Kurioses Machtgefüge in Tschechien: „Kommunisten“ stützen Oligarchen

Von deutschen Medien kaum beachtet: In unserem östlichen Nachbarland Tschechien siegte bei der Parlamentswahl vor wenigen Wochen die rechtsliberale Partei ANO des Milliardärs Andrej Babiš.

Schwierig sollte es anfänglich mit der Regierungsbildung werden, weil die sozialdemokratische ČSSD wie auch die christdemokratische KDU-CSL (die bisherigen Koalitionspartner von ANO) nicht mehr bereit waren mitzumachen. Nunmehr ist klar, dass sich eine Minderheitsregierung bilden wird – geduldet von der rechtsextremen SPD (Svoboda a přímá demokracie / Freiheit und direkte Demokratie) und der angeblich „kommunistischen“ KSČM (Komunistická strana Čech a Moravy / Kommunistische Partei Böhmens und Mährens)!

Die im Jahre 2015 von dem Unternehmer Tomio Okamura gegründete SPD fordert u.a. das Verbot des Islam in Tschechien, Grenzschließung, ein Referendum über den Austritt aus der EU sowie Kürzung von Sozialleistungen – letzteres soll besonders die, ohnehin schon ausgegrenzte, Roma-Minderheit treffen. Diese Partei erhielt auf Anhieb 10,64% der Stimmen. In der vergangenen Woche wurden sie auf ihrem Parteitag vom tschechischen Präsidenten Zeman beehrt (!!!). Zeman ist aktuell auf Unterstützerfang für die anstehende Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr. Er unterstützte dabei die Forderung der SPD nach einem EU-Referendum, wobei er sich für den Verbleib ausspricht. Zeman gilt als prorussisch und ist in der Öffentlichkeit mehrfach mit rassistischen Äußerungen aufgefallen.

Die KSČM erlitt herbe Verluste (-7,15%) im Vergleich zur letzten Wahl 2013 und kam jetzt nur noch auf 7,76%. Die Partei konnte sich im Gegensatz zu den anderen Regierungsparteien der ehemaligen sozialistischen Länder in gewisser Weise behaupten und sitzt seit 1989 durchgehend im Abgeordnetenhaus der Republik. Die KSČM ist auch nach wie vor die mitgliederstärkste Partei in Tschechien, wobei sich sowohl ihre Mitglieder als auch ihre Wähler zu einem Großteil aus Rentnern, dabei vor allem aus ehemaligen Beamten und Funktionären der ČSSR zusammensetzt. Einfluss auf die Jugend und das urbane Milieu hat sie praktisch keinen, auf die Arbeiterklasse nur punktuell. Ihre Hochburgen liegen im Norden und Nordwesten des Landes, in ökonomisch eher schwachen und abgehängten Regionen. Sie stellt eine Reihe von Bürgermeistern und aktuell in der Region Ústecký kraj sogar den Hejtman (vergleichbar mit dem deutschen Ministerpräsidenten). Inhaltlich vertritt sie weitgehend sozialdemokratische Positionen links der ČSSD, mit der sie Regierungskoalitionen auf kommunaler Ebene eingeht, gemischt mit einem weitgehend unkritischen Blick auf ihre Vergangenheit.

Wahlsieger und jetziger Premierminister Andrej Babiš ist Agrochemie-Unternehmer und tschechischer Medienmogul. Sein Unternehmen Agrofert macht jährliche Milliardenumsätze und besitzt sogar Tochtergesellschaften in Deutschland wie z.B. die Lieken AG, welche zu den führenden Backwarenherstellern hierzulande gehört (u.a. bekannt über „Golden Toast“), und die Stickstoffwerke Piesteritz (ehemals VEB der DDR), welche größter Stickstoffdüngehersteller und gleichzeitig größter industrieller Erdgasverbraucher Deutschlands sind. Darüber hinaus hat Agrofert die in Tschechien weit verbreiteten Zeitungen Mladá fronta Dnes und Lidové noviny aufgekauft. Monopolkapitalist Babiš selbst kündigte an, das Land „wie eine Firma“ leiten zu wollen. Er sei „kein Politiker“. In manchen Medien wurde er bereits als „der tschechische Donald Trump“ bezeichnet. Seine Partei ANO (akce nespokojených občanů / Aktion unzufriedener Bürger) ist Mitglied der Europapartei ALDE, in der auch die deutsche FDP ist. Programmatisch ist diese Partei eher undurchsichtig, gleichwohl klar ist, dass sie Front – von rechts – gegen die Flüchtlingspolitik der EU macht. Außerdem verkündete die designierte Verteidigungsministerin jüngst: „Auslandseinsätze sind meiner Meinung nach eine gute Sache. Tschechien kann sich so einen guten Namen machen bei den Partnern.“ (radio.cz)

Das passt zum gegenwärtigen Rechtsruck in Europa, zu mehr Rüstung, Krieg und Sozialabbau!

Erst kürzlich wurde unter dem Schlagwort „Affiliation“ (dt. „Annäherung“) bekannt, dass Tschechien und Rumänien planen, ihre Streitkräfte enger an die Bundeswehr zu binden, damit sie gemeinsam in einem multinationalen Verband unter deutscher Führung trainieren und ausgebildet werden können. Die gegenwärtige Politik in Rumänien wäre ohnehin noch einmal eine eigene Betrachtung wert, zumal dieses arme Land aktuell ein milliardenschweres Raketenabwehrsystem installieren will. Dieses Jahr fand dort ein großangelegtes NATO-Manöver statt. Es ist klar wohin die Reise geht.

Welchen Teufel aber hat die KSČM geritten, die ANO zu tolerieren? Auch wenn es sich um eine revisionistische Partei handelt, so sind sie doch dennoch für ihre klare antiimperialistische Haltung bekannt, nicht nur im Inland: Jährlich nehmen sie beispielsweise in Kooperation mit der DKP am Ansbacher Ostermarsch teil. Eine Erklärung: ANO fordert die Besteuerung der Entschädigungszahlungen des tschechischen Staates an die katholische Kirche. Auch die KSČM machte immer wieder gegen das Restitutionsgesetz (Rückgabe des Kirchenbesitzes) mobil. In der mehrheitlich konfessionslosen tschechischen Bevölkerung trifft das auf Zustimmung. Eine Rechtfertigung ist das nicht! Die „K“SČM setzt ungeheuerlich verquere Maßstäbe an, wenn ihr Antiklerikalismus derart seltsame Blüten treibt und zu einer Unterstützung des Hauptgegners führt!

A.N.