NATO Gipfel in Brüssel: Eskalation, ziemlich hemmungslos!

In einer Atmosphäre Russland-feindlicher Propaganda fand im Juli 2018 in Brüssel der Gipfel der NATO-Staats- und Regierungschefs statt. Eine umfangreiche, aggressive Erklärung stand am Ende. Wichtigster Inhalt: Europa wird planmäßig, auch unter Einsatz gewaltiger Finanzmittel, auf einen kommenden Krieg zugerichtet.

Besonderes Augenmerk gilt hier natürlich der Rolle des NATO Mitglieds Deutschland, des deutschen Imperialismus, seiner Militärmacht und seiner Rolle im Bündnis. Seine zukünftige Politik auf Basis der Brüsseler Ergebnisse fordern zum Protest heraus!

Wir folgen vor allem dem Analysematerial der „Informationsstelle Militarisierung“ (IMI), aus dem auch die meisten Zitate stammen. (genaue Quellenangaben und Internet-Links am Schluss des Artikels!)

Russland wird eindeutig zum Feind gemacht

Großer Wert wird auf die eigene Bündnis-Legitimität gelegt, bzw. auf eine möglichste Delegitimierung Russlands. Dieses wird förmlich zum Feind gemacht.

Illegale und illegitime Annexion der Krim“, bzw. die „anhaltende Destabilisierung des Ostens der Ukraine“ werden scharf kritisiert. Moskau werden „provokative militärischen Handlungen“ vorgeworfen. „Das aggressive Vorgehen Russlands einschließlich der Androhung und Anwendung von Gewalt zu politischen Zwecken“ gefährde die NATO, untergrabe die so genannte euro-atlantische Sicherheit und eine angebliche, auf Regeln beruhende „internationale Ordnung.“

Dass Russland „beträchtliche Investitionen in die Modernisierung seiner strategischen Kräfte“ vornimmt, wird ihm vorgeworfen! Sachlich betrachtet üble Demagogie – angesichts des vierstelligen Milliardenbetrages, den die NATO-Mitglieder in diesem Jahr in ihre Rüstungshaushalte pumpen (siehe „Finanzen“). Nach Daten von SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute, deutsch: Stockholmer Internationales Friedensforschungsinstitut) sank der russische Militäretat im vergangenen Jahr im Gegenteil um 20% auf 66,3 Mrd. Dollar.

Das NATO-Bündnis, das seine Atomwaffen im großen Stil zu „einsetzbaren“ Waffen umbaut und eventuell eine neue Generation Marschflugkörper in Europa stationieren will, entblödet sich nicht, Russland „Aggressivität seiner Nuklearrhetorik“ vorzuwerfen.

Auch solidarisiert sich die NATO mit dem nach wie vor beweisfreien Vorwurf eines Angriffs Russlands mit einem Nervenkampfstoff („Nowitschok“) gegen einen Ex-Agenten des KGB im britischen Salisbury. „Laut der Einschätzung“(!!) „des Vereinigten Königreichs ist es sehr wahrscheinlich“(ach?), „dass die Russische Föderation für den Angriff verantwortlich ist…“ Angeblich gebe es „keine plausible alternative Erklärung“. Na, denn…

Ernüchterndes Fazit zur NATO-Abschlusserklärung aus der Süddeutschen Zeitung: „Das Dokument lässt praktisch keine Hintertüren offen für eine Wende in der Russlandpolitik.“

4X30 und Logistikkommando

Dann folgen Konsequenzen: Zwei weitreichende Entscheidungen:

1. Die Gründung der „Initiative zur Reaktionsfähigkeit“, auch „4X30“ genannt. Bis 2020 will die NATO aus den Mitteln aller NATO- Streitkräfte zusätzlich(!) 30 größere Kampfschiffe, 30 schwere oder mittlere Infanteriebataillone und 30 Kampfflugzeugstaffeln einschließlich der notwendigen Unterstützungskräfte so organisieren, dass sie binnen 30 Tagen oder schneller bereit sind.

2. Ein in Ulm stationiertes Logistikkommando („Joint Support and Enabling Command“ JSEC) soll künftig die „militärische Mobilität“ verbessern und eine schnellere Truppenverlegung in Richtung Osteuropa ermöglichen.

Aus der Abschlusserklärung des Gipfels: „Wir haben … weitreichende Beschlüsse gefasst, um die NATO-Kommandostruktur – das militärische Rückgrat des Bündnisses – … zu stärken.… Wir werden“ das JSEC „in Deutschland zur Gewährleistung der Operationsfreiheit und der Durchhaltefähigkeit im rückwärtigen Raum zur Unterstützung schneller Transporte von Truppen und Ausrüstung nach, durch und aus Europa aufbauen.“ Ja wohin denn?

Finanzen: Nützlicher Trump

Dass angeblich US-Präsident Trump ständig Druck auf Steigerung der Rüstungsausgabe mache, das ist eine beliebte Mediensaga. Zuletzt hatte Trump vorm NATO-Gipfel Brandbriefe zu dem Thema an europäische Staaten verschickt – mit einer Wortwahl, die den üblichen diplomatischen Stil durch barsche Forderungen ersetzt, was den europäischen Verbündeten ganz und gar nicht gepasst haben soll. In Wahrheit hilft ihnen das sehr gut, die selbst gewollten Steigerungen einer skeptischen Bevölkerung zu verkaufen.

Hier die Fakten dazu, die die NATO kurz vor Gipfelbeginn öffentlich machte: Sie sprechen eine klare Sprache. Demzufolge

* stiegen die NATO-Rüstungsausgaben von 895 Mrd. Dollar 2015 auf geschätzte 1013 Mrd. Dollar in diesem Jahr an.

* Der Anteil der europäischen Länder kletterte dabei von 222 Mrd. (2015) auf 286 Mrd. (2018) ebenfalls steil nach oben.

* Daran hat Deutschland maßgeblichen Anteil! Allein zwischen 2014 (32,45 Mrd. Euro) und 2018 (38,5 Mrd. Euro) steigerte es den Rüstungshaushalt deutlich.

Laut jüngsten Ankündigungen von Verteidigungsministerin von der Leyen und Kanzlerin Merkel sollen aber bis 2024 1,5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für den Militärhaushalt aufgewendet werden. Laut Eigenberechnungen der Bundeswehr wären das dann über 60 Mrd. Euro! Das ist zwar bekannt, nun aber ist es NATO-amtlich!

Deutschland bleibt bei 1, 5%? Glaubt jemand, dass die Erde eine Scheibe ist?

Seit Jahren drängen interessierte Kreise des deutschen Kapitals auf höhere Rüstungsausgaben. Die Bevölkerung aber lehnt dies mit deutlicher Mehrheit ab. Die „Kommunikationsstrategie“ der Bundesregierung scheint deshalb darin zu bestehen, „heldenhaft darauf zu pochen“, der US-Forderung von 2% des BIP für den Rüstungshaushalt, also etwa 85 Mrd. Euro, widerstanden und sich „nur“ auf 1,5% eingelassen zu haben. Aber das ist eine Lüge! Schließlich hat sich Berlin schon 2014 (vor Trump!) auf dem NATO-Gipfel in Wales auf das 2%-Ziel verpflichtet!

Klartext am Ende des Brüsseler Gipfels, in der Abschlusserklärung nur mühsam vertuscht: Der Wales-Gipfel gilt! In der NATO, speziell in Europa und Deutschland ist Aufrüstung angesagt – und das ziemlich schnell!

Auch wenn die 2014er Wales-Vereinbarung rechtlich nicht bindend, sondern eine Absichtserklärung ist – in jedem Fall bewegt sich die Bundesregierung nun stramm in diese Richtung! Vor allem in CDU und CSU gibt es Stimmen, die 1,5% nicht erst 2024, sondern noch in dieser Legislaturperiode zu erreichen – bis 2021! So z.B. Unionsfraktionschef Volker Kauder in der Frankfurter Allgeneinen (FAZ) oder der frühere CDU-Verteidigungsminister Volker Rühe (!) im Deutschlandfunk: „… realistisch ist es, noch in dieser Legislaturperiode… bis 2021 auf 1,5 Prozent zu kommen. Das ist zwar noch nicht die Politik der Regierung, aber schon die Politik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und das muss die Politik Deutschlands werden.“ Der Rest bis zu den 2 % kommen gewiss nach 2021! Trump ließ angeblich am Schluss der NATO-Tagung seine Pressesprecherin Huckabee auch noch herausposaunen, alle Verbündeten hätten künftig 4% des BIP in den Rüstungshaushalt zu stecken. Im Falle von Deutschland hieße das jährlich 130 bis 160 Mrd. Euro! Die USA setzen die Latte schon höher! Schöne Aussichten.

Deutschland wird zur NATO-Drehscheibe!

Die Stationierung des JSEC in Ulm macht deutlich: Deutschland wir zur Drehscheibe in der NATO-Kriegsplanung. Schon das ganze Jahr über liefen massive Truppentransporte quer durchs Land, immer Richtung Osten. Nur zwei Beispiele: So wurden im Mai im Rahmen der Operation „Atlantic Resolve III“ 3.500 US-Soldaten und rund 1.400 Fahrzeuge samt Material auf Schienen und Straßen nach Polen und ins Baltikum geschafft – zum Austausch der bis dahin dort stationierten Truppen. Im Rahmen des Großmanövers „Saber Strike 18“ (Säbelhieb) im Juni 2018 auf Übungsplätzen in Estland, Litauen, Lettland und Polen wurden im Mai insgesamt 2.050 Fahrzeuge in 102 Konvois auf Straßen in Richtung Osten verlegt. Zudem wurden Panzer und schweres Gerät, ca. 3.000 Fahrzeuge, auf Zügen transportiert. Das US-amerikanische Kontingent umfasste ungefähr 12.500 Soldaten. 20.000 Soldaten aus 19 Ländern nahmen teil – Alles eine Vorübung für das neue Ulmer Kommando.

Auch übernimmt Deutschland das Kommando bei den neuen Eingreiftruppenverbänden in Litauen.

Ausblicke

Aber dabei bleibt es nicht, wenn es nach von der Leyen (und damit nach Merkel) geht. Beunruhigen muss die soeben von ihr vorgestellte „Konzeption der Bundeswehr“ (KdB). Von der Leyens Ministerium wertet die KdB als „langfristige Grundsatzweisung“ als „Dachdokument der Gesamtkonzeption militärischer Verteidigung“. Hier werden die neuesten Überlegungen zusammengefasst zur strategischen Rolle der deutschen Armee in Europa: In der NATO, aber auch „auf eigene Rechnung“. Außen und Binneneinsatz, nahezu gleichrangig behandelt, aggressiv nach außen, repressiv nach innen. Nur eine „Kostprobe“, für mehr reicht einstweilen dieser Rahmen nicht:

Die Anforderungen“ an die Bundeswehr „reichen von präventivem Handeln bei krisenhaften Entwicklungen über zeitlich begrenzte, hoch intensive Operationen in schneller Reaktion bis hin zu lang andauernden stabilisierenden Einsätzen im Rahmen der Sicherheitsvor- und Krisennachsorge. Ebenso gehören Beiträge zum Kampf gegen den transnationalen Terrorismus, Proliferation von Massenvernichtungswaffen, gegen Bedrohungen aus dem Cyberraum und dem Weltraum, gegen neuartige Gefahren hybriden Charakters, aber auch die Durchsetzung von Embargos und Sanktionen sowie die Demonstration militärischer Stärke als Unterstützung diplomatischer Bemühungen zum Krisenmanagement im zwischenstaatlichen Umfeld.

Man ahnt: Dieser deutsche Imperialismus läuft sich wieder warm. Damit sollten sich die, die all das bezahlen müssen – die Arbeiter, die Jugend, das ganze Volk – keineswegs abfinden.

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Wichtige Quellen von IMI:

Tobias Plüger: Drehscheibe Deutschland, NATO-Aufmarsch in Osteruopa, in „AUSDRUCK“, Magazin der Informationsstelle Militarisierung E.V., Ausgabe 4 – August 2018, S. 14

Jürgen Wagner: NATO-Gipfel in Brüssel, Extrem kostspielige Eskalation, in AUSDRUCK 4/2018, S. 32

http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-4-2018-NATOgipfel.pdf

http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-4-2018-Drehscheibe.pdf