kapital durch Enteignung und Zwangsarbeit
bereicherte. Porsche hatte zu Beginn des NS-Regimes nur ein kleines
Ingenieurbüro in Stuttgart-Zuffenhausen. Mit Geldern der Deutschen Arbeitsfront,
die aus dem geraubten Vermögen der mittlerweile verbotenen freien
Gewerkschaften stammten, konnte er Ende der 30er Jahre sein Werk 1 in
Stuttgart-Zuffenhausen errichten. Später forderte er für die Volkswagenwerke
massiv Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge an. So nahm er von 1937 bis 1945 20,6
Millionen Reichsmark für seine „Dienstleistungen“ für das NS-Regime ein. Dieses
Geld diente nach 1945 als Grundstock für die Errichtung des Porschewerkes. Die
ihres Lebens und ihres Lohnes enteigneten KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter
erhielten meist gar nichts oder nur geringfügige Entschädigungen.

Diese Enteignung von Millionenvermögen wird durch das
bürgerliche Gesetz legalisiert.

Auch die Inflation von 1923 und Einführung der DM 1949 waren
zwei groß angelegte Enteignungsmanöver gegen das Volk. In beiden Fällen behielt
das Kapital seine Produktionsstätten, Produkte, Waren usw. während die
Ersparnisse, Renten usw. der breiten Massen weitgehend durch Entwertung
enteignet wurden.

Enteignung heute

Auch in der BRD ist Enteignung möglich und wird in großem
Stil durchgeführt, z.B. für AKWs, Wiederaufbereitungsanlagen, Straßenbau,
Flughafen Frankfurt, Großflughafen Berlin, Flughafen Stuttgart. Ein Beispiel
ist der derzeitige Neubau der Fildermesse Stuttgart. Dafür wurde extra ein
Enteignungsgesetz, das „Landesmessegesetz“ geschaffen. Da trotzdem viele Bauern
ihr Land nicht für das neue Messegelände verkaufen wollten, wurden sie
wirtschaftlich unter Druck gesetzt, bis sie „freiwillig“ verkauften. Dem
Kapital ist Eigentum keineswegs heilig, wenn es nicht ihm gehört.

Das gilt auch für das Volksvermögen in der DDR. Rechtlich
war das ganze Vermögen Eigentum des Volkes, wenn auch das Volk unter der
Herrschaft der entarteten DDR-Führung keine Mitwirkungsrechte mehr hatte. Nach
der Wiedervereinigung wurde dieses Riesenvermögen schnell enteignet und dem
Kapital wieder zugeführt.

Ein ganz aktuelles Beispiel ist die Rente mit 67. Man muss
zwangsweise Beitrag in die Rentenversicherung einzahlen, hat damit aber keine
gesicherten Ansprüche. Ständig werden durch die Herrschenden Rentenansprüche
gekürzt, nur damit das Kapital weniger Arbeitgeberbeiträge für die
Rentenversicherung zahlen muss. War früher z.B. die Krankenversicherung der
Rentner kostenlos, wurde dies schrittweise abgeschafft. Damit wurden die
Rentner enteignet. Das gleiche gilt für die Dynamisierung der Renten, die
abgeschafft und somit Rentenansprüche enteignet wurden. Ebenso wurde die
Anrechnung von Ersatzzeiten für die Ausbildung dramatisch gekürzt und damit
Rentenansprüche enteignet.

Weitere Beispiele sind das ALG2 durch Hartz IV sowie die
permanenten Leistungskürzungen in der Krankenversicherung bei ständig erhöhten
Zuzahlungen. Dies ist Enteignung! Formal zahlt man Versicherungsbeiträge und
hätte damit ja eigentlich Anspruch auf eine bestimmte vertraglich festgelegte
Leistung, nicht hier.  Politik und
Kapital enteignen ständig die Rentner, die Arbeitslosen, die Kranken…

Alles nur geklaut?

Historisch ist die Grundlage aller Klassenherrschaft Raub.
Auch das moderne Kapital ist zu einem großen Teil durch Raub entstanden. Allerdings
beruht das ökonomische System des Kapitalismus nicht hauptsächlich auf offenem Raub
Die ökonomische Grundlage ist die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft und zwar in
der Regel zu ihrem Marktwert. Die Ware Arbeitskraft erzeugt mehr Wert als sie
selbst Wert hat. Formal ist das kein Raub, real ist es natürlich auch Raub, den
man nur nicht so offensichtlich erkennen kann. Egal ob offen oder verdeckt, das
Kapital existiert nur durch Bereicherung auf Kosten der überwiegenden Mehrheit
der Gesellschaft.

Gibt es keine Alternative zum Kapitalismus?

Der „Stern“, 6.4.06, schreibt in seiner aktuellen Serie über
den Kapitalismus:

„Eine echte Alternative zum Kapitalismus ist weder in
Sicht noch wirklich wünschenswert. Doch wie er gestaltet werden soll, ist eine
Frage, welche die Menschen zu entscheiden haben, die in ihm leben.“

Eine Begründung, warum es keine echte Alternative geben
soll, gibt der Stern natürlich nicht. Er möchte die Menschen auf die „Gestaltung“
des Kapitalismus beschränken. Er möchte lieber, dass man am räuberischen, kapitalistischen
System rummurkst.

Doch am Ende schreibt er vorsichtig:

„Man sollte da nicht voreilig sein. Aus der Geschichte
lässt sich nur eine sichere Lehre ziehen: Nichts bleibt, wie es war.“

Stimmt! Nachdem sie Sklavenhaltergesellschaft untergegangen
ist und der Feudalismus revolutionäre gestürzt wurde, hört die menschliche
Geschichte nicht auf. Auch das kapitalistische Gesellschaftssystem wird
verschwinden. Die Menschheit wird sich weiter entwickeln.

Denn mit seiner Räuberei bedroht das Kapital die gesamte
Menschheit

Das Kapital kennt keinen Spaß, wenn es um seine Interessen
geht. Kriege wie Irak, wo Menschenleben für die Beherrschung der Ölvorräte
geopfert werden, zeigen dies deutlich. In seinem Streben nach Profit kennt der
Kapitalismus keine Grenzen Er vernichtet die Umwelt. Er erhöht seine Profite
mit rücksichtsloser Kinderarbeit und mit der Sklaverei ähnlichen Zuständen in
vielen Ländern der Erde wie z.B. in China. China ist nicht umsonst Favorit der
europäischen Topmanager als Wirtschaftstandort (siehe dazu „Unternehmerparadies
China: Schuften bis zum Tod“ unter: http://www.arbeit-zukunft.de/index.php/item/96.

„»Kapital«, sagt der Quarterly Reviewer, »flieht Tumult
und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die
ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen horror vor Abwesenheit von Profit oder
sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit
wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20
Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent
stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es
existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des
Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide
encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel.« (T. J. Dunning, l.c. p.
35, 36.)“
[Zitiert als Anmerkung von Marx in: Das Kapital. MEW Bd. 23]

Dass dies keine leeren Worte sind, zeigen die zahlreichen in
diesem Artikel angeführten Beispiele, wo das Kapital für seinen Profit
bedenkenlos bis heute Menschenleben opfert. Aber auch um seine Herrschaft zu
sichern, schreckt es nicht vor Mord zurück. So geschah es in der Novemberrevolution
1918 in Deutschland, als neben Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zahlreiche
Menschen umgebracht wurden, um die Herrschaft des Kapitals aufrecht zu
erhalten. Auch die Herrschaft des Faschismus diente dem Erhalt des Kapitals
gegen die erstarkende revolutionäre Bewegung. Zehntausende Kommunisten und
Gegner des NS-Regimes kamen in KZs. Viele von ihnen wurden umgebracht.

Wenn das Kapital gegen Enteignung wettert, dann ist das
reine Demagogie und eigenes Klasseninteresse. Das Kapital beherrscht durch
seine Reichtümer die Welt. Wenn es das Privateigentum heilig spricht, dann
spricht es seine eigene räuberische Herrschaft heilig. Hingegen kennt es
keinerlei Hemmungen, Menschen zu enteignen und auch ihres Lebens zu enteignen,
um seinen Profit zu mehren und seine Herrschaft zu erhalten. Die Befreiung der
Welt vom Kapitalismus, die Enteignung des Kapitals ist daher ein großer
Fortschritt und eine riesige Erleichterung für die große Masse der Menschen auf
diesem Erdball. Die Enteignung des Kapitals ist eine notwendige Voraussetzung
für die Schaffung einer neuen, menschlicheren Gesellschaftsordnung. Mit der
Enteignung des Kapitals wird die Enteignung der Arbeiter, Angestellten, Rentner,
Jugendlichen, der Familien usw. beendet sein. Dann werden endlich die
gesellschaftlichen Reichtümer auch von der gewaltigen Mehrheit der Gesellschaft
beherrscht und zu ihrem Nutzen eingesetzt werden können. Die Arbeiterklasse
wird dann die gesellschaftliche Produktion eigenverantwortlich leiten müssen.
Die raschen Veränderungen in der kapitalistischen Produktion mit ihren immer
höheren Anforderungen schaffen dafür teilweise die Voraussetzungen.
Entscheidend ist jedoch, dass die Arbeiterklasse auch politisch bewußt ihr
Schicksal in die eigenen Hände nimmt. Nur so kann sie das Kapital enteignen,
ihm seine Macht entreißen und dauerhaft eine andere, sozialistische
Gesellschaftsordnung aufbauen.

dm