Am 5. Mai 1818, vor 200 Jahren, wurde Karl Marx geboren. Wir werden auf diesen Großen noch zurückkommen – schrieben wir im Januar über Karl Marx. Grund gibt es genug! Karl Marx war ein ungemein kühner, im echten Wortsinne radikaler Denker, Wissenschaftler und Revolutionär.
Aber er war vor allem Anführer und Inspirator der Internationalen Arbeiterbewegung, ein mal nüchtern wissenschaftlicher, mal leidenschaftlicher Vorkämpfer der Arbeiterklasse, des Proletariats, wie er – noch ganz traditionell – schrieb.
Schon in den so genannten Frühschriften beschäftigt er sich immer und immer wieder mit der Arbeiterklasse. 1845, erstmals gemeinsam mit seinem kongenialen Genossen Friedrich Engels, schreibt Marx in „Die deutsche Ideologie“:
Der Proletarier, der darauf angewiesen ist, „seine Bedürfnisse zu befriedigen wie jeder andere Mensch, und der nicht einmal die ihm mit jedem anderen Menschen gemeinsamen Bedürfnisse befriedigen kann, den die Notwendigkeit einer vierzehnstündigen Arbeit zu gleicher Stufe mit dem Lasttier, den die Konkurrenz zu einer Sache, zu einem Handelsartikel herabdrückt, der aus seiner Stellung als bloße Produktivkraft, der einzigen, die ihm übrig gelassen, durch andre gewaltigen Produktivkräfte verdrängt wird – dieser Proletarier hat schon hierdurch die wirkliche Aufgabe, seine Verhältnisse zu revolutionieren.“
Noch früh, noch suchend, geht Marx hier doch schon aufs Ganze. „…seine Verhältnisse revolutionieren…“.
Nur wenige Jahre später, im europäischen Revolutionsjahr 1848, tritt an die Stelle des Suchens Entschiedenheit. Wieder zusammen mit Engels entsteht das „Manifest der Kommunistischen Partei“ (Kommunistisches Manifest): „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“ die unsterbliche Parole beschließt dieses epochale Werk:
„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, … kurz Unterdrücker und Unterdrückte … führten einen ununterbrochenen… Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete, oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen….
Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat.“ Und viele Seiten weiter: „…Der Fortschritt der Industrie, dessen willenloser und widerstandsloser Träger die Bourgeoisie ist, setzt an die Stelle der Isolierung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre revolutionäre Vereinigung durch die Assoziation. Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich.“
Ihm geht es weder um Sozialromantik noch um Mitleid: Ihm geht es darum, wie die Ausgebeuteten und Unterdrückten dem Kapitalismus auf revolutionärem Weg ein Ende bereiten, den Kommunismus errichten werden, dies also auch können!
Aber auch der ganz alltägliche Klassenkampf, der zähe und niedergedrückteste Kampf im oft bitteren Elend, in Armut, Entwürdigung, Kinderarbeit und Frauenausbeutung zu Minilöhnen – auch er ist Gegenstand dieser teils nüchtern-wissenschaftlichen, teils leidenschaftlichen Beschäftigung. 1865 formuliert Marx in „Lohn, Preis, Profit“ wieder einen seiner messerscharfen Schlüsse. Erneut treibt ihn die Frage der „revolutionären Assoziation“ um, nun ganz konkret, auf Grund der vor Augen stattfindenden realen Entwicklungen:
„Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.“
Welch Frische und Aktualität! Marx umreißt anschaulich das grundsätzliche Feld der Auseinandersetzung innerhalb der Gewerkschaftsarbeit, die auch uns bis heute betreffen. Bis heute ist es Aufgabe aller klassenkämpferischen Kräfte und auch der Kommunisten, in den Gewerkschaften den Kompromisslern und Leisetretern, Opportunisten und Co-Managern die Machtpositionen zu nehmen und für den Klassenkampf einzutreten, der auf die Beseitigung des Kapitalismus abzielt. Aber zugleich warnt Marx davor, von der Macht der Gewerkschaften unsachgemäßen Gebrauch zu machen, die immer fragile und stets wiederherzustellende solidarische Einheit der Mitglieder nicht zu überfordern.
Arbeitermacht „Pariser Commune“
Schon 1852, nach seiner brillanten Analyse der revolutionären „Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1852“ und mitten in der Niederschrift seiner genialen politischen Analyse des reaktionären, antirepublikanischen Putsches „Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte“, in denen der reale Klassenkampf des französischen Proletariats seziert wird, schreibt er an seinen Freund und Genossen Weydemeyer in New York Erstaunliches: „Was mich nun betrifft, so gebührt mir nicht das Verdienst, weder die Existenz der Klassen in der modernen Gesellschaft noch ihren Kampf unter sich entdeckt zu haben. Bürgerliche Geschichtsschreiber hatten längst vor mir die historische Entwicklung dieses Kampfes der Klassen, und bürgerliche Ökonomen die ökonomische Anatomie derselben dargestellt.
Was ich neu tat, war 1. nachzuweisen, dass die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist; 2. dass der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führt; 3. dass diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft bildet“ (Karl Marx, Brief an Joseph Weydemeyer, 5. März 1852; MEW Bd. 28, S. 507 f)
Bemerkenswert – und so auch von Wladimir I. Lenin gewürdigt: Wer nur den Klassenkampf anerkennt, steht noch nicht auf der Grundlage von Karl Marx. Dort steht nur, wer den Klassenkampf bis zur Eroberung der Staatsmacht und zur Diktatur der sie ergreifenden Arbeiterklasse, zur Diktatur des Proletariats vorantreibt! Mit „Diktatur des Proletariats“ meint Marx keine Diktatur über oder gar gegen die Arbeiterklasse, sondern die Herrschaft der Mehrheit der Gesellschaft über die Minderheit der Ausbeuter, die Entmachtung der Kapitalistenklasse und die Sicherung der neuen Gesellschaft gegen die Aggression der alten, entmachteten Herren und ihrer weltweiten Klassenbrüder.
Die Frage der „Diktatur des Proletariats“, ist für Marx keine beiläufige Frage. Revolutionen, die ihre Macht und ihre Errungenschaften nicht entschlossenen mit einer Diktatur der Mehrheit gegenüber den entmachteten und enteigneten Ausbeutern sichern, sind zum Scheiten verurteilt. Diese Macht bildet die Voraussetzung zum Übergang zur klassenlosen Gesellschaft, dem Kommunismus. Zur Frage der revolutionären Diktatur äußert Marx sich vielfach und immer wieder.
Trotz manch brennender Kritik an ihren unvermeidlichen Mängeln verteidigt er gemeinsam mit Engels 1871 leidenschaftlich die Pariser „Commune“, den historisch ersten Versuch, eine Arbeitermacht, einen Arbeiterstaat zu errichten, der den furchtbaren reaktionären Krieg Louis Bonapartes gegen Preußen/Deutschland beenden sollte, der das Volk in Elend, Unterdrückung und Zerstörung gestürzt hatte. Dieser heroische Versuch wurde von der herrschende Klasse Frankreichs in Kooperation mit Preußens Truppen, die im Norden direkt vor Paris standen, brutal in einem Massaker niedergeschlagen. (Vgl.: Der Bürgerkrieg in Frankreich. 1871) Marx tiefgehende Analyse der „Commune“ beginnt mir den Worten: „Am 4. September 1870, als die Pariser Arbeiter die Republik proklamierten…“ Im ersten Satz macht er klar worum es geht: Die Arbeiter proklamieren die Republik!
Marx erging sich nicht in den intellektuellen Wolkenhöhen der Abstraktion. Er suchte die Spuren der realen historischen Entwicklungen in den tatsächlichen, vor den eigenen Augen gärenden Ereignissen und verarbeitete diese theoretisch, nicht umgekehrt! Was er sah, was er selbst verfolgte, woran er z.T. selbst beteiligt war, das war die Grundlage seiner Schlussfolgerungen!
Aus den wenigen Tagen dieser brutal ermordeten Arbeitermacht destilliert er, was die neue Arbeiter/innen-Staatsmacht wesentlich prägt: Sie war eine ganz neue Staatsmacht, die die alte zerschlägt! Sie ist keine parlamentarische, sondern eine direkt arbeitende Staatsmacht der Arbeiter/innen zu Arbeiter/innen-Entlohnung und Kündigungs- bzw. Abwählbarkeitsrecht durch die Wähler/innen. Ein einziges Mal merken Marx und Engels an, wo das „Manifest“ etwas veraltet sei: „Namentlich hat die Kommune den Beweis erbracht, dass die Arbeiterklasse nicht die fertige“ vorhandene! „Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen kann.“ (MEW Bd. 18, S.96)
Die weitere historische Entwicklung, darunter die Oktoberrevolution, bestätigten, dass Marx auch hier Wesentliches entdeckt hatte.