Stuttgart, 26.03.2017
Walter Hoffman, Unterstützer von Arbeit-Zukunft, IG-Metaller und früherer Betriebsrat, sprach in einer Matinee vor zahlreichen Freunden und Interessierten in den neuen Vereinsräumen von DIDF in Stuttgart / Bad Cannstatt. Sein Thema: Seine Teilnahme am Prozesses gegen IS-Leute, die in den brutalen Anschlag vom 10. Oktober 2015 in Ankara verwickelt sind. Zwei Selbstmordattentäter sprengten sich damals in die Luft – auf einer von Gewerkschaften und demokratischen Organisationen durchgeführten Großdemonstration für Frieden und Verständigung(!) in der Türkei.
Bei dem Anschlag starben 101 Menschen, über 500 wurden, zum Teil sehr schwer, verletzt. Hofmann berichtete, unter den Opfern und deren Hinterbliebenen seien viele Gewerkschaftsmitglieder sowie Mitglieder und Freunde linker Parteien und Organisationen. Allein ein Drittel der Opfer gehörten der HDP oder EMEP an oder stünden ihnen nahe. Walter Hofmann: Es handelte sich um den schwersten Terroranschlag in der Türkei seit dem zweiten Weltkrieg!
36 IS-Mitglieder stünden (offiziell) vor Gericht, von denen allerdings nur 13 persönlich anwesend waren. Die anderen seien flüchtig. Ca. 450 Betroffene und solidarische Zuhörer hätten die Verhandlung verfolgt.
Im November 2016 und am 6.-7. Februar 2017 beobachtete eine Delegation aus Deutschland den Prozess, neben Hofmann auch Mitglieder von GEW und Ver.di sowie Rechtsanwälte. Der Referent schilderte, wie das Gericht sich zwar um den Anschein von Neutralität bemühte, real aber immer wieder bewies, wie solch ein Verfahren zur Farce wird. Weder konnten die Anwälte der Opfer vom Vorsitzenden unbehelligt sprechen, noch waren die zahlreich anwesenden Opfer und ihre Angehörigen vor unverschämten Beleidigungen durch die Angeklagten sicher.
Insbesondere versuchte das Gericht immer wieder zu verhindern, dass die skandalöse Rolle und die Verantwortung des türkischen Staates sowie der Polizei zur Sprache kamen. Bei den Attentaten habe die Polizei aktiv die Hilfe behindert und auch die (schwer verletzt am Boden liegenden!) Opfer mit Pfefferspray besprüht. Eine Sanitäterin berichtete als Zeugin, dass man sie und anderes Fachpersonal mehr als eine halbe Stunde hinderte, zu den Verletzten zu gelangen. Hofmann: Bis zu einem Drittel der Toten muss der Behinderung durch die Polizei zugeschrieben werden! Bei rechtzeitiger Hilfe hätten sie eine Überlebenschance gehabt!
Immer wieder kam es zu empörten Protesten der Zuhörer im Gerichtssaal, wenn der Vorsitzende Richter versuchte, die Anwälte der Opfer bzw. ihrer Organisationen zu hindern, diese Staatsverantwortung zur Sprache zu bringen. Walter Hofmann betonte die Tapferkeit und den Mut, besonders bei den beteiligten Anwältinnen und Anwälten.
Als der Vorsitzende es einmal nicht schaffte, schnell wieder Ruhe zu herzustellen, habe einer der Angeklagten laut und provokativ den Richter aufgefordert, ihm (dem Angeklagten) „die Sache zu überlassen“, er würde schon für Ruhe sorgen!
Um jede Unruhe unterbinden zu können, war schwer bewaffnete Polizei in großer Zahl im Gerichtssaal anwesend, um die Zuhörer einzuschüchtern. Die Opferanwälte seine förmlich zwischen Polizisten eingezwängt gewesen.
Vor dem Gerichtsgebäude war es vor und nach den Verhandlungsterminen immer wieder zu Solidaritätsdemonstrationen und Kundgebungen gekommen.
Sichtlich bewegt schilderte Walter Hofmann, wie sehr die Teilnahme der deutschen Delegation von den Beteiligten vor Ort als Ausdruck praktischer Solidarität dankbar aufgenommen wurde. Er rief eindringlich auf, diese Solidarität auch bei der Fortsetzung des Prozesses im Mai weiterzuführen. Er forderte abschließend die Solidarität mit den gegen das Erdogan-Regime um ihre Rechte kämpfenden Menschen in der Türkei.
In einer kurzen Rede forderte ein Vertreter von Arbeit Zukunft, dass alle Kolleg/innen aus der Arbeiterschaft – egal ob Deutsche, Türken oder anderer Herkunft – sich aktiv dem immer aggressiveren Nationalismus entgegenstellen müssten, der sowohl in der Türkei aber auch in Deutschland die Einheit und Solidarität in der Arbeiterklasse bedroht. „Die Grenzen verlaufen aber nicht zwischen Staaten, Ländern und Nationen, sondern zwischen der Arbeiterklasse und dem Kapital!“