Buchbesprechung: Karl-Horst Marquart, „Behandlung empfohlen“

Karl-Horst Marqart, "Behandlung empfohlen"

NS-Medizinverbrechen an Kindern und Jugendlichen in Stuttgart
Endlich! 70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs erscheint jetzt ein Buch, das die Morde im Rahmen der „Kinderaktion“ an behinderten und missgebildeten Kinder in der städtischen Kinderklinik Stuttgart während der NS-Zeit aufdeckt. Die Täter hatten belastendes Material beiseite geschafft und sich gegenseitig gedeckt: Die Ärztin Dr. Roswitha Doch gab als Zeugin bei einer Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Stuttgart am 12.6.63 an „Professor Dr. Lemmp hat stets auf gleichmäßige, gute und sorgfältige Behandlung aller Kinder gedrängt…ob sie verkrüppelt oder schwachsinnig waren, und ohne Rücksicht auf ihre Abstammung und rassische Zugehörigkeit. Wir hatten Judenkinder, sehr viele Kinder von Fremdarbeitern, alle sind sorgfältig behandelt worden.“
Diese und andere zum Teil gleichlautende Schönrederei vom Klinikpersonal nach 1945 wurden von den Richtern gern geglaubt, sogar die Behauptung, Luminal (das Mittel, das besonders gerne in den Kinderfachabteilungen benutzt wurde, da es nach einer Art Lungenentzündung zum Tod führte) und Morphine wurden nur in Berlin bestellt, um eine „Behandlung“ (NS-Begriff für Tötung) „schwerkranker oder missgebildeter Kinder vorzutäuschen“ (S.216, 217) . Die Täter aus der Ärzteschaft und Verwaltung blieben größtenteils unbehelligt und die Lügenmärchen von der aufopferungsvollen Pflege in der städtischen Kinderklinik werden weiter geglaubt.
So versuchte der Enkel von Dr. Karl Lemmp, das Erscheinen des ersten Stuttgarter Täterbuches, in dem zum ersten Mal von Dr. Karl-Horst Marquart über die Morde seines Großvaters berichtet wurde, per Gerichtsbeschluss zu verhindern. Auch heute noch weigert sich die Stadtverwaltung Stuttgart, eine Gedenktafel an dem Gebäude der Kinderklinik, in der die Morde stattgefunden haben, anzubringen.
Dr. Karl-Horst Marquart, von 1987 bis 2011 Arzt am Gesundheitsamt Stuttgart, hat über viele Jahre unter anderem die Leichenregister der städtischen Kinderklinik im Stadtarchiv Stuttgart akribisch nach Widersprüchen und Unstimmigkeiten durchsucht und ist diesen nachgegangen. Er fand viele Opfer des NS-Regimes und konnte weitere Dokumente bei ihren Angehörigen erhalten. Für 6 Opfer der NS-Kinder“euthanasie“ konnte bisher in Stuttgart ein Stolperstein verlegt werden. Karl-Horst Marquart möchte diesen Kindern mit seinem Buch ein Denkmal setzen.
Aus dem Inhalt:
– Zwangssterilisation Minderjähriger
– Zwangsabtreibungen
– »Euthanasie« von Kindern
– Ermordung von Zwangsarbeiterkindern
– Wissenschaftliche Ausbeutung
zur Tötung vorgesehener Kinder
Peter-Grohmann-Verlag, Kremmlerstraße 51 A, 70597 Stuttgart
verlag@die-anstifter.de
332 Seiten, 17,90 Euro, zahlreiche Dokumente und Fotos, ISBN 978-3-944137-33-9
Bei youtube gibt es ein Video mit Dr. Karl-Horst Marqart bei der Verlegung eines Stolpersteines für das Kind Gerda Metzger, Stuttgart, 13.04.2013:
https://www.youtube.com/watch?v=HoioDFctXbM&feature=youtu.be