PCB im Geflügelfleisch
Im letzten November fand man zunächst in einem Schlachtbetrieb in Ostwestfalen PCB-belastetes Geflügelfleisch. Als Quelle wurden mehrere hundert Tonnen Futtermittel der Firma Agravis ermittelt. Das PCB-Gemisch soll aus Lackabsplitterungen zweier Verladezellen des Unternehmens am Standort Minden stammen und ins Futter gelangt sein.
Daraufhin wurden reihenweise weitere Mastbetriebe in NRW, Niedersachsen und anderen Bundesländern gesperrt, in NRW 41, in Niedersachsen „mehr als 27“. Betroffenes Geflügel sollte „aus dem Verkehr gezogen“ werden, auf einem Hof in Nienburg z.B. 4.000 Puten. Eine Gefahr für Verbraucher habe aber nicht bestanden, versichern „die Behörden“ – die PCB-Belastung sei so groß, als wenn man ein Stück Würfelzucker im Bodensee auflöse, so eine Veterinärin. Ob das die Puten tröstet? Immer wieder wird mit dem Hinweis auf „kleine Mengen“, die Grenzwerte oder Grenzschwellen nicht überschreiten, von verantwortlicher Seite her gearbeitet. Dabei werden fast ausschließlich die untersuchten Stoffe einzeln bewertet. Was aber ist, wenn in unserem Körper mehrere Giftstoffe – jeder einzelne unterhalb der gesetzlich zugelassenen Grenzwerte – zusammen kommen? Wirkt jeder einzeln oder wirken sie gemeinsam und setzen z.B. gegenseitig die „unbedenklichen“ Grenzen herab? Und in unserer Nahrung befinden sich Herbizide, Fungizide, Insektizide… und eben auch PCBs!
Was sind eigentlich PCBs?
Kasten: Die 209 verschiedenen Verbindungen der PCB-Gruppe gehören zum „Dreckigen Dutzend“, den 12 giftigsten Stoffgruppen – künstlich hergestellt und daher auf natürliche Weise kaum abbaubar. Sie sind wasserunlöslich, lagern sich aber im Körperfett ab und reichern sich dort an. AZ hat im Zusammenhang mit dem fast fünf Jahre dauernden Envio-Prozess in Dortmund immer wieder darüber berichtet – das soll es deswegen als Vorinformation sein. Die Artikel sind auf unserer HP zu finden.
Bausünden – PCB vergiftet uns alle!
Vor allem in den sechziger und siebziger Jahre wurde in der damaligen BRD in tausenden Schulen, Universitätsgebäuden und auch Wohn-Silos PCB beim Bau verwendet – insgesamt etwa 24.000 Tonnen.- für Fugen, Farbanstriche u.ä. Seine Verwendung wurde in Deutschland erst 1989 verboten, obwohl der diese Stoffe zuerst herstellenden Firma Monsanto die Giftwirkung schon seit 1937 bekannt ist – weltweit sollen etwa 1,2 Millionen Tonnen hergestellt worden sein bis zum Verbot.
Es gibt eine Krankheit, die eindeutig auf PCB zurückzuführen ist: Chlor-Akne. Doch für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) steht auch fest: PCBs sind (!) krebserregend. Wissenschaftliche Untersuchungen haben aber noch zahlreiche weitere Folgen bewiesen. „Man weiß sehr viel über Wirkungen von PCBs auf den menschlichen Organismus – die Wirkungen sind sehr unterschiedlich und können verschiedene Organe betreffen,“ so Prof. Kraus von der Uni Aachen, Leiter des Betreuungsprogramms für Dortmunder PCB-Opfer. Hier eine (unvollständige) Liste: Erkältungsanfälligkeit, Durchfall, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwäche, Wortfindungsprobleme, Reizbarkeit, Depression, Gehirnschäden, Schädigung des Erbmaterials, Organschäden z.B. an Schilddrüse, Leber, Milz – und das schon im Mutterleib. Es fällt auf: Abgesehen von der Chlor-Akne kann all das auch andere Ursachen als PCB haben – und das nutzen die Vergifter und Politiker aus.
Von den oben genannten 24.000 Tonnen sind laut 2015 gemachten Angaben mehr als die Hälfte immer noch in den heute noch genutzten Gebäuden – trotz „Sanierung“. Sie befinden sich nicht mehr nur in den Fugen, Deckenplatten u.ä., sondern sind – vor allem bei warmer Innentemperatur – „ausgegast“ und in Betonwände, Fußböden, Mobiliar eingedrungen. Von dort aus strömen sie in die Luft und werden eingeatmet und im Fettgewebe angereichert. Es gibt von denen da oben einen guten Tip, wie man das vermeiden kann: Gut lüften!
Also Fenster auf und nach draußen mit dem PCB-belasteten Staubpartikeln – dann kriegen die Nachbarn wenigstens auch etwas mit! Fast 10 Tonnen sollen so im Jahr „frei“ werden. „Aus den Städten kommt eine richtige PCB-Wolke,“ so eine Bewohnerin der Umgebung. Die Wolke kommt mit dem Regen in die Erde, ins Grundwasser und in die Flüsse, so ins Meer und bedroht sogar die polare Tierwelt. Übrigens: Schwangere Frauen sollten laut Empfehlung von „oben“ auch trotz guten Lüftens in solch einem Raum nicht unterrichten – nanu?
Oder so: „Es muss sich niemand Sorgen machen – sonst wären wir gesetzlich gezwungen, einfach die Gebäude zu schließen“, so Bernd Selmann vom Amt für Vermögen und Bau in Tübingen zur Belastung der Uni-Gebäude. Ach ne, wir brauchen uns nur Sorgen zu machen – und schon springen die Ämter usw.? Da berichten Betroffene und Besorgte aber etwas ganz anderes: Immer wieder Verharmlosung, Verschleppung…
Laut offizieller Auskunft sind übrigens an der Uni Tübingen trotz der belasteten und weiter genutzten Räume keine Auswirkungen von PCB bekannt. Hat man die denn untersucht? Hat es unter den Zigtausenden Studentinnen und Studenten, dem Lehrpersonal und den übrigen dort arbeitenden Menschen nie jemanden mit Durchfall gegeben, mit… siehe die Liste oben? Und wenn doch: Wie hat man untersucht, dass dafür nicht PCB die Ursache war?
Halt mal – da fällt uns der fast fünf Jahre dauernde Envio-Prozess in Dortmund ein. Hat sich das Gericht da nicht alle Mühe gegeben und konnte trotz besten Willens (ha ha) den Angeklagten nichts nachweisen? Und in den Envio-Hallen waren die PCB-Werte nachweislich (!) viel höher als in so einem Schulraum. Na bitte, kein Grund zur Sorge! Da könnte man glatt auf den Gedanken kommen, der Prozess in Dortmund wäre nur aus dem Grund so in die Länge gezogen worden, um den für „Bau und Vermögen“ Verantwortlichen Munition gegen besorgte Bürgerinnen und Bürger zu liefern…
Im Jahr 1994 legte das Umwelt-Bundesamt in Berlin folgende (von der WHO längst als viel zu hoch angesehene) Grenzwerte für die PCB-Belastung in geschlossenen Räumen fest:
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0-300 n(anno)g(ramm) / m: unbedenklich
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301-3000 ng: PCB-Quelle mittelfristig beseitigen
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über 3000 ng: PCB sofort entfernen.
Die WHO fordert eine Absenkung der „Unbedenklichkeitsstufe“ auf 60 ng – auch eine Abteilung des UBA Berlin spricht sich dafür aus, doch dort hängt „man“ an alten Werten… Und die Bundesregierung ist der Ansicht, die Belastung der Luft sei „per se sehr gering“.
Bei der Frage „Sanierung“ oder gar dem „Abriss und Neubau“ spielen offenbar wirtschaftliche Gründe eine Rolle, auch beim Festhalten an den veralteten Grenzwerten? Das UBA Berlin wäre da fein heraus und könnte massiven Maßnahmen wohl zustimmen – doch konkret ist das dann Sache der Länder bzw. Kommunen. Dazu ein Stadt-Kämmerer: „Das kostet einen Haufen Geld.“ Und das nur für die Gesundheit der Bevölkerung?
Wir zitieren aus der Dokumentation “Das vergessene Gift – wie PCB uns alle belastet“ des swr: „Bei PCB geht es immer wieder um Grenzwerte und Kosten – dabei müsste es um den politischen Willen gehen, die Gesundheit aller bestmöglichst zu schützen.“
Der Toxikologe Hans-Ulrich Hill fordert eindeutig: „Die PCB-Belastung muss auf Null heruntergedrückt werden!“
Ein Hoffnungsschimmer nicht nur für PCB-Geschädigte in Dortmund:
Von einem Mitarbeiter der Bürgerinitiative für die Aufklärung des PCB-Skandals in Dortmund erhielten wir nun folgenden Bericht:
Viele PCB-belastete Menschen werden seit Jahren an der Technischen Universität Aachen von einem Forscherteam unter der Leitung von Prof. Kraus im Rahmen des Betreuungsprogramms untersucht – vor allem ihre Blutwerte. Einer der Untersuchten fragte in einem Brief in Aachen nach, warum denn das Blut auf die PCB-Menge hin untersucht würde – dort sei es doch nur kurze Zeit und werde bald in fetthaltigen Geweben in großer Menge und für lange Zeit abgelagert. Er machte sich zu Recht Sorgen darüber, wie hoch die PCB-Menge in seinem Körperfett ist.
Von einem Mitarbeiter des Aachener Teams erhielt er nun eine ausführliche Antwort, die zu Hoffnung Anlass gibt. Er schrieb z.B., das gefährliche PCB sei eigentlich nicht das im Fettgewebe, sondern das im Blut; im Fettgewebe seien die PCB-Moleküle gewissermaßen gebunkert und gelangen deswegen kaum zu gefährdeten Körperorganen. Anders bei PCBs im Blutkreislauf: Die werden von der Blutflüssigkeit z.B. zu Milz, Leber und Niere transportiert und richten dort gesundheitliche Schäden an wie z.B. Krebs.
Er schrieb weiter, dass die PCB-Verbindungen im Fettgewebe zu denen im Blut in einer bestimmten Relation vorliegen, z. B. im Verhältnis von x : 1. Das heißt: wenn man den PCB-Wert im Blut kennt, so braucht man diesen Wert nur mit dem Faktor x zu multiplizieren, dann hat man ziemlich genau den PCB-Wert der Fettgewebe. Blutwerte kann man leicht erhalten, man braucht dem Kreislauf nur etwas Blut zu entnehmen und es zu untersuchen – das erspart dann natürlich ein Herumschnippeln an Körperorganen oder –geweben.
Das leuchtet uns ein, es gibt aber noch etwas viel Erfreulicheres: Der Mitarbeiter aus Aachen teilte dem Briefschreiber mit, dass bei fast allen PCB-Typen, auf die hin sein Blut untersucht wurde, die Werte viel weiter zurückgegangen waren als erwartet in den wenigen Jahren des Betreuungsprogramms, nämlich um etwa 50 Prozent – nur bei PCB 29 war der Rückgang nicht so stark. Wie gesagt, mit Hilfe des „Faktors x“ ergibt das, dass auch die Körperfettbelastung viel geringer ist als befürchtet – PCB-Verbindungen werden offenbar doch schneller vom Körper abgebaut bzw. ausgeschieden, als man bisher annahm. Wir hoffen, dass es sich hier nicht um einen Einzelfall handelt.
Da könnten sich die Verursacher der PCB-Vergiftung und ihre Helfershelfer in Politik, Justiz und Umweltbehörden jetzt zufrieden die Hände reiben: „Sieh’ste, so schlimm ist das alles gar nicht“. Und der deutsche Michel kann sich seine Zipfelmütze wieder über Augen und Ohren ziehen und weiterschlafen. Doch für uns bleibt der PCB-Skandal um die Dortmunder Firma Envio weiterhin ein Umwelt-, Justiz- und Politikskandal, die dafür Verantwortlichen sind nicht nur juristisch (der Prozess in Dortmund wurde eingestellt, also kein Freispruch), sondern auch moralisch verantwortlich.
„Angst ist ihr ständiger Begleiter“ – so beginnt der Sprecher der WDR-Dokumentation „Grünkohl, Gift und Gschäfte“ seine Information. Wir hoffen, dass die neuen Informationen aus Aachen dazu beitragen, dass die Vergifteten nun ein bisschen ruhiger leben und schlafen können.