„Natürlich trifft es wieder mich“ – missmutig sitzt Igor in der Metro und regt sich auf über die Panne von Wladimirs Dienstwagen. Immer muss er zurückstecken, immer wird sein Wagen dringend gebraucht, wenn der Wagen des Chefs in die Werkstatt muss.
Na ja, und Wladimirs Spezialauftrag – lachhaft. Warum soll ER jetzt die blaue Metro Linie „durchchecken“? Dafür gibt es die vielen Reinigungskräfte und Milizionäre. DIE sollen das wachsame Auge der Obrigkeit sein. Wozu soll er das jetzt noch mal wiederholen? Soll das die neue Form von „Initiativen vor wichtigen Terminen“ sein, von denen Dimi gesprochen hat?
Was soll es. Jetzt ist erst mal die Linie 3 dran. Alles Mist. Wo ist er? Ploshchad Revolyutsii – Platz der Revolution. Schon beim Aussteigen lächelt Igor.
Vor ihm ist eine junge Frau schnell über den Bahnsteig gehuscht, hat aber wie aus Versehen noch die Schnauze des bronzenen Schäferhunds berührt. Der Hund steht neben dem bewaffneten Kämpfer der Oktoberrevolution. Die Hundeschnauze glänzt messingfarben. Na ja, es soll ja auch Glück bei Prüfungen und wichtigen Terminen bringen.
Igors muss an sich halten, als ein alter Mann hastig über den Fuß der Statue einer Kämpferin streicht – gegen Liebeskummer und für neues Glück in der Liebe soll es gut sein. Der Fuß glänzt hell in der Metrostation.
Und das bronzene Huhn der Kolchosbäuerin schimmert wie ein goldenes Huhn – ja – persönlicher Reichtum ist der Traum von vielen.
Der Aberglaube funktioniert schon wieder ganz gut. Er lenkt so schön ab vom täglichen Ärger mit den Chefs, den Reichen und Mächtigen und lässt so schön träumen.
Ob er wegen diesem Dimi auch mal an der Hundeschnauze …?
Igor bleibt stehen. Was ist das? Ach so – klar – die Waffen.
In der Metrostation waren 1947 zum 30. Jahrestag Oktoberrevolution auch die Bronzestatuen der bewaffneten Revolutionäre aufgestellt worden.
Die Revolver glänzen von vielen Berührungen. Sie glänzen aber nicht nur außen, wo man beim schnellen Vorbeigehen fast zwangsläufig mit ihnen in Kontakt kommt. Nein, die Revolver glänzen von allen Seiten. Auch hinten und auf der Unterseite.
Komisch. Für welchen Aberglauben soll das denn gut sein? Und etwas beunruhigt ihn zusätzlich. Da glänzt noch etwas anderes. Er geht näher heran.
Es sind die Handgranaten, die im Gürtel stecken oder die die Kämpfer in der Hand halten. Und die kann man nicht zufällig berühren. Da muss man absichtlich hin greifen, da muss man sich anstrengen, um dort über die Bronze zu streichen.
Und nicht nur eine Person. Das müssen viele sein. Jeden Tag. Jede Woche. Jahrein Jahraus. Warum tun die das? Was denken die, wenn sie das tun? Was wollen sie damit bezwecken? In der Station „Platz der Revolution“.
Und nicht nur die Waffen glänzen. Auch der fünfzackige Stern auf der Jacke des Revolutionärs wird offensichtlich oft berührt.
Igor wird ganz heiß und gleich wieder ganz kalt. Soll er das melden? Muss er das nicht melden? – Ein Jahr vor…
Wieder einmal war in der Nacht an Schlaf nicht zu denken. Im Morgengrauen kam sie endlich – die erlösende Idee. Das mit den glänzenden Waffen in der Metrostation „Platz der Revolution“ ist nichts Wichtiges, das er irgendwo melden muss. Es sind irgendwelche rückwärtsgewandten Spinner, die Spaß haben an alten Revolvern und antiquierten Stielhandgranaten, die es heute nur noch im Museum gibt. Waffennarren eben.
Es hat nichts zu tun mit irgendwelchen unzufriedenen Menschen, die das neue System, die neue Freiheit verachten, die den Verheißungen auf Reichtum, den jeder Fleißige erringen kann, misstrauen. Es hat nichts zu tun mit Menschen, die sich an ihre eigene Geschichte erinnern und die die Erinnerung an die Oktoberrevolution weiterleben lassen.
Nein. Nein. Nein. So etwas gibt es überhaupt nicht – hofft Igor und
streicht über die Schnauze des Schäferhunds.
(geschrieben ein Jahr vor dem 100. Jahrestag der Großen sozialistischen Oktoberrevolution, nach einem Besuch von Ploshchad Revolyutsii, H.M.)