Am Montag, dem 28.5.18, gegen 9.00 Uhr wurden nach vier Wochen die beiden besetzten Wohnungen in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 in Stuttgart Heslach durch ein Großaufgebot der Polizei und zwei Gerichtsvollzieherinnen geräumt. (Wir berichteten über die Besetzung: https://www.arbeit-zukunft.de/2018/04/29/kaempferisch-demo-gegen-wohnungsnot-leerstand-fuer-erschwinglichen-wohnraum/) Die Wohnungseinrichtung wurde ausgeräumt und eingelagert. Die Familien müssen nun um die Rückgabe ihres Eigentums kämpfen. Als ein Polizist der kleinen Tochter die Decke wegnahm, forderte die Mutter die Rückgabe. Der Polizist antwortete ihr: „Dann muss sie halt ohne Decke auskommen.“ Bis zum Abend waren mehrere Dutzend Polizisten im ganzen Viertel präsent und sperrten das Haus mit Reitern und einer Polizeikette ab. Schnell hatten sich am Morgen bis zu 50 Menschen in der Wilhelm-Raabe-Straße versammelt, um sich mit den betroffenen Familien solidarisch zu zeigen und gegen die Räumung zu protestieren. Nachbarn hängten Solidaritätsplakate und große Transparente zu ihren Wohnungen hinaus.
Solidaritätstransparente in der Wilhelm-Raabe-Str.6
Den von der Räumung getroffenen, Rosevita Thomas und der Familie Uda mit Kindern wurden keine Ersatzwohnungen angeboten, sondern einzig ein Zimmer in einer Notunterkunft, und das, obwohl sie Kinder haben!
Die vormals besetzten Wohnungen stehen nun wieder leer und wurden mit Brettern vernagelt.
Das Bündnis dazu in seiner Presseerklärung nach der Räumung:
„Dies ist kein Einzelfall, sondern das alltägliche Vorgehen von Spekulanten, Polizei und Stadt gegen von Wohnungsnot betroffene Menschen. Wie heute werden Menschen und Kinder täglich aus ihren Wohnungen geschmissen, damit Spekulanten Abreißen, Neubauen oder Luxussanieren können. Hier wird klar, dass ein eigentlich selbstverständliches Recht auf Wohnen weniger Bedeutung hat als die Gier der Spekulanten nach Profit. Auch wenn das bedeutet, dass Menschen ohne Wohnungen und Wohnungen ohne Menschen sind. Das ist der ganz normale menschenverachtende Wahnsinn auf dem Wohnungsmarkt.
Dieser Wahnsinn betrifft allein in Stuttgart Tausende. Die Besetzung war nicht nur ein Symbolprojekt, es ging von Anfang an nicht nur um Rosevita, Adriana und ihre Familien. Es ging von Anfang an darum, auf das Wohnraumproblem aufmerksam und Widerstand dagegen sichtbar und Solidarität untereinander spürbar zu machen.
Darum müssen wir weitermachen! Gehen wir heute Abend gemeinsam auf die Straße um zu zeigen, dass das Problem nicht gelöst ist.
Lasst uns aufstehen und gemeinsam weiter aktiv sein gegen Wohnungsnot, Mietenwahnsinn, Verdrängung und Leerstand!“
Das Aktionsbündnis „Recht auf Wohnen“, dass die Besetzung solidarisch begleitet hat, gibt an, dass in Stuttgart 11.000 Wohnungen leerstehen! Innerhalb von drei Jahren ist die Zahl der Sozialwohnungen mit einer Miete unter 8,50 Euro pro Quadratmeter in Stuttgart von 22.000 auf 14.500 gesunken. Sie wurden durch Luxussanierungen in der Regel doppelt so teuer. Zahlreiche Häuser wurden abgerissen, um Eigentumswohnungen Platz zu machen, die sich allerdings die bisherigen Mieter nicht leisten können. Dafür wurden in sieben(!) Jahren in Stuttgart 151 neue Sozialwohnungen mit einer Miete unter 8,50 Euro pro Quadratmeter neu gebaut! Der Grüne-Oberbürgermeister Kuhn hatte im Wahlkampf großmäulig versprochen, er werden den Wohnungsbau, insbesondere den Sozialwohnungsbau in Stuttgart ankurbeln. In der Realität hat er das Gegenteil gemacht und ist zum Oberbürgermeister der Spekulanten und Wohnungskonzerne geworden. Auch bei der Wohnungsbesetzung gehörte er zu den Scharfmachern, die darauf pochten, dass sei „gesetzeswidrig“. Es zeigt die Verkommenheit dieses Systems, dass hier das Recht auf Spekulation heilig ist, während einem Kind die Decke ohne weiteres weggenommen werden kann und tausende Menschen in Stuttgart, sich keine Wohnung mehr leisten können.
Gut 500 Menschen versammelten sich nach Angaben des Aktionsbündnisses abends, 19:30 Uhr zu einer spontan einberufenen Protestdemonstration in der Wilhelm-Raabe-Straße vor der Polizeiabsperrung. Zu der Aktion hatten das Aktionsbündnis „Recht auf Wohnen“ aufgerufen.
An einem leerstehenden Haus wurde die Garage mit Protestplakaten beklebt
Viele Menschen von der wöchentlich um 18 Uhr stattfindenden Montagsdemonstration gegen Stuttgart 21 waren nach Heslach gekommen, um die Aktion zu unterstützen. Immer wieder wurden Parolen gerufen wie „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Wohnung klaut“, „Wir – sind alle – Wilhelm-Raabe-Straße vier!“, „Wohnungsnot im ganzen Land! Unsre Antwort: Widerstand!“ Die Demonstration ging durch Heslach. Einige Anwohner begrüßten die Demo, winkten vom Balkon oder Fenster, kamen herunter und schlossen sich an. Die Flugblätter des Aktionsbündnisses wurden gern genommen. Während der Demo wurden zwei leerstehende Häuser gezeigt, die seit drei bzw. dreizehn Jahren leer stehen und jederzeit mit Mietern belebt werden könnten. Dadurch wurde die kriminelle Wohnungspolitik der Stadt Stuttgart, die gegen solche Spekulation nichts unternimmt, deutlich.
Arbeit-Zukunft beteiligte sich an den Protesten gegen die skandalöse Wohnungspolitik der Stadt Stuttgart. Wir rufen alle unserer Leser/innen, Genoss/innen und Freund/innen auf sich mit den Aktivist/innen zu solidarisieren! (Hier ihr Internetauftritt: http://leerstandbeleben.bplaced.net/) Da die Wohnungsnot kein isoliertes Stuttgarter Problem darstellt, sondern bundesweit dramatisch zunimmt, rufen wir ebenso auf, überall Aktionen gegen Wohnungsnot und Spekulation zu unterstützen.