Hartz IV: Kürzungen, Rechtlosigkeit, minimale Verbesserung!

SPD und HartzIV: Ein Hartz für Kinder

9. Gesetz zur Änderung des Zweiten Sozialgesetzbuches

Bundestag und Bundesrat beschlossen im Juli neben dem neuen Integrationsgesetz (siehe eigener Artikel) das „9. Gesetz zur Änderung des Zweiten Sozialgesetzbuches (SGB II) – Rechtsvereinfachung“. (9. SGB II-ÄndG) Es bringt neue Verschärfungen für Hartz-IV-Empfänger. Dieses Gesetz greift massiv in Arbeits-, Lebens- und Entlohnungsbedingungen der arbeitenden wie erwerbslosen Menschen ein. Vor allem schwächt es erneut in skandalöser Weise die Rechtsposition dieser Menschen.
Das Zweite Sozialgesetzbuch (SGB II) regelt Hartz IV, unter anderem auch die berüchtigten „Ein-Euro-Jobs“. Die Aufwandsentschädigung beträgt bei solchen Jobs derzeit im Schnitt 1,05 Euro/h, in wenigen Fällen bis zu knapp 2 Euro.
Längst sind diese Jobs international von der ILO (internationale Arbeitsorganisation der UN in Genf) als illegale Zwangsarbeit gebrandmarkt, da ein Hartz-IV-Empfänger sich kaum gegen sie wehren kann, ohne Sanktionen, also starke Kürzungen an seinem Hartz-IV-Regelsatz befürchten zu müssen.
Diese Sanktionen sind menschenrechtswidrig. Sie treffen nicht nur die eigentlichen Empfänger, sondern auch ihre Familien („Bedarfsgemeinschaften), ihre Kinder, setzen oft die Wohnung aufs Spiel, verursachen Obdachlosigkeit, vernichten manchmal ganze Existenzen. Es ist eine breite demokratische Forderung bis hinein in die Wohlfahrtsverbände, diese brutalen Sanktionen abzuschaffen. Außerdem besteht zu Recht seit langem die Forderung, Hartz IV ganz abzuschaffen.
Aber nichts dergleichen geschieht. Die massive Kritik der ILO? Berlin ignoriert sie. Milderung der Sanktionen? Berlin verschärft das Sanktionsregime im 9. SGB II-ÄndG, voran die SPD von Andrea Nahles, deren Ministerium federführend ist, aber auch von Sigmar Gabriel oder Olaf Scholz, unter dessen Führung 2014/2015 schon mal ein Testlauf gestartet wurde, um die „Aufwandsentschädigung“, diesen „einen Euro“ ganz zu streichen und Erwerbslose mit „reinem Hartz IV“ arbeiten zu lassen.
Es gibt in dem Gesetz einzelne Bestimmungen, die leichte Verbesserungen für die Betroffen wie auch für die Jobcenter-Beschäftigten bringen, aber überwiegend stellt es eine z.T. massive Verschärfung ihrer Situation dar.
Als positiv wird bewertet:
* dass Personen ohne Berufsabschluss altersunabhängig eine Ausbildung angeboten bekommen soll.
* dass Leistungsberechtigte, die eine Ausbildung machen, nicht mehr in Zahlungslücken zwischen ALG II und Ausbildungsförderung tappen sollen.
* dass bestimmte Bildungsmaßnahmen bei Fortfall der Hilfebedürftigkeit zu Ende geführt werden dürfen, ohne dass die restlichen Kosten dem Empfänger als Darlehen aufgebrummt werden.
* dass über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts künftig in der Regel für ein Jahr (statt 6 Monate) entschieden wird, was allerdings von etlichen Jobcentern eh schon gemacht wurde.
Viel gravierender sind aber die Verschärfungen: Hier sind vor allem folgende zu nennen:

Immer länger im 1-Euro-Job!
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte durften nicht länger als 24 Monate in einem Zeitraum von fünf Jahren in Arbeitsgelegenheiten(AGH) zugewiesen werden. Dies kann nun für weitere 12 Monate verlängert werden. Damit wird immer deutlicher, dass das Ziel dieser Jobs, angeblich Erhaltung oder Wiedererlangung ihrer Beschäftigungsfähigkeit, die für eine Eingliederung in Arbeit erforderlich ist, weder erreicht wird noch gewollt ist. Außerdem enthält die Maßnahme indirekt das Eingeständnis, das der Arbeitsuchende der in Hartz IV gelandet ist, nur dann eine Chance hat, wenn er gemeinsam mit anderen Betroffen aktiv für Verbesserungen kämpft und sich einen neuen Job selber sucht. Denn in Hartz IV und erst recht beim Jobcenter ist er definitiv abgeschrieben. Das sieht auch Frau Nahles‘ Ministerium so, das für diesen Personenkreis nur noch geringe Möglichkeiten sieht, neue Arbeit zu finden. Also schurigelt man die Leute.

Veraltete Berechnungen zum Lebensunterhalt
Das Gesetz arbeitet mit veralteten Regelsätzen. Es sichert somit nicht die physische und soziokulturelle Existenz des Betroffenen. Das verstößt sogar gegen das Grundgesetz, wäre also verfassungswidrig. Seit mindestens 9/15 liegt der Bundesregierung die aktuellste Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamtes von 2013 vor. Aber es wurde keine Neuberechnung der Regelsätze nach dieser EVS vorgenommen. Damit wird, soweit wir das nachvollziehen können, noch auf Basis von 2008 gerechnet. Ein übler Trick, um Betroffene schlechter zu stellen.

Verschlechterung beim Bedarf für Unterkunft und Heizung
Zieht eine Person ohne vorherige Zusicherung in eine unangemessen teure Wohnung, sollen zukünftig nur noch die Aufwendungen, die für die vorherige Bleibe galten, erstattet werden. Damit gerät der Hartz-IV-Empfänger noch stärker in Abhängigkeit von seinem Jobcenter. Denn dieses erwartet, dass alles zuvor genehmigt wird, was mit dem potentiellen Vermieter vereinbart wird. Dann ist die Wohnung aber meist schon an andere vergeben. Zudem sollen künftig Kosten für Unterkunft und Heizung zu einer sogenannten „Gesamtangemessenheitsgrenze“, zu einer „Bruttowarmmiete“ zusammengezogen werden. Das sehen nicht nur die Wohlfahrtsverbände äußerst kritisch Denn eine seriöse Vorabermittlung der Heizkosten ist faktisch kaum möglich. Wird eine als angemessen geltende Bruttowarmmiete zu niedrig angesetzt, drohen Leistungsberechtigte mit (zusätzlichen) ungedeckten Kosten für Unterkunft und Heizung konfrontiert und danach in noch schlechteren Wohnraum abgedrängt zu werden.

Verschärfte Ersatzansprüche seitens der Jobcenter
Hier wird eine zusätzliche hammerharte Sanktionsmöglichkeit geschaffen. Die Jobcenter können damit von den Leistungsberechtigten Leistungen zurückfordern – bei (Originalton!) sozialwidrigem Verhalten, ein fast faschistisch anmutender Begriff! Bei sozialwidrigem Verhalten darf die übliche, eigentlich existenzsichernde Hartz-IV-Leistung auf lange Zeit massiv gekürzt werden! Das Gesetz beschuldigt dann diesen „sozialwidrigen“ „Leistungsberechtigten“, „seine Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert“ zu haben. Wie ist das zu verstehen?
Beispiel: Schickt ihm das Jobcenter ein Stellenangebot für eine Leiharbeitsfirma, und deren Unternehmer lehnt es ab, den Leistungsberechtigten einzustellen, und meldet anschließend dem Jobcenter, dieser wäre nicht „willig genug“, kann der Sachbearbeiter dies als „Hilfebedürftigkeit nicht verringert“ werten. Nach derzeitigem Gesetz könnte er den Betroffenen für drei Monate (je nachdem, ob „Pflichtverstöße“ vorangegangen sind) um 30, 60 oder 100 Prozent sanktionieren. Das ist das eine. Aber das dicke Ende kommt erst: Zugleich könnte er vier Jahre lang einen Erstattungsbetrag von 30 % der Leistung abziehen. Da der Rechtsweg Jahre dauern kann und keinerlei Aufschub des Kürzungsvollzugs bewirkt, droht ihm bei jedem Verhalten bei der Arbeitssuche, das der Sachbearbeiter als „unangemessen“ einstuft, eine jahrelange evidente Unterdeckung des Grundbedarfs.
Diese „Erstattung“ resultiert nicht aus irgendeinem Einkommen, das den Hilfebedarf mindern würde oder gemindert hätte, sondern aus einem rein fiktiven Einkommen, das Betroffene nach Ermessen ihres Sachbearbeiters hätten erzielen können. Folge: Die verfassungsmäßige Forderung nach einer bedarfsorientierten Grundsicherung wird komplett zerstört. Wie soll der „Leistungsberechtigte“ im Übrigen angesichts solcher Drohungen frei nach einen Job suchen können? Von seinen Grundrechten auf freie Berufswahl, Persönlichkeitsentfaltung etc. braucht man hier nicht mehr zu reden.

Widerspruch oder Klage haben keine aufschiebende Wirkung mehr
Wie schon andeutet, wird mit der vorgesehenen Änderung künftig ausdrücklich geregelt, dass Widerspruch oder Anfechtungsklage gegen eine Entscheidung, dem Leistungsempfänger eine Leistung zu entziehen, keinerlei aufschiebende Wirkung mehr entfalten.

Höchstrichterliche Entscheidungen gegen das Jobcenter? Scheißegal (fast!)
Werden Entscheidungen eines Jobcenters durch höchstrichterliche Rechtsprechung für nichtig oder gar für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt, soll es im Bereich dieses Jobcenters keine rückwirkende Korrektur dieser Verwaltungsakte mehr geben, wenn dieses Jobcenter nachweist, dass es in der Vergangenheit in ähnlichen Fällen immer so entschieden hat. Der Betroffene erhält also keine Nachzahlung.

Diese keineswegs vollständigen Beispiele zur Wirkung des 9. Änderungsgesetzes machen deutlich, dass dies ein weiterer, übler Angriff auf die gesamte Klasse der arbeitenden und arbeitslosen Menschen darstellt. Hier muss Solidarität herrschen.
Wer arbeitslos wird – und das geht oft sehr schnell, und überraschend und ohne jede Schuld der Betroffenen! – und findet keine neue Arbeit, steht nach einem Jahr – in Hartz IV! Keine Kollegin, kein Kollege sollte sich an irgendeiner Hetze gegen Langzeitarbeitslose beteiligen, sondern für Klassensolidarität eintreten! Fordern wir gemeinsam:

Weg mir den Sanktionen gegen Langzeitarbeitslose!
Weg mit Hartz IV!
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