Wenige Tage nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2011 hatte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan erklärt: „Das ist ein Geschenk Gottes.“ Wie das gemeint war, wurde in den zurückliegenden Monaten deutlich. Der Putschversuch bot ihm und der AKP-Regierung einen Vorwand für einen Gegenschlag. Zu spüren bekamen ihn vor allem kurdische Politikerinnen und Politiker. Im Zuge des Ausnahmezustands, der nach dem Putschversuch verhängt wurde, wurde fast ein Drittel von 106 Kommunen, in denen die prokurdischen Parteien HDP (Demokratische Partei der Völker) und DBP (Demokratische Partei der Regionen) die Bürgermeister stellen, unter Zwangsverwaltung gestellt. Die gewählten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von 34 Städten wurden ab- und an ihrer Stelle AKP-nahe Staatsbedienstete eingesetzt. Viele der abgesetzten Kommunalpolitiker wurden unter dem Vorwurf „Unterstützung bzw. Propaganda für eine terroristische Vereinigung“ inhaftiert. Diese Verfolgung traf zuletzt die Oberbürgermeister der Provinzstädte Van, Siirt und Mardin, die am 17.11.2016 abgesetzt wurden.
Das Vorgehen gegen die kurdischen Kommunalpolitiker ist Teil einer breiten Repressionswelle gegen die Oppositionspartei HDP, deren Ko-Vorsitzende und Abgeordnete mit demselben Vorwurf inhaftiert wurden. Sie sind Opfer einer Politik, mit der die Türkei in einen Unterdrückungsstaat verwandelt und Andersdenkende als Terroristen einsperrt werden. Nicht nur die HDP, sondern alle demokratischen Medien und Organisationen sind Ziel dieser Repression.
Seit der Verhängung des Ausnahmezustands wurden Dutzende Zeitungen und Fernsehsender geschlossen, Hunderte Vereine verboten, Tausende Akademiker suspendiert, Zehntausende Beamte vom Staatsdienst entfernt und eingesperrt.
Trotz der Verfolgung halten die HDP und Millionen Menschen an ihren demokratischen Forderungen fest. Für demokratische Grundrechte und Freiheiten nehmen sie willkürliche Verhaftungen in Kauf und stellen sich den Versuchen von Erdoğan und seiner AKP-Regierung entgegen, eine Diktatur aufzubauen.
Während die Bundeskanzlerin Merkel und andere Mitglieder der Bundesregierung die Entwicklungen in der Türkei einerseits mit „tiefer Sorge“ verfolgen und als „alarmierend“ bezeichnen, beschließen sie andererseits den Bundeswehreinsatz im türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik zu verlängern. Diese Heuchelei kommt einer Ermunterung und Stärkung von Erdoğan und AKP gleich. Wir rufen die Öffentlichkeit in Deutschland auf, Druck auf die Bundesregierung auszuüben, damit sie ihre Zusammenarbeit mit dem türkischen Staat und die Waffenexporte in die Türkei beendet.
Machen Sie deutlich, dass es diese Zusammenarbeit ist, die uns Anlass zur tiefen Besorgnis bietet. Dies stellt einen wichtigen Beitrag zur Solidarität mit den demokratischen Kräften in der Türkei dar. Wir appellieren an Sie, Ihren Protest auch an offizielle Stellen der Türkischen Republik bzw. deren diplomatische Vertretungen in der Bundesrepublik zu richten. Zeigen wir zusammen, dass die demokratischen Kräfte in der Türkei nicht alleine sind.
Köln, 18.11.16
DIDF Bundesvorstand
Föderation demokratischer Arbeitervereine
Demokratik İşçi Dernekleri Federasyonu