Am Sonntag, 19. November 2017 um Mitternacht ließ die FDP die „Jamaika“-Koalitionsverhandlungen platzen. „Lieber gar nicht regieren als falsch regieren!“, ließ Herr Lindner die Medien beim Verlassen der Verhandlung wissen. War er der Bösewicht, der Verräter „den Dolch im Gewande“? Ist er „schuld“?
Ja und Nein. Natürlich steht er auch als Person für die aggressiv-kapitalfreundlichen Ziele der FDP. Aber er ist eben wie auch seine Partei, die hinter ihm steht, ein Handlanger des Kapitals. Mit der neoliberalen FDP ließ nämlich die aggressivste Partei des Kapitals die Verhandlungen scheitern. Hinter der Truppe stehen führende Vertreter des deutschen Kapitals!
Die Botschaft dieses Coups ist eindeutig! Jamaika würde schon eine aggressive, aber gegenüber der Arbeiterklasse und den andren Teilen des Volks demagogisch leicht abgemilderte Politik machen. Aber das ist diesen Herrschaften nicht aggressiv genug! Weg mit den finanziellen Belastungen des Kapitals, noch mehr Privatisierungen! Keine Zugeständnisse an die arbeitenden Menschen! Das wollen sie.
Da ist es wirklich kein Zufall, dass mitten in die Koalitionsverhandlungen die Nachricht hineinplatzte, dass Siemens 3500 Kolleg/innen auf die Straße setzen will. Die Siemensbosse wollen zwei Standorte genau im Osten, in Görlitz und Leipzig, ganz schließen. Im gleichen Atemzug verkündet Siemens-Boss Kaeser einen Riesenprofit. Er zerreißt zugleich ein Abkommen, das Standortschließungen bei Siemens ausschließen sollte. Aber all das ist reine Absicht! In Sachsen, genau da, wo die nationalistisch-reaktionäre, halb faschistische AfD die Bundestagswahl gewann! Man treibt die Leute geradezu der halb faschistischen Reaktion in die Arme! Ein Schuft wer Böses dabei denkt!
Aber nicht nur die AfD mit ihrer nationalistischen Hetze, mitgegründet durch offenkundigste Kapitalvertreter wie Ex-Arbeitgeberfunktionär Henkel oder Wirtschaftsprofessor Lucke – nein, auch die wirtschaftsliberale FDP setzte auf fiese Demagogie. Vor die Jamaika-Verhandlungslokale hatte sie Kolleg/innen von den Braunkohletagebauen der Lausitz organisiert, flankiert von Gewerkschaftsführern der IGBCE. FDP-Verhandlungsführer Lindner und Kubicki – ganz Arbeiterfreunde! – ließen sich vor allen Kameras von den zur Kulisse erniedrigten Kolleg/innen als Retter der Braunkohle (Tagebau wie Kraftwerke) feiern. Das deutsche Energiekapital zeigt hier: Wir lassen uns weder von Umweltaktivisten noch von einer UN-Klimakonferenz oder solchen „Losern“ wie den Chefs der bereits absaufenden Fidschi-Inseln vorschreiben, wann wir unsere fetten Investitionen in die Kohlewirtschaft abschalten. Wenn es der Show hilft, tun wir sogar so, als wenn uns „eure“ Arbeitsplätze interessieren.
Das Kapital schafft aber schon Tatsachen und droht: Wenn die klimamäßig objektiv notwendige Einstellung der Braunkohlewirtschaft kommen sollte, andere Arbeitsplätze im Osten gibt’s nicht: Nicht nur Siemens droht mit Arbeitsplatzabbau, nein auch die Görlitzer Waggonbaufabrik von Bombardier mit tausend Arbeitsplätzen und andere drohen mit massiven Rausschmissen! Botschaft: Es geht gar nicht um Arbeitsplätze, sondern darum, wie das Kapital seine Mega-Profite sichert!
Dieses Vorgehen erstaunt umso weniger, als auch unmittelbar vor der Bundestagswahl Stahlkapitalist Thyssenkrupp anlässlich einer Fusion mit der Streichung tausender Arbeitsplätze drohte, worauf zwei Tage vor der Wahl rund 7000 Stahlarbeiter sich gezwungen sahen, aus Protest die Arbeit niederzulegen und auf die Straße zu gehen. Auch tausende bedrohte „Siemensianer“ gingen sofort auf die Straße!
Die Jamaika-Verhandler/innen hatten sich unter Merkels Führung große Mühe gegeben:
Mehr oder weniger fest stand schon:
* Fortsetzung und Verschärfung der harten Linie gegen Geflüchtete und Migrant/innen! Der AfD das Wasser abgraben, indem man ihren Forderungen nachkommt. Botschaft: Nicht nur Entsolidarisierung, nein, Solidarität ist sogar verwerflich! Es ging eigentlich nur noch um die Schminke, mit der das ein bisschen vertuscht werden sollte, was insbesondere die Grünen dringend benötigt hätten.
* Kein schneller Ausstieg aus der Kohle-Energiewirtschaft! Dass aber für alles, was da notgedrungen geschehen muss, angeblich Arbeitsplätze in Gefahr sind, das musste als Argument herhalten. Die FDP kämpfte mit harten Bandagen für die Interessen der Energiekonzerne. Man hatte sich eigentlich schon geeinigt, die Rechnung den Arbeiter, Angestellten usw. über den Strompreis zu präsentieren und die Stromkonzerne ungeschoren davonkommen zu lassen.
Bemerkenswert an den Verhandlungen ist, wie wenig Konkretes sonst an Ergebnissen raus gelassen wurde! Wir bleiben dabei: Für die Arbeiterklasse bedeutete Jamaika weitere heftige Angriffe: Noch mehr Privatisierungen, noch mehr Leiharbeit, noch mehr Billiglohn, Raub und neue Lasten für die Armen. Die Beute der Raubzüge wird als Subventionen oder Steuergeschenke an die Reichen weitergereicht. Die arbeitenden Menschen in diesem Land müssen sich deshalb auf harte Zeiten vorbereiten.
Aber bemerkenswert ist, worüber gar nicht verhandelt wurde:
* Kein Ausstieg aus der Freihandelspolitik (TTIP,CETA usw.) der EU und damit der Bundesrepublik. Jeder weiß, dass diese ganze Staaten in Afrika, Lateinamerika oder Asien ruiniert, dort die Konflikte schürt und allein schon für hunderttausende Flüchtlinge sorgt.
* Kein Ende der militaristischen Politik mit Bundeswehrkampfeinsätzen (Afghanistan, Mali und anderswo) und skrupellosem Waffenhandel. Im Gegenteil: Mitten in die Jamaika-Verhandlungen fielen massive Waffenlieferungen an die Saudis sowie der von Frau v. d. Leyen (CDU) gemeinsam mit Noch-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) gefeierte Einstieg in die Europa-Armee, pardon, in die „Ständige Strukturierte Militärische Zusammenarbeit“ der EU, die zu massiver Aufrüstung und Etatsteigerungen führt. Auch hier sind hunderttausende Flüchtlinge die Folge.
* Kein Wort hörte man von den versprochenen Wohnungen. Mitten hinein platzten Meldungen, dass nach aktuellen Erhebungen in Deutschland 860 000 Menschen ohne Wohnung sind. Kein Wort über notwendige massive Sozialwohnungsbauprogramme. Im Gegenteil: Ungehindert reißt das Wohnungskapital massenhaft billige Wohnungen ab. Ungehindert wird mit Wohnungen und Häusern spekuliert, ungehindert steigen die Mieten!
Die Sorgen der Bevölkerung sind diesen Möchtegern-Regierenden völlig egal!
Merkels dramatische Niederlage!
Für Frau Merkel und beide Unionsparteien ist das Scheitern von „Jamaika“ eine weitere schwere Niederlage. Auch die Grünen hat die neue Lage kalt erwischt. Sie wollen unbedingt in die Regierung! Was nun? Schon wächst die Sorge, dass diese Lage die internationale Stellung des deutschen Imperialismus beeinträchtigt.
Schon am Morgen nach der Herrn Lindners mitternächtlicher „Show“ wächst der Druck auf die SPD, nun doch „ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht zu werden“, also sich auf Verhandlungen zu eine neue „Große Koalition“ einzulassen. Diese markiert „tapfer“ den dicken Maxe und weist das – bisher – zurück.
Auch eine Minderheitsregierung wird diskutiert. Merkel könnte sich auf eine schwarz-grüne Koalition stützen und müsste sich die Mehrheiten (die erste braucht sie bei der Wahl zur Kanzlerin!) von Fall zu Fall zusammensuchen. Aber wie auch immer, zwei Dinge sind schon jetzt klar. Angela Merkel ist massiv angeschlagen. Wie lange hält sie sich noch? Und eine Neuwahl des Bundestages ist seit diesem 20. November 2017 möglich.
Neuwahlen?
Die FDP scheint offen darauf zu spekulieren. Auch SPD-Vize Stegner signalisierte, dass die SPD sich nicht davor fürchtet. Sie habe in Niedersachsen gewonnen und auch in Kommunalwahlen habe sie wieder Erfolg. Trittin (Grüne) tönte schon im DLF, mit Neuwahlen hätte seine Partei kein Problem.
Bei dieser Frage kommt Bundespräsident Steinmeier ins Spiel. Vereinfacht: Kriegt Merkel dreimal keine absolute Mehrheit im Bundestag, kann er diesen auflösen. Binnen 60 Tagen muss dann die Neuwahl erfolgen.
Aber schon die abstoßende Hetze der CSU-„Nachwuchshoffnungen“ Dobrindt und Scheuer während der Koalitionsverhandlungen, das aggressive Auftreten der AfD und der FDP zeigen: Die Zeiten sind hart, werden aber noch härter. Es würde ein Wahlkampf der reaktionären, nationalistischen und rassistischen Hetze. Und ein Wahlkampf gegen die einzigen, die überhaupt klare Arbeiter-Forderungen erheben, gegen Linke, besonders hart auch gegen Revolutionäre und die Kommunisten.
Eine gemeinsame Front ist nötig!
Nüchtern, objektiv betrachtet, ist esnotwendig, dass die Linke, Revolutionäre und Kommunisten solidarisch in einer gemeinsamen Front antreten, zusammen mit klassenkämpferischen, antifaschistischen und demokratischen Kräften. Für diese Front müssen Differenzen zurückgestellt werden. In Ihrem Mittelpunkt muss aber die Lage und die Interessen der arbeitenden Menschen stehen. Hinein in Betriebe und auf die Straßen! Daran mangelt es noch sehr. Gemeinsam eintreten für ein Programm der Solidarität, gegen Hetze und Gewalt!
* Solidarisch mit allen Erwerbslosen, Hartz IV-Empfängern, Geflüchteten: Erschwingliche Lebensbedingungen und ein Auskommen für alle!
* Ein Bauprogramm für erschwinglichen Wohnraum für alle Bedürftigen. Mindestens 800.000 Wohneinheiten! Abriss verwendbarer Gebäude zu Spekulations- und Profitzwecken verbieten! Ungenutzter Wohnraum muss zur Verfügung gestellt und notfalls konfisziert werden.
* Arbeit für alle in der Gesundheits- und Altenpflege, im Sozialbereich, in der Bauwirtschaft, für Wohnungen, Ertüchtigung und Renovierung im öffentlichen Bereich!
* Mindestlohn 11 Euro! ! Keine Ausnutzung Zugewanderter für Lohndrückerei durch das Kapital! Zugewanderte dürfen nicht willkürlich in Untätigkeit gehalten werden.
* 30-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
* Die Reichen müssen die Krise bezahlen! Sofortige Wieder-Erhebung der Vermögenssteuer! Erhöhung der Einkommens- und Erbschaftssteuer, Einkommenssteuerspitzensatz von 53 %! Deutliche Erhöhung der Erbschaftssteuer.
* Schluss mit Freihandelspolitik!
* Bundeswehr zurück aus dem Ausland!
* Verbot der Waffenexporte!
Das müssen wir fordern. So könnte ein Programm einer gemeinsamen Front aussehen. Vor allem aber brauchen wir die Eröffnung einer Debatte über diese Fragen. Nur wenn wir eine solidarische Einheit der Arbeiter/innen und zusammen damit auch unsere Einheit stärken, können wir in den kommenden Herausforderungen bestehen.