06. September 2017, Innenstadt Karlsruhe:
Wahlkampfveranstaltung der Partei die Linke, der (laut Bernd Riexinger) Partei „der zwei Strömungen“.
Ort: Kirchplatz St. Stephan, vorm Leuchtturm der Pfaffen.
Es ist stürmisch. Anwesend: mehrheitlich Mitglieder der beiden Strömungen. Sie haben sturmbedingt Probleme mit dem Veranstaltungsequipment. Die Kundgebung beginnt mit Verzögerung. Spitzenkandidat Bartsch schaffte es nicht rechtzeitig zum Veranstaltungsort, wegen eines Interviews mit der konservativen Badischen Neusten Nachrichten (BNN). Tags darauf, am 07. September, war in den BNN das Interview zu lesen: „Realo Bartsch macht seiner Enttäuschung Luft“, so die Überschrift. MdB Bartsch argumentierte da eher defensiv, mehr so zwischen den Zeilen, dass seine Partei nach dem Absinken der SPD-Umfragewerte keine wirkliche Machtoption mehr habe und eben kleinere Brötchen backen müsse. Nach Bartschs Ansicht spielt es immer eine Rolle, wie stark eine Partei ist. Nur durch Stärke würden die anderen Parteien gezwungen, die eigenen Themen zu übernehmen. Mehr als für seine Kollegin Wagenknecht ist diese Lage für Bartsch bestimmt nicht leicht, da er in seiner „Partei der zwei Strömungen“ als ein Realo gilt, „der unbedingt Regierungsverantwortung übernehmen will.“ Bartsch ist laut BNN ein Linker, „der offen das bürgerliche Leistungsprinzip hochhält“. Stimmt, er erweckt wirklich nicht den Verdacht, die totale Veränderung der Gesellschaft zu wollen. Für ihn bleibt alles beim Alten. Das Grundübel, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen – nicht sein Ding! Er ist und bleibt Reformist!
Nach dem Interview kam der Bundestagsspitzenkandidat der zwei Strömungen, Bartsch, trotz des stürmischen Wetters schließlich doch noch beim Leuchtturm der Paffen an. In der Zwischenzeit hatte der Karlsruher Bundestagskandidat Brandt, Theaterpersonalrat, die Veranstaltung schon eröffnet. Wie jede andere bürgerliche Partei gab er für „die Partei der zwei Strömungen“ Versprechen ab, die sie gar nicht halten kann. So das Versprechen, mit der Linken sei „ein klarer Richtungswechsel in der Politik“ gesichert. Dies wird sich am Ende als Seifenblase entpuppen. Positive Aspekte waren immerhin: Bei der Rentenpolitik mag es ein richtiger Ansatz sein, „das Rentenniveau auf 53 %“ zu erhöhen. Als Berichterstatter merke ich aber an: Es dürften aber auch gern mehr sein. Auch die Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro sowie die Zurückdrängung der prekären Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit oder Werkverträge oder eine „solidarische Mindestrente von 1 050 Euro“ sind mehr als notwendig. Dann kam Bartsch: „Keine Armut im reichen Deutschland!“, so die Forderung am Anfang seiner Rede. Es sei ihm unbegreiflich, wie in Deutschland so viel Kinderarmut herrschen könne. Also müsse „der Sozialstaat wiederhergestellt werden“. „Wir brauchen in unserem Land eine Umverteilung! Wir haben den Mut, uns mit den Reichen anzulegen und damit eine Veränderung zu Wege zu bringen.“ Gut gebrüllt, „Löwe“! Erreichen wolle man dies durch Steuerreform. Auch der Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuerflucht soll Erfolg bringen. Den „obszönen Reichtum der Milliardäre und Millionäre“ will man einschränken. Denn diesem stünden 2,7 Millionen arme oder von Armut bedrohte Kinder gegenüber, und alte Menschen, die im Müll Flaschen sammeln müssen. Einen Spitzensteuersatz von 53 % und eine Reichensteuer von 5 % für private Vermögen über eine Million Euro fordert der linke Spitzenkandidat, schlägt aber sofort beruhigende Töne an: Die Linkspartei habe „übrigens nichts Revolutionäres“ vor“. „Wir wollen keine Unternehmen kaputt machen – oder Arbeitsplätze vernichten – wir wollen nur, dass das Gemeinwesen etwas vom obszönen Reichtum bekommt“, um u. A zu verhindern, dass ein Teil der Bevölkerung weiter Flaschen aus dem Müll klauben muss oder noch weiter abdriftet.
Eben dafür sei es notwendig, vom vorhandenen „obszönen Reichtum sich etwas zu holen“. Da genüge es nicht, den „ Spitzensteuersatz auf 53% anzuheben“, sondern da sei „ein großer Schluck aus der Flasche“ nötig. Hier gehe es auch um die Vermögenssteuer und den Verteidigungsetat. Ja, er spricht sich auch gegen eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben aus.
Kritisch merke ich, der Berichterstatter an: Als weiteren Schritt in diese Richtung wäre es z. B. eigentlich notwendig, „die Transaktionssteuer“ einzuführen, und nicht, wie in fast jeder Wahlkampfveranstaltung, folgenlos darüber zu schwätzen oder – .dies Thema erst gar nicht zu erwähnen. Hier in Karlsruhe bekam man eher den Eindruck, dass diese Partei die Linke die Forderung nach der Transaktionssteuer meidet wie der Teufel das Weihwasser. Auch sonst war da alles nicht wirklich neu: Dass in unserem Land die Armut grassiert, dafür sind doch die prekären Arbeits- und Wohnverhältnisse verantwortlich. Nicht der einzelne Mensch, der gar nichts dafür kann. Dass eine Steuerreform in unserem Lande notwendig ist, wissen alle, aber über die Höhe des Steuersatzes muss man sich halt streiten. Um die Steuerflucht und Steuerhinterziehung zu beenden, muss man Gesetze schaffen, die endlich die Steuerschlupflöcher stopfen, was schon Jahre überfällig ist. Vom angepeilten Politikwechsel kann die Linke nur träumen. Auch in den nächsten Jahren wird das nicht möglich sein, so wie sich derzeit die Mehrheitsverhältnisse gestalten.
Enttäuschung bei der Wohnungsfrage!
Bartschs war es gerade mal einen Nebensatz wert, dass die Linke unter ihren Politikwechsel auch versteht, dass bezahlbarer Wohnraum vorhanden sein muss. In Karlsruhe ein brennendes Problem. Da aber hatte auch Bartsch nicht viel zu sagen. Und das geht gar nicht. Dass schon seit Jahren Wohnungsnot herrscht, ist kein Geheimnis. Tausende Menschen im Lande sind von den ständig steigenden Mieten betroffen – trotz der sogenannten Mietpreisbremse, die völlig versagt hat. Immobilienfirmen und Privateigentümer bereichern sich ständig durch saftige Mieterhöhungen, die für viele alte und junge Menschen unbezahlbar sind. Billiger Wohnraum ist nicht nur Mangelware, nein!, vorhandener wird sogar für den Profit der Wohnungsunternehmen, auch kommunaler, abgerissen – oder privatisiert, verscherbelt. In Großstädten, Ballungszentren und Universitätsstädten explodieren die Mieten.
Auch in Karlsruhe findet diese erschreckende Entwicklung statt. In den letzten Jahren sind rund 90% der Sozialwohnungen weggefallen, die Mietpreise steigen vielfach rasant an. Viele Bewohner können sich die Mieten im ehemaligen Arbeiterviertel nicht mehr leisten und ziehen weg. Kostengünstiger Wohnraum ist rar. 24 000 Menschen benötigen eine Sozialwohnung, aber tatsächlich werden nur 2 000 Sozialwohnungen angeboten. Es wäre eigentlich sozial, wenn die Stadt Sozialwohnungen schaffen würde. Dem ist leider nicht so. Nur wenige Floskeln dazu vom Linken Spitzenmann. Eigentlich traurig! Die Wohnungsfrage wäre einen Aufstand wert.
Trotz alledem: Wer will, dass kämpferische Abgeordnete wie Sevim Dagdelen und andere klassenkämpferische Menschen im bürgerlichen Parlament vertreten sind, sollte seine Zweitstimme ihrer Partei geben, solange es keine eigenständige Kandidatur der revolutionären Organisation der Arbeiterklasse gibt. Wählen kann etwas bringen, wenn fortschrittliche Vertreter der Interessen der Arbeiterklasse im Parlament deren Positionen vertreten. Tausendmal wichtiger aber ist und bleibt es, endlich mit aller Kraft selbst dafür einzutreten, dass die Arbeiterklasse „sich selbst als eigene Partei konstituiert“, selber kämpft und sich selber organisiert. Die Organisation für den Aufbau einer Kommunistischen Arbeiterpartei aufbauen und stärken!
Mrg