Was sich bei Air France rund um die GBR-Sitzung vom 5. Oktober 2015 ereignet hat, ist tiefgreifend und markiert einen Wendepunkt in den gesellschaftlichen Beziehungen der Arbeitswelt, das merkt jeder. Dieses besagte weiße Hemd, nach dem man mit oder ohne Witz die Führungskraft seines Betriebes fragt, bevor man zur Betriebsratssitzung geht oder das man in den Demonstrationen schwenkt, ist Ausdruck davon.
Und noch mehr: was geschehen ist, wurde quasi direkt und zeitgleich von Millionen Beschäftigten gesehen. Bilder, die umso unglaublicher sind in einem Unternehmen, in dem die Beschäftigten für gewöhnlich aus Verzweiflung keine Reifen verbrennen und wo die gewerkschaftlichen Flugblätter und Erklärungen des Betriebsrats eher die Tendenz haben, eine tiefe Verbundenheit mit diesem „industriellen Kronjuwel Frankreichs“, das Air France darstellt, zu zeigen.
Dieser 5. Okt. 2015 hat aber mit diesem Bild des Personalchefs, der in Panik das Absperrgitter erkletterte, gezeigt, dass auf gesellschaftlichem Gebiet die Angst die Seite wechseln kann!
Um ihre Politik umzusetzen, sind sie bereit, sehr weit zu gehen!
In dem für die Beschäftigten, die wir kennen, sehr schwierigen Umfeld hat die Führung von Air France, wie auch andere (z.B. Smart), versucht, seinen Vorteil herauszuholen. Es versuchte, ohne Bedenken jede Erpressung anzuwenden, um das Personal zu noch mehr Arbeit ohne Bezahlung und zur immer größeren Steigerung der Produktivität und Intensivierung der Arbeit zu nötigen.
Bei Air France wurden zwischen 2012 und 2014 mehr als 5.500 Stellen gestrichen. Die Piloten haben akzeptiert, ihre Produktivität zu steigern, um den Betrieb aufrecht zu erhalten und das Wachstum des Unternehmens („Transform 2015“) zu unterstützen. Aber durch den längsten Streik in der Geschichte des Unternehmens (14 Tage) haben sie dennoch die Gründung der Low-Cost-Tochter „Transvia Europe“ verhindert. Der Streik war noch nicht beendet, als Air France einen neuen „Wachstums- und Produktivitäts-Plan, „Perform 2020“ genannt, herausrückte. Dieser Plan sieht 100 zusätzliche Flugstunden jährlich für die Piloten vor, was zwei Monaten zusätzlicher Arbeit bei gleichem Gehalt entspricht.
Ohne Zweifel um die „Verhandlung“ zu unterstützen (?!) hat die Unternehmensführung nicht gezögert, die wichtigste Gewerkschaft der Piloten – die SNPL, welche den Streik vom Sept. 2014 angeführt hat – anzuklagen, weil die Piloten das Produktivitätsziel des Plans „Transform 2015“ nicht erreicht hätten. Eine Premiere!
Da die Gewerkschaften der Piloten sich immer noch weigerten, an den Verhandlungstisch zu kommen, kündigte die Geschäftsführung einen Plan B an, der darin bestand, 300 Stellen von Piloten, 900 von Hostessen und Stewards und 1700 von Beschäftigten des Bodenpersonals zu streichen, mit „erzwungen Abgängen“, um die bildhafte Sprache des Firmenchefs zu benutzen. Eine massive Erpressung, an der der Staat teilnimmt, weil er mit 17% am Kapital beteiligt ist.
In diesem Kontext fand die GBR-Sitzung vom 5. Oktober 2015 statt.
Entgegen den Informationen der Ex-Zentrale haben an diesem Tag mehr als 5.000 Beschäftigte (Piloten, Hostessen, Stewards, Bodenpersonal) auf den Aufruf ihrer Gewerkschaften hin gegen die Geschäftsführung demonstriert, um diese enorme Erpressung zurückzuweisen. Für das Unternehmen „historisch“, wie die Gewerkschaften erklärten.
Wie allgemein bekannt haben zwei Repräsentanten von Air France am Ende des Tages ihr Hemd verloren!
Aus Tokio bezeichnete M. Valls (Ministerpräsident – d. Übers.) die Arbeiter in ihrer legitimen Verteidigung als „Strolche“, während die Parlamentarier der Rechten ihrerseits ein Exempel gegen das Chaos forderten. In den frühen Morgenstunden suchte die Polizei sechs Personen, die man als Teilnehmer an diesen Gewaltakten präsentierte, in ihren Wohnungen auf. Die Direktion ihrerseits hat Disziplinarverfahren gegen 18 Beschäftigte einschließlich der am frühen Morgen verhafteten eingeleitet. Während im Internet eine Erklärung eines Juniac, CEO von Air France, kursiert, der sich über die Begründetheit des Verbots der Kinderarbeit Gedanken macht und nicht zögert, das Bonmot seines Kollegen von „Katar Airways“ bezüglich der Piloten aufzugreifen: „Bei uns wäre das unmöglich, man hätte sie alle ins Gefängnis gesteckt.“
Alle sind betroffen
Aber sehr schnell hat Alexandre de Juniac angekündigt, dass die 2. Phase des Plans, die für 2017, „vermieden“ werden könnte, wenn eine Vereinbarung über neue Produktivitätssteigerungen von jetzt bis Anfang 2016 zustande kämen, wobei er bekräftigte, dass die erste Phase seines Plan B von 1.000 Stellenstreichungen bereits begonnen wurde. Francois Hollande hat es auch als möglich erachtet, durch Verhandlung „die Entlassungen zu vermeiden“.
Die Geschäftsführung von Air France wie die Spitzen des Staates sind sich, ohne im Grundsätzlichen nachzugeben, bewusst geworden, dass sie angesichts dieser Situation, die mit einer Radikalität einhergeht, die von der großen Mehrheit der Beschäftigten verstanden und geteilt wird und die sich ausbreiten könnte, zurückrudern mussten.
In den Werften von STX in St. Nazaire hat sich der Vertreter der CGT mit Nachdruck geweigert, Präsident F. Hollande die Hand zu geben. Kurze Zeit später wurde dieser bei seiner Reise nach La Courneuve ausgepfiffen. Und klammheimlich wurden die gewerkschaftlichen Betriebsräte der Recyclingfirma PAPREK, die er besuchen sollte, nach Hause geschickt…
Noch beunruhigender für die Regierung: das Exekutivkommittee der Gewerkschaft CGT hat mit einer Stimme Mehrheit entschieden, angesichts der Lage bei Air France nicht an der „Sozialkonferenz“ am 19. Oktober teilzunehmen, während sie ursprünglich schon bereit war, wenigstens während der Rede von Hollande anwesend zu sein.
Urplötzlich hört man in den Medien nichts mehr von der Konferenz. Und überall wächst die Einsicht, dass eine Sozialkonferenz ohne CGT keinen Sinn macht und das stärkt die Kräfte, die in der CGT gegen jene Front machen, die zu jedem Kompromiss mit der Regierung bereit sind.
Philippe Martinez hat auf den Aufruf aller Gewerkschaftsorganisationen des Unternehmens hin an der Versammlung am 23. Okt. bei der Nationalversammlung aus Solidarität mit den Gewerkschaftern von Air France teilgenommen. Diese Versammlung war ein wirklich kämpferischer Erfolg: man sah viele Menschen und große Entschlossenheit.
Inzwischen haben die Gewerkschaften von Air France bekannt gegeben, dass sie nicht an den Verhandlungstisch zurückkehren, bis „die Disziplinarverfahren eingestellt sind“ und sie rufen zu einem neuen Protesttag am 19. Nov., anlässlich der nächsten Vorstandssitzung, auf.
Die Ertragszahlen der Gruppe Air France – KLM sind kürzlich bekannt geworden. Ein Betriebsgewinn von 898 Millionen Euro im dritten Trimester 2015 ist angekündigt, der größte operative Gewinn seit der Gründung der Gruppe im Mai 2014.
Ohne Zweifel wollen sie immer mehr und noch mehr!
Widerstand!
Übersetzung aus „La Forge“, Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs, Nov. 2015