Hambacher Forst, am 6. Oktober 2018: „Wahnsinn – das sind so viele!“

Reportage

Wahnsinn – das sind so viele!“ –  so ein junger Mann am Handy zu einem Bekannten, der leider nicht mitkommen konnte, kurz nachdem wir endlich mit unserem Bus rund drei Kilometer vor dem „Hambi“ angekommen waren – vor uns schon eine endlose Kette geparkter Busse – es sollen mehr als 140 gewesen sein. Noch am Vortag hatte ich den größten positiven Schock seit vielen Jahren erlebt – doch der Reihe nach…

Ich habe den Kampf für die Rettung des letzten Stückchens Hambacher Forst natürlich lange verfolgt – als dann am 17. September der WDR eine halbstündige Sondersendung zu dem Thema ins Programm aufnahm – kurz vor der scheinbar endgültigen Hinrichtung des Waldes – meldete ich mich in Castrop-Rauxel, von wo aus der BUND (Danke !) eine Busfahrt organisiert hatte. Den Film kann ich übrigens sehr empfehlen, man findet ihn in der Mediathek oder bei YouTube unter „Bäume oder Braunkohle? Der Kampf um den Hambacher Forst”. Am Donnerstag (4. Oktober) kam dann die Hiobsbotschaft: die Kundgebung war verboten worden!

Meine Reaktion: Ich will trotzdem hin, hoffentlich bläst der BUND nicht zum… Nein, tat er nicht! Und dann kam der tolle „Schock“: am Freitag „stornierte“ das Oberverwaltungsgericht Münster den geplanten Rodungstermin, bis zum endgültigen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und weil noch eine Klage beim Verwaltungsgericht Köln läuft – und nicht nur das: das Verwaltungsgericht Aachen hob auch das Demonstrationsverbot auf! Also auf zur Siegesfeier zum „Hambi“, obwohl natürlich allen klar ist, dass das nur ein Etappensieg ist und wir weitermachen müssen. Immerhin, selbst RWE geht schon von einer Verzögerung bis Ende 2020 oder gar 2022 aus…

Als wir endlich auf dem Kundgebungsplatz ankamen, war natürlich alles schon in vollem Gange. Die Polizei hat sich übrigens sehr zurückgehalten; sie regelte nur den Verkehr, wies die Busse ein und nur an einer Straße, die wir überqueren mussten, standen einige Polizeiautos – das war nicht immer so…

Ich kam darüber mit einem Kundgebungsteilnehmer ins Gespräch, der erzählte mir, dass er bei einem früheren „Spaziergang“ eine weinende Polizisten getroffen habe. Er fragte sie nach dem Grund ihrer Tränen und erfuhr, dass sie ein „dringendes Bedürfnis“ hatte, dem aber nicht folgen durfte – die Tränen konnte sie schon nicht mehr zurückhalten. Wenn ich so etwas höre, kriege ich die Wut! Das ist von den Vorgesetzten unmenschlich und entwürdigend! Ich meine, wenn sie „es“ getan hätte und dann abgemahnt oder so etwas worden wäre, hätte sie von Kolleginnen und Kollegen sicherlich Solidarität bekommen – und eine Gewerkschaft gibt es ja auch noch!

Nach dem Wochenende traf ich eine Bekannte – sie war mit einer Freundin und zwei kleinen Kindern mit der S-Bahn zur Kundgebung unterwegs gewesen, doch die hielt weit weg vom „Hambi“, in Kerpen-Buir. Den Fahrgästen – fast alle Kundgebungs-Willige – wurde angeboten, entweder kostenlos wieder zurückzufahren oder einen Fußmarsch von 12 Kilometern in Kauf zu nehmen – die beiden taten das trotz der beiden Kinder, und nicht nur sie! Als ich mich gegen 15.30 Uhr auf den Rückweg machte, um rechtzeitig wieder beim Bus zu sein, kamen mir noch unzählige Menschen entgegen, die entweder vormittags nicht kommen konnten oder von der S-Bahn weit entfernt „entsorgt“ worden waren. Die Veranstalter hatten schon früher die Teilnehmerzahl mit 50.000 angegeben – da waren aber diese Nachzügler noch gar nicht da… Erwartet worden waren übrigens „nur“ 20.000! Sie kamen von über all – aus der Lausitz, mehr als 200 aus Bremen, etwa 300 aus Koblenz (“Wir wollten mit einem Bus hinfahren, es sind fünf Busse geworden!”). Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub hatte eine Sternfahrt organisiert…

Wegen der Größe des Geländes – ich wollte auch möglichst viel sehen – bekam ich von den Reden nicht viel mit. Der Naturführer Michael Zobel berichtete über seine Erfahrungen, ein Sprecher von Campac und eine Sprecherin einer Veganer-Organisation hielten gute Reden. Bei der Veganerin bin ich aber nicht sicher, ob ich sie immer richtig verstanden habe. Ich verstand sie so, als hoffe sie, die Probleme der Welt könnten dadurch gelöst werden, dass „wir alle“ auf Tiernahrung und Nutzung von Tierprodukten verzichten und auch auf Plastik; letzteres werden wohl viele Menschen einsehen, und auch ein Verzicht auf carnivore („fleischfresserische“) Völlerei ist denkbar und wünschenswert – aber gar kein Fleisch? Und sind Pflanzen nicht auch Lebewesen? Abgesehen davon – die das Elend und die Missstände in der Welt Verursachenden tun das nicht, weil sie Fleisch essen, sondern weil sie dem Maximalprofit nachjagen, das würden sie als Veganer auch tun. Und die von deutschen und anderen Rüstungskonzernen gebauten Panzer und Bomber, mit denen überall in der Welt gemordet wird, sind zum allergrößten Teil nicht aus Plastik…

Nach der begeisternden Demonstration am „Hambi“ meldete sich in einer Lokalzeitung des Kreises Recklinghausen ein Abholz- und RWE-Fan zu Wort (nein, liebe Essener Fußball-Fans – es war keiner von Euch !) und zeigte ganz offen auf, worum es geht: der „momentane Wahnsinn im Land“ (gemeint sind wir !) bringt dem RWE-Konzern mehrere hundert Millionen € Verlust, massiven Einbruch der Aktien, Verlust von Gewinnausschüttungen; und natürlich fehlte auch die Keule „Arbeitsplatzverlust“ nicht – 5000 Arbeitsplätze sollen angeblich gefährdet sein. Mit einer ähnlichen Zahl (4.600) geht übrigens „RWE-Chef“ Rolf Martin Schmitz auf Dummenfang.

Nun mal langsam! Bei den derzeitigen Protesten geht es um die Rettung des Reststückes von wenigen Prozent des ehemals viel größeren Hambacher Forstes. Die Stornierung der Rodung bedeutet nicht den vollständigen Stop der Braunkohleförderung auf dem bisher zerstörten, etwa 50 Quadratkilometer großen Gelände. In der oben erwähnten WDR-Dokumentation spricht sich ein Ingenieur vor laufender Kamera und der Mondlandschaft im Hintergrund gegen „Gewalt“ der Hambi-Verteidiger aus (es wurden z.B. Maschinen unbrauchbar gemacht); dem Mann möchte man zurufen: „Dreh Dich doch mal um – was macht Ihr denn seit rund 40 Jahren?“ Und was ist mit den Verletzten, die es durch Polizei-Einsätze gegeben hat? Und mit dem ums Leben gekommenen 27jährigen Aachener Photographen? Es war bei seinem Tod ein Unfall, aber er war in der Baumsiedlung, weil er mithelfen wollte, den „Hambi“ zu retten, und das war notwendig; wäre es nicht notwendig gewesen, würde er heute noch leben!

Der Polizeieinsatz zur Durchsetzung der RWE-Interessen soll übrigens der größte in der Geschichte NRWs gewesen sein und bisher etwa 50 Millionen € gekostet haben.


Der Ausstieg aus Steinkohle, Braunkohle, Atomenergie usw. ist angeblich „nicht von heute auf morgen“ möglich. Ja, meine Güte, wie lang sind denn bei Euch eigentlich zwei Tage? Dieses Geschwätz hören wir nämlich schon seit Jahrzehnten – und so gut wie nichts ist inzwischen passiert ! Was sind das für Arbeitsplätze bei RWE, in der Atom-Industrie, in den Waffenschmieden? Das sind Arbeitsplätze, auf denen etwas gemacht wird, das die Welt zerstört. Betroffen davon werden aber vor allem die nächsten Generationen sein, also auch die Kinder der jetzigen Weltzerstörer – sind die denen egal ? Nach(!) uns die Sintflut – hoch die Tassen?

Das Kohlendioxid aus der Hambacher Braunkohle zerstört die Umwelt auch auf der anderen Seite der Erde, die dort abgebaute und verbrannte Kohle wirkt auch bei uns zerstörerisch. Das Kohlendioxid der fossilen Brennstoffe (Kohle, Erdöl, Erdgas) ist der Atmosphäre während Abermillionen von Jahren in winzigsten Mengen entzogen worden und wird ihr jetzt in nur 3-4 Jahrhunderten – also viel schneller und in viel größeren Portionen – wieder zugeführt! Damit muss endlich Schluss sein!

Diese „Arbeitsplätze“ zerstören auch die Welt und das Leben derer, die an ihnen arbeiten. – arbeiten müssen, denn sie müssen für sich und ihre Familie den Lebensunterhalt verdienen. Ihnen machen wir keinen Vorwurf. Sie haben den Kampf ebenfalls aufgenommen, aber eine Rodung des Hambi, um auch noch an die letzte Braunkohle darunter heranzukommen, rettet ihren dortigen Arbeitsplatz nicht – sie bringt nur einen zeitlichen Aufschub des Arbeitsplatzverlustes, aber die endgültige Vernichtung des Waldes! Der Kampf der Arbeiter und der „Öko-Terroristen“ sollte deshalb gemeinsam geführt werden!

Die Ablehnung der Vernichtung des letzten Stückchens “Hambi” geht übrigens durch die Wähler aller (!) Parteien, auch die der CDU und AfD, und zwar mit absoluter Mehrheit!

Zwei Jahre haben wir vielleicht gewonnen, aber: nutzen wir sie! Denn auch die Gegenseite wird sie zu nutzen versuchen, um uns einzulullen! So stellt RWE-Chef Schmitz fest: „Nichts ist vorbei, der Kampf um Hambach geht weiter.“

Am 24. Oktober wollen übrigens Tausende RWE-Beschäftigte die Mitglieder der Kohlekommission im rheinischen Revier empfangen, um sie mit ihren berechtigten Forderungen nach einer sicheren sozialen Zukunft zu konfrontieren – ich wünsche ihnen Erfolg dabei, allerdings keinen Erfolg auf Kosten der Umweltzerstörung. Ihre Forderungen sollten sie auch an RWE richten, denn deren Chef Schmitz droht schon mit Stellenabbau und schließt auch Kündigungen nicht aus. Denen fallen die Arbeitsplätze bekanntlich immer erst dann ein, wenn sie ihre Profite in Gefahr sehen!

Reißen wir die Mauern in den Köpfen ein – bauen wir aus den Steinen den Weg in die Zukunft!