Im Rahmen einer Berlin-Besichtigung wurde unsere Gruppe auch zu der Gedenkstätte in der Stauffenbergstraße geführt. Ich hatte vorher so meine Befürchtungen: Wahrscheinlich wird es vor allem um den gescheiterten Putsch am 20. Juli 1944 gehen und vielleicht wird noch die Münchener „Weiße Rose“ um Sophie Scholl erwähnt…
Damit lag ich leider ziemlich richtig – doch zunächst erhielt ich einen ganz anderen, unerwarteten Schock: Als Bodenverzierung befand sich in zahlreichen Ausstellungsräumen ein mäandrierendes Hakenkreuzmuster. Ich sprach unseren Ausstellungsbegleiter (ich vermeide hier bewusst das Wort Führer) darauf an und erhielt als Antwort sinngemäß: „Das Gebäude stammt aus der Kaiserzeit, dieses Muster war schon vorher da. Außerdem stammt es aus der altgriechischen Kultur und symbolisiert das Sonnenrad. Und eine Entfernung wäre schwierig und teuer.“ (!!!!! Die Ausrufezeichen sind von mir.) Das war mir natürlich bekannt – auch dass dieses Zeichen bei den Germanen ein Schriftzeichen war. Aber seit dem Nazi-Reich ist dieses Zeichen in der ganzen Welt untrennbar verbunden mit der grausamen Ideologie des Faschismus. Und noch etwas: Wer als Aufnäher oder Aufkleber das berühmte Strichmännchen verwendet, das ein Hakenkreuz in den Papierkorb wirft, wurde zumindest bis vor nicht langer Zeit vor Gericht gezerrt wegen der Verwendung verbotener Symbole. Diese Strichzeichnung ist ja in Wirklichkeit keine Verherrlichung, sondern eine Verunglimpfung eines Nazisymbols – und so etwas war in der BRD offenbar strafbar! Das Zeigen dieses belasteten Symbols als Bodenverzierung aber nicht… Man könnte das sicherlich übermalen oder sonstwie überdecken, wenn (!) man wollte…
Vor der Führung durch einige Räume (nur 20. Juli!) gab es eine feuilletonistische Einführung, in der auch mit einem Satz die „Weiße Rose“ erwähnt wurde und mit einigen mehr Worten der Widerstandskämpfer Georg Elser. Ansonsten wurde nur lange über die Militärs des 20. Juli geredet – ich will es aber kurz machen: Deren Widerstand begann nach den Worten des Redners im Jahr 1942 und es wurde erst zwei Jahre später versucht, ihn in die Tat umzusetzen. Dabei lief alles mögliche schief, das Wetter spielte nicht mit, Termine wurden verlegt usw. Dazwischen – 1943 – lag übrigens auch der Sieg der Sowjetunion bei Stalingrad und damit die Wende des Krieges. Was in den Ausführungen des Redners fast völlig fehlte, war, wie sich die Putschisten die Zeit nach Hitler vorstellten; er erwähnte nur, dass eine zivile Regierung geplant war. Er erwähnte auch, dass nach Vorstellungen der Putschisten Stauffenberg unbedingt überleben sollte, weil er in der Nach-Hitler-Zeit gebraucht wurde.
Am Ende der Führung durften wir uns die wenigen übrigen Räume selber ansehen, doch vorher nahm ich den Redner ziemlich massiv ins Gespräch. Der Zusammenhang zwischen der Niederlage bei Stalingrad, dem Vorrücken der Roten Armee und dem erst dann erfolgenden Attentatsversuch ist doch wohl offensichtlich: Den Herren Generälen, Offizieren usw. drohten „die Felle“ davonzuschwimmen, der von ihnen erstrebte landwirtschaftliche Großgrundbesitz im eroberten Osteuropa. Bis dahin hatten sie seit 1933 die Politik der Nazis mitgetragen; es waren nicht nur Gestapo und SS, es war auch die Wehrmacht! Ihren Großgrundbesitz konnten sie nur noch erringen, wenn sie mit der USA-Armee gemeinsam die immer weiter vorrückende Sowjetarmee zurückschlügen – DESWEGEN musste Hitler weg. Und ein toter Stauffenberg hätte mit so einem „Rittergut“ nichts mehr anfangen können. Ich habe kritisiert: „Wenn Stauffenberg so wichtig war, hätte jemand anderes die Bombe platzieren und dableiben müssen, um dafür zu sorgen, dass Hitler auch wirklich erwischt wird.“ Kommentar des Dokumentations-Führers: „Sie hatten nicht so viele Leute.“
Ach ne! In Deutschland gab es zahlreiche Widerstandsgruppen, und die haben nicht erst bis 1942 gewartet, die haben nicht erst nach Stalingrad den Kampf aufgenommen, sie wurden allerdings durch Stalingrad in ihrem Kampf für ein freies, demokratisches und auch sozialistisches Deutschland ermutigt – gerade das aber wollten zumindest maßgebliche Leute unter den 20.-Juli-Putschisten verhindern – ehrenwerte Mitstreiter mag es unter ihnen auch gegeben haben.
Einige der Widerstandsgruppen wurden in wenigen Nebenräumen auf jeweils ein paar Quadratmetern gewürdigt, gewissermaßen abgeschoben auf dem Abstellgleis. Die „Edelweißpiraten“ zum Beispiel, deren bekannteste Gruppe es im Kölner Arbeiter(!)-Viertel Ehrenfeld gab, aber auch in einer Reihe anderer Städte. Einer von ihnen war Bartolomeus Schink. „Er war sechzehn, als man in hängte“ (Buchtitel). Gehenkt wurden er und seine Mitstreiter kurz vor Kriegsende. Sie alle waren Jugendliche und hatten als Schulbildung nur die der Nazis „genossen“ – und die ihrer Arbeiter-Eltern! „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein“ – gibt es einen besseren Beweis für die Richtigkeit der Aussage von Karl Marx? Und wird diese Aussage nicht auch dadurch bestätigt, dass die gesellschaftlichen Kreise, aus denen die Putschisen stammen, offenbar keine Vorbilder vorzeigen können als die des 20. Juli? Viele Widerstandsgruppen haben ihren Kampf gegen die Nazis übrigens schon mit der Machtübertragung an die Nazis begonnen, auch militant. Zu kaum einer dieser Gruppen hatten die Putschisten offenbar Kontakt aufgenommen, sondern zumindest bevorzugt zu Vertretern von ihnen genehmen Parteien und Gewerkschaftlern. Viele dieser Widerstandskämpfer wurden zumindest in Westdeutschland noch jahrzehntelang als Kriminelle und Vaterlandsverräter behandelt – nicht nur von heutigen Nazis.
Ich zähle die Leute um den 20.Juli-Putsch zum Widerstand gegen den Nazi-Faschismus, aber Vorbilder sollten zumindest auch andere Gruppen sein! Und die Hakenkreuz-Zierleisten müssen weg!