AZ: Lieber Kollege W., Du bist als Blinder obdachlos geworden. Wie kam es dazu?
W.: Ich bin 1997 in die Mika e.G., ein alternatives Wohnprojekt mit selbstverwalteten Häusern, eingezogen. (Infos darüber unter www.mika-eg.de) Dort zog ich ein mit Fördergeldern finanziertes barrirefreies Haus ein, dass laut Satzung zu mindestens einem Drittel mit Behinderten belegt sein sollte. So gibt es für Blinde einen „sprechenden“ Fahrstuhl. Als Behinderte wohnten dort anfangs ein Rollstuhlfahrer und ich. Die ersten Jahre waren sehr nett und solidarisch. Aber später änderte sich die soziale Struktur in Richtung grünes Bürgertum mit einem gewissen Wohlstand.
AZ: Wie hat sich das ausgewirkt?
W.: Die Geschäftsführerin der Mika e.G., aus meiner Sicht eine Ultra-Öko, sicherte sich in meinem Haus eine Wohnung, obwohl laut Satzung und Beschluss Behinderte dort vorrangig Wohnraum erhalten sollten. Kurz darauf wurde der Rollstuhlfahrer raus gedrängt. Ich habe dagegen protestiert und auf die Beschlüsse hingewiesen.
Als dann mein 14 Jahre alter Blindenführhund inkontinent wurde, hat man mir das vorgeworfen. Ich sollte als Vollblinder den Hundekot wegräumen. Der Druck wurde immer schlimmer. Als ich einen neuen Blindenführhund bekam und mit ihm nach Anweisung des Trainers Gehorsamsübungen machte, erhielt ich eine Anzeige wegen Tierquälerei. Ich bekam immer neue Mahnungen. Am Ende wurde mir gekündigt, das wieder zurückgenommen und dann doch gekündigt. Am 2.1214 fand morgens um 8 Uhr die Zwangsräumung statt. Veranlasst wurde dies durch den Mika-Vorstand. Der Vorsitzende ist KV-Vorsitzender der Karlsruher Linken und seine Frau deren Landtagskandidatin.
Es war für mich als Blinder eine riesige Katastrophe. Persönlich getroffen hat mich die Heuchelei: Einerseits angeblich links, grün und sozial, andererseits eine Blinden auf die Straße setzen.
AZ: Wie ging es weiter?
W: Das Wohnungsamt hatte keine Wohnung für mich. Ich war nun obdachlos, musste meine Möbel bei Bekannten unterstellen und mir Schlafstellen bei Bekannten suchen. Es war fürchterlich, sich als Blinder ständig auf neue äußere Bedingungen einzustellen. Zudem musste ich ständig zittern, wo ich unterkommen könnte. Zum Glück musste ich mit meinem Führhund nie im Park oder unter der Brücke schlafen. Aber manchmal war es kurz davor und ich war in Panik.
Das Amt hatte einfach keine Wohnung. In Karlsruhe fehlen 20.000 Wohnungen, weil der soziale Wohnungsbau weggebrochen ist, Sozialwohnungen privatisiert wurden oder deren Bindung ausgelaufen ist.
Zeitweise bekam ich eine Wohnung, die aber bereits an einen Rollstuhlfahrer vergeben war, sodass ich wieder raus musste und erneut obdachlos war. Dann brachte mich das Amt in einem „Traumhotel“ in einem Zimmer mit ca. 8-9 m² unter. Wenigstens war der Hotelier bereit, mich mit Hund aufzunehmen. Das kostete rund 1800 Euro pro Monat. Aber nach den Gesetzen durfte ich mir keine Wohnung über dem festgelegten Limit suchen, obwohl der Markt leer gefegt ist, besonders für Blinde mit Hund. Das wäre viel billiger gewesen als diese Hotelunterbringung.
AZ: Du hast nun endlich eine Wohnung gefunden? Herzlichen Glückwunsch dazu!
W: Ja. Nach langem Suchen, das mich viele Nerven gekostet hat, habe ich nun endlich eine Wohnung gefunden, die auch noch gut liegt. In ein paar Wochen ist der Umzug. Ich bin froh, dass dieses unsichere Leben unter extremen Bedingungen hoffentlich bald hinter mir liegt. Und die vielen bürokratischen Hürden bis alles genehmigt ist, habe ich jetzt auch geschafft.
AZ: Vielen Dank für das Interview.