Unter dem Vorwand, die Bevölkerung vor „Gefährdern“ zu schützen, werden in den Bundesländern die Polizeigesetze verschärft. In Bayern ist das trotz großer Bürgerproteste schon passiert, in anderen Bundesländern ist es geplant.
In Nordrhein-Westfalen (NRW) wollte die schwarz-gelbe Landesregierung noch schnell die Verschärfung durch den Landtag bringen – und dann „ab in den Urlaub“! Doch daraus wurde nichts: Sogar den juristisch erfahrenen alten FDP-Hasen Baum und Hirsch waren die Änderungspläne zu heiß, so dass sie gegen ihre eigene Partei eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Erwägung zogen. Die Landesregierung stornierte daraufhin die Gesetzentwürfe über die Sommerferien und deutete leichte „Verbesserungen“ an: statt geplanter vier Wochen vorbeugender Ingewahrsamnahme möglicher „Gefährder“ sollen es nun zwei und zwei Wochen werden und auch die Definition des Begriffes soll neu gefasst werden, z.B. für Menschen, von denen kriminelle Handlungen zu erwarten sind.
Die Landesregierung NRW verband mit der Verschiebung der Verabschiedung des Gesetzes wohl auch die Hoffnung, dass der für den Juli-Beginn angekündigte Protest-Demonstration der Wind aus den Segeln genommen würde. Doch zumindest dieser Schuss ging nach hinten los: Statt der von den Organisatoren erhofften 10.000 Teilnehmern kamen weit über 20.000 – die Spitze des Demonstrationszuges hatte den Landtag am Rheinufer schon längst erreicht, als sich am Hauptbahnhof immer noch Menschenmassen einreihten. Gekommen war ein breites politisches Spektrum von jungen und alten Menschen; Vertreter selbsternannter „Volksparteien“ sah man allerdings kaum – dafür waren Fan-Clubs mehrerer Vereine der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga gekommen und brachten optisch und akustisch ihren Protest eindrucksvoll und gut organisiert zum Ausdruck. Auch aus anderen Bundesländern waren Menschen zur solidarischen Unterstützung gekommen. Wir sollten uns bei ihnen revanchieren!
Wieso prasseln übrigens gerade jetzt in zahlreichen Bundesländern die „Polizeigesetze“, auch Polizeiaufgaben-Gesetze (PAG) genannt, auf die Bevölkerung nieder? Angeblich sollen sie ja dazu dienen, „uns“ vor Gefährdern zu schützen. Wie sich zeigt, sind das gar nicht Nazi-Gewalttäter oder Angehörige krimineller oder rassistisch-fanatischer Banden, die die von den kapitalistischen Mächten erzeugte Massenflucht ausnutzen, unerkannt in andere Länder einzusickern; nein – gemeint sind Menschen, die durch die in ihrem Heimatland durch imperialistische Mächte wie Deutschland verursachten unmenschlichen Lebensbedingungen zur Flucht gezwungen wurden und bei uns oft mehr oder weniger traumatisiert ankommen, also oft mit massiven psychischen Problemen zu kämpfen haben. Sie werden nicht etwa therapiert, wie naive Menschen es von einer wirtschaftlich und politisch herrschenden Schicht erwarten, die sich eine angeblich „abendländisch-christliche Leitkultur“ aufs Banner geschrieben hat. Nein, solche Menschen werden als „Gefährder“ angesehen und entsprechend behandelt.
PAG auch gegen „Inländer“? Testlauf Truckental und das rebellische Musikfest!
Und wir? Sind wir „Nichtzugereisten“, wir „Inländer“ keine Gefährder?
Stefan Engel, ehemaliger, langjähriger Vorsitzender der MLPD, ein „Schirmherr“ des „Rebellischen Musikfestivals“ in Truckental/ Thüringen unter rund 20 anderen (z. B. der Musiker und Sänger Konstantin Wecker, oder Felicia Langer, deutsch-israelische Rechtsanwältin) – bekam mit 4 weiteren Genossen bereits einen „Gefährderbrief“, in dem er zum Gefährder erklärt wird – ein offener Rechtsbruch: weder in Thüringen, wo das Festival stattfand, noch im NRW, wo Stefan Engel lebt, gilt bisher ein solches Polizeigesetz! Die Polizei drohte, Organisatoren (zu denen Stefan Engel gar nicht gehört!) und Unterstützer der Veranstaltung festzunehmen. Als Vorwand diente der geplante Auftritt der oppositionellen, öffentlich bekannten türkischen Band „Grup Yorum“. Die und der angebliche Veranstalter Engel werden der Terrorunterstützung verdächtigt, die Band beschuldigt, „die staatliche Ordnung in der Türkei im Sinne eines kommunistischen Absolutregimes“ verändern zu wollen.
Die Veranstalter wurden aufgefordert, Liedtexte der Band und eine Namensliste der Mitglieder vorzulegen, was die selbstverständlich ablehnten. Erdogan lässt nach den Bandmitgliedern fahnden! Schon zog kampfbereite Polizei vor dem Festival auf!
Es ermutigt, dass sich niemand einschüchtern ließ und das Festival erfolgreich verteidigt werden konnte: Im solidarischen Kampf, mit Aktionen, rechtlichen Schritten, einer Info-Offensive und zahlreichen, auch prominenten, Unterstützern in Öffentlichkeit, Presse und Medien! Die Polizei musste abgezogen werden. Diese Ereignisse machen deutlich, wie die neuen Polizeigesetze wirken sollen. Aber auch, dass offensiver demokratischer Kampf gegen die Unterdrückung hilft. Der Fall zeigt: Die Polizeigesetze richten sich gegen den Widerstand im Kapitalismus!
Im Übrigen: Wen oder was gefährdet eigentlich Stefan Engel? Nun, er lehnt den Kapitalismus ab…Viele Menschen in Deutschland sind mit diesen wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen unzufrieden und möchten „eine bessere Welt“. Die kann es aber nur geben, wenn die Ursache der Unzufriedenheit beseitigt wird: Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Diese Ausbeutung ist aber „gesetzlich geschützt“ – wer sie beseitigen möchte, muss dazu gegen Gesetze verstoßen, er fällt damit auch unter die „Gefährder“ und das „Polizeigesetz“ würde auf ihn angewendet., wenn es nicht verhindert wird.
Seine Planung fällt auch in die Phase der „Digitalisierung“ und des Projektes „Industrie 4.0“ – ein Zufall? Für beide Projekte wird sowohl von der Wirtschaft als auch von der Politik heftig die Werbetrommel gerührt. Sollte uns das nicht misstrauisch machen? Was wurde den Menschen in der Vergangenheit nicht alles versprochen! Und was zeigt die Erfahrung? Viele noch so gute Entdeckungen bzw. Erfindungen, die in den letzten etwa 300 Jahren gemacht wurden, schlugen ins Gegenteil um und verschlimmerten die Lage der arbeitenden Menschen. Und wodurch? Weil jede Entdeckung bzw. Erfindung in „unserem“ seit etwas mehr als 300 Jahre (länger nicht!) bestehenden Gesellschaftssystem zur Profitmaximierung, zum Erzielen des Maximalprofits herangezogen werden muss bei sonstiger Gefahr des wirtschaftlichen Ruins. Die Einführung des Kunstdüngers sollte die Hungersnot der zunehmenden Weltbevölkerung beseitigen – der massive Einsatz von Kunstdünger zur Profitmaximierung führte jedoch zur Überdüngung und zu noch größeren Hungersnöten. Die Erkenntnisse der Vererbungslehre (Genetik) wurden sofort dazu missbraucht, die Klassen- und auch die Rassenherrschaft „wissenschaftlich“ zu rechtfertigen. Wir gehen davon aus, dass jede(r) Leser(in) zahlreiche weitere Beispiele für den Missbrauch von eigentlich fortschrittlichen Entwicklungen kennt. Digitalisierung? Industrie 4.0? Die könnten für uns alle toll sein, wenn nicht… Nehmen wir einmal an, beides würde dazu führen, dass jede(r) von uns zur Erzeugung des Lebensnotwendigen nur noch einen Tag in der Woche statt bisher fünf arbeiten muss – alles andere machen Computer und Roboter. Das wäre doch toll! Da hätte jede(r) von uns vier Tage mehr Zeit für sich und andere Menschen, die er sinnvoll einsetzen kann in Kultur, Wissenschaft…
Wacht auf! Ihr wisst alle, dass das im Kapitalismus anders läuft: 20 Prozent der bisher Beschäftigten arbeiten immer noch fünf Tage in der Woche und die anderen 80 Prozent fliegen auf die Straße als überflüssige Menschen, die dann die zukünftigen Flüchtlingsströme vergrößern. Gegen die brauchen „wir“ dann die Polizeigesetze, um sie… ach, so weit waren wir ja schon.
Ja, und was sollen wir da machen? Ganz einfach (leider nicht ): Ohne den Zwang zur Profitmaximierung, also ohne den Kapitalismus bzw. die Kapitalisten wären Digitalisierung, Industrie 4.0 und andere Pläne möglicherweise wirklich ein Segen für die Menschen – also muss vor ihrer Verwirklichung der Kapitalismus weg! Also los, weg mit ihm – ach herrje, jetzt sind wir schon wieder Gefährder! Gefährder des Maximalprofits, der Ausbeutung von Menschen, der Umweltzerstörung, des Kriegs als Vater aller Dinge…
Also los: werde auch Du ein(e) Gefährder(in)!