Eindrücke vom 4. mietenpolitischen Ratschlag der Fraktion die Linke im Bundestag
Die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke und die SÖS Linke Plus im Stuttgarter Gemeinderat hatten geladen. Mehr als hundert Aktive und Interessierte kamen am Samstag, 29. September 2018, zum 4. mietenpolitischen Ratschlag in den Ratssaal des Stuttgarter Rathauses, den die Ratsfraktion „SÖS Die Linke Plus“ besorgt hatte.
Die Veranstaltung war durch die Bundestagsabgeordnete (PDL) Caren Ley, den Parteivorsitzenden Bernd Riexinger, den Vorsitzenden des Stuttgarter Mietervereins und SPD-Mann Rolf Gaßmann recht prominent besetzt.
Vertreter/innen von Mieterinitiativen und -Vereinen aus Stuttgart, Köln, Witten, Nürnberg, Leinfelden-Echterdingen, Bielefeld, Berlin, Hamburg und aus weiteren Städten unterstrichen, dass der Widerstand gegen die sich verschärfende Wohnungsnot dringend verstärkt und bundesweit vereinheitlicht werden muss.
Ganz unabhängig davon, dass es sich offiziell um eine Veranstaltung der Linkspartei (PDL) handelte, muss die Debatte als durchweg wichtig gewertet werden.
Bei den Betroffenen kocht die Wut!
Schon am Vorabend hatten Stuttgarter Mieterinitiativen ein Treffen zum Mieterhöhungsterror gegen Vonovia-Mieter/innen durchgeführt. Selbst die Stuttgarter Zeitung gestand ein:
„Gegen Vonovia formiert sich Widerstand in Stuttgart. Der Dax-Konzern hat im Nordbahnhofviertel mit Modernisierungen die Mieten drastisch erhöht. Wie groß der Kreis der Leidensgenossen ist, wird jetzt erst klar…Sowohl bei einer Info-Veranstaltung am Freitag im Gewerkschaftshaus mit 100 erbosten Mietern als auch beim „Mietenpolitischen Ratschlag“ der Linken von Bund und Stadt am Samstag im Rathaus wurde das Potenzial deutlich…“
Die „Vonovia SE“ ist im Dax 30 gelistet und einer der größten und rücksichtslosesten Spieler auf dem bundesweiten Wohnungsmarkt. Allein in Stuttgart besitzt Vonovia tausende Wohnungen. Viele davon hatte die Stadt Stuttgart in verbrecherischer Weise vor ca. 20 Jahren privatisiert, sicherlich zu einem viel zu niedrigen Preis…
Der Protest am Vorabend im Gewerkschaftshaus war so wütend und empört, dass Caren Ley und Bernd Riexinger, die an der Versammlung ebenfalls teilnahmen, noch sichtlich berührt waren.
Radikale Ideen werden heute ernsthaft diskutiert!
Was Wunder, dass sowohl in den Plenen als auch in 4 Workshops recht radikale Vorschläge Thema waren. Je nach politischem Standpunkt wanden sich etliche Redner/innen, modifizierten, schwächten ab… Aber die Lage-Analyse bei der Wohnungsfrage ist ernst (Riexinger: „Wohnen ist die zentrale soziale Frage unserer Zeit!“), so ernst, dass niemand mehr eine Forderung „Enteignung von Vonovia, Deutsche Wohnen oder Landesentwicklungsgesellschaft LEG in NRW(!)“ einfach wie üblich mit ein paar demagogischen Anwürfen vom Tisch wischen kann.
Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass die Forderung nach „Mietenstopp“ – noch im Titel der Veranstaltung! – keineswegs ausreicht, sondern „Senkung der Mieten!“ auf die Tagesordnung gehört.
Selbst bekannte Forderungen der Linkspartei wie „Sozialwohnungen in öffentliche bzw. genossenschaftliche Hand!“ geraten in Stuttgart zu Recht in die Kritik: Was helfen städtische Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften, wenn diese genau nach den neoliberalen Management-Grundsätzen geführt werden wie Vonovia? Nichts!
Städtische Gesellschaften wie die Stuttgarter SWSG (Eigentümer Stadt Stuttgart!), die, statt Sozialwohnungen zu bauen, zig Millionen Profit auf dem Rücken ihrer Mieter plant, mit denen dann Finanzbürgermeister Föll (CDU) die Stuttgarter Stadtkasse füllt, oder Genossenschaften wie die Stuttgarter Flüwo, die im Stadtbezirk Degerloch günstigen Genossenschaftswohnraum abreißen lässt, zeigen, wie aktuell die Kritik ist.
Breiten Raum in der Debatte nahm der Widerstand gegen völlig nutzlose Luxus-Sanierungen oder angebliche Klimaschutzsanierungen ein, deren Hauptzweck darin besteht, dass Wohnungskonzerne unter diesem Vorwand den Mietern drakonische Mieterhöhungen reindrücken. Diese werden oft rücksichtslos, mit gütiger Hilfe der Justiz, und Zwangsräumungen durchgezogen. In etlichen Fällen führte das auch zu Selbsttötungen betroffener Mieterinnen oder Mieter. Ein Wohnungskapitalismus, der tötet!
Welche Forderungen?
Ursel Beck, Sprecherin der Mieter-Initiativen in Stuttgart setzte dagegen mit einer Reihe von Forderungen klare Akzente:
- Nicht nur sofortiger Mietpreisstopp, sondern Senkung der Mieten! (speziell beim Mieterhöhungsvorreiter Vonovia, aber nicht nur hier!)
- Ersatzlose Streichung aller Gesetzesbestimmungen, die es Vermietern ermöglichen, die Kosten von Renovierungen „auf ewig“ auf die Mieter umzulegen!
- Keine Subventionierung privater Wohngesellschaften!
- Verbot des Abrisses guter, brauchbarer Wohn-“Substanz“!
- Beschlagnahme von leerstehendem Wohnraum! Dies gilt insbesondere von bewusstem Leerstand zu Spekulationszwecken!
- Enteignung von Vonovia! Und anderer Wohnungskonzerne!
Aber auch wichtige Reformforderungen, im Kern oft auch reformistische Ideen, wurden breit und kenntnisreich diskutiert. Knut Unger vom Mieterverein Witten wies, zahlreiche Mieternöte als Mietervereins-Berater vor Augen, darauf hin, dass der größte Teil der Wohnungen der Konzerne ursprünglich Sozial- oder Werkswohnungen waren – oft aus Steuermitteln, Gewerkschaftsbeiträgen (Neue Heimat!!) oder Lohnmitteln erbaut und nach Aufhebung des Wohngemeineigentumsgesetzes 1989 an diese Monopole verscherbelt.
Er deckte auf, dass der Miet-Terror solcher „Spieler“ wie Vonovia, Deutsche Wohnen, LEG in NRW u.a. Folge einer rücksichtslosen Industrialisierung sind, durchrationalisierter digitaler Prozesse, in denen Mieter nur noch lästige Kostenfaktoren sind. Längst seien Immobilien und deren Bewohner in Objekte einer spekulierenden Finanzindustrie verwandelt worden, die ihnen als anonyme Macht gegenübertritt. Per Knopfdruck gingen Zehntausende automatisch generierte Schreiben gegen Mieter/innen raus. Der/die Einzelne muss gegen jedes Detail individuell vorgehen. Nebenkostenabrechnungen seien durchgängig falsch. Mit dem alten Mietrecht bestehe keine Chance, sich zu gegen solche Wellen von Maßnahmen zu wehren.
Hieraus ergibt sich zwingend die Notwendigkeit, den Widerstand bundesweit zu vereinen. Das geht aber nur, wenn überall die Selbsttätigkeit und Selbstorganisation der Betroffenen gefördert wird.
Reformen gefordert!
Unger forderte ein neues Wohnungswirtschaftsgesetz, das – eigentlich – Selbstverständliches regeln muss, was aber derzeit in keinster Weise gegeben ist:
* Wohnungskonzerne müssen transparent sein. Für alle Mieter/innen und Kommunen müsse es persönlich entscheidungsbefugte Vermietervertreter geben, die, auch unter Zugriff auf das Immobilienvermögen und die Mietzahlungen, haftbar gemacht werden können.“ So ist es heute aber nicht: Oft fehlen Adressen und Ansprechpartner völlig. Trotzdem dürften solche „Player“ am Wohnungsmarkt tätig sein!
* Mietkonzerne und Großvermieter müssen per Gesetz gezwungen werden, bei der Wohnungsbewirtschaftung ausreichende Rücklagen für die Instandhaltung von Wohnungen oder Regressforderungen nachzuweisen.
* Gegen den Teufelskreis steigender Mieten und Immobilien-/Grundstückspreise dürfe maximal die Inflationsrate als gesetzliche Grenze für Mietsteigerungen bei bestehenden und neuen Verträgen gelten. Stopp den ungerechtfertigten Mieterhöhungen durch „Modernisierungen“!
* Die Miethöhe müsse sich an der Wohnungsqualität, an Kosten und realen Leistungen der Vermieter orientieren, nicht an spekulativen Erwartungen steigender Renditen wie bei den Konzernen.
* Kollektive Mieterrechte bei den Wohnungskonzernen: Informations-, Widerspruchs- und Mitbestimmungsrechte, Mieterräte und Mieterabstimmungen!
* Dauerhaft (nicht für ein paar Jahre) öffentlich gebundene und geförderte/ gemeinnützige Wohnungswirtschaft, gesetzlich geregelt! Wohnungen der Finanzindustrie müssten nach und nach in dauerhaft gemeinnütziges Eigentum überführt werden. Enteignungs- und Sozialisierungsgesetze nach Artikel 15 GG auf Bundes- und Landesebene!
Das Abschlussplenum, moderiert von der fachfremden Linkspartei-Abgeordneten Heike Hänsel, verflachte gegenüber den erregten und erregenden Diskussionen zuvor.
Zwar stellte die ver.di-Sekretärin Ariane Raad, zugleich Vertreterin der Stuttgarter Wohnungsbesetzungsaktivist/innen, lebendig und emotional diese wichtigen Erfahrungen, die große Solidarität der Nachbarschaft mit den Wohnungsbesetzern und die Notwendigkeit lebendiger Stadtteilarbeit heraus. Aber am Schluss blieb es weitgehend bei bekannten Floskeln.
Die Selbsttätigkeit der Betroffenen und ihre Selbstorganisation, die Schaffung einer bundesweit gemeinsamen und vernetzten Bewegung mussten die Diskussionsbeiträge aus dem Publikum anmahnen. Am Ende steht im Wesentlichen zunächst nur das Projekt weiterer lokaler und einer bundesweiten Großdemonstration gegen Miet-Erhöhungswahnsinn, Luxusmodernisierungen und Mieter-Terrorisierung, was natürlich unterstützt gehört! Es war wichtig, die Erfahrungen aus verschiedensten Bewegungen auszutauschen.
Klassenfrage, Reformismus und revolutionäre Ideen!
Das auch auf diesem Meeting rituelle Gerede von „den Gewerkschaften“, welche dieses oder jenes zur Wohnungsfrage tun oder lassen sollten, übergeht, dass es reformistisch-bürgerliche Gewerkschaftsführungen und hunderttausende Kolleginnen und Kollegen, Mitglieder gibt, von denen zahllose direkt betroffen sind von den Zuständen auf dem Wohnungsmarkt, also direkt angesprochen werden können und müssen. Mobilisierung kann und muss direkt im und vor allem vor dem Betrieb stattfinden. Auch von Seiten der zahlreichen Aktivisten im Wohnungskampf!
Zu Recht wies ein Diskussionsredner darauf hin, dass die Gewerkschaftsapparate, die Funktionäre, Betriebsräte und Vorstände oft erheblich zur Wohnungsnot beigetragen hätten: Neue-Heimat-Skandal, Zustimmung zur Abschaffung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes, völliges Fehlen von Problembewusstsein, wenn tausende Werkswohnungen vom Kapital verscherbelt werden. Viel muss noch geschehen, damit Arbeiterinnen und Arbeiter und Angestellte den Kampf gegen die Wohnungsnot mittragen.
Vor allem aber werden sich in der Wohnungsfrage, die zugleich auch eine Frage des Bodens, eine tiefgreifende Eigentumsfrage ist, die Geister scheiden zwischen Reformismus und revolutionären Auffassungen. Ursel Beck, die Sprecherin der Mieterinitiativen aus Stuttgart, forderte zu Recht die „Enteignung von Vonovia!“, nicht deren Entschädigung! Im Gegenteil: Sie sagte klar, dass solche Konzerne sich schamlos mehr als genug am alten Sozialwohnungsbestand und an den arbeitenden oder erwerbslosen Menschen bereichert haben, so dass sich jede Entschädigung verbiete. Für diesen Weg müssen auch und gerade die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Angestellten und die vom Kapital in Armut und Erwerbslosigkeit getriebenen Menschen gewonnen werden, für einen revolutionären Kampf!
Aber sofort fing die Debatte über die Probleme der Entschädigung bei Enteignung an: „Enteignung geht per Gesetz nicht ohne Entschädigung!“. Sachlich sicher richtig! Gewiss auch eine unausweichliche gesellschaftliche Diskussion. Mit Sicherheit wird sich das (Immobilien)-Kapital auch gegen eine Enteignung auf Grund von Art.15 GG mit allen Mitteln wehren.
Aber der Kern der Wohnungsfrage ist, dass das große private Grundeigentum, zu dem auch das Wohnungseigentum der Wohnungskonzerne gehört, ein kapitalistisches Unrecht darstellt, das grundlegend abgeschafft gehört. Eine Frage der Revolution! Ohne Abschaffung des Kapitals und des Kapitalismus und ohne eine sozialistische Gesellschaftsordnung – wird es keine Sicherheit für arbeitenden Menschen geben – auch keine beim Wohnen! Hier haben Kommunisten und Sozialisten eine gewaltige Arbeit der Klärung und zur Überzeugung der Menschen vor sich. Sie müssen sich sowohl in der Aktion als auch in der politischen Auseinandersetzung – wie in Stuttgart – einbringen und sich durchsetzen.
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