An dieser Stelle veröffentlichen wir beide Teile eines Interviews von Arbeit Zukunft mit Fehim Işık über die Situation im kurdisch-syrischen Gebiet Rojava, das wir im August 2014 geführt haben. Der erste Teil des Interviews wurde bereits in der Ausgabe September/Oktober 2014 von „Arbeit Zukunft“ abgedruckt.
Fehim Işık ist kurdischer Journalist und Schriftsteller und schreibt u.a. für die türkische Tageszeitung Evrensel.
AZ: In den bürgerlichen Medien erfahren wir wenig von den Vorgängen in der syrischen Region Rojava. Wir von „Arbeit Zukunft“ würden Ihnen daher gerne ein paar Fragen diesbezüglich stellen.
Wie ist das autonome Gebiet von Rojava entstanden und welche politischen Kräfte waren daran beteiligt?
F. Işık: Im März 2011 als der Arabische Frühling begann, hat er sich auch auf Syrien ausgedehnt und es gab Massendemonstrationen. Am Anfang waren die Kurden nicht stark vertreten und nur als Zuschauer anwesend. Später hat es sich ergeben, dass die Kurden verhindern wollten, dass der Krieg sich auf Rojava ausdehnt und sie sind in Stellung gegangen um das zu verhindern. Am 19. Juli 2012 haben die Kurden begonnen sich als unabhängiges Gebiet zu bezeichnen und die Abhängigkeit von Assad zu beenden. Das war eine Revolution in Rojava. Sie haben angefangen sich selbst zu regieren. Vorher gab es die selben Versuche auch in Ägypten, wo Kurden in der Stadt Kairo ihre Unabhängigkeit anstrebten. Ebenfalls im Juli 2012 gab auch noch in der Türkei ein Bündnis in Antalya um die oppositionellen Kräfte gegen Assad zu bündeln. Leider waren die Kurden zu dieser Konferenz nicht eingeladen. Kurden haben dort teilgenommen, aber nur als Individuen, nicht als Organisation. Sie hatten dabei nichts zu bestimmen und wurden ausgegrenzt. Im Dezember 2012 fand im ägyptischen Kairo nochmals eine ähnliche Konferenz statt. Auch dort wurden die Kurden weder wahrgenommen, noch akzeptiert. Diese oppositionellen Kräfte bestanden aus Sunniten und Schiiten – die Kurden wollten als dritte Gruppe teilnehmen um ihre nationalen Rechte zu beschützen. Aber die syrische Opposition war dagegen. Die Türkei hatte einen großen Anteil daran, dass die Kurden bei der syrischen Opposition nicht wahrgenommen wurden. Deswegen hat die Türkei die sunnitische Opposition stark beeinflusst. Kurz darauf fand auch eine nationale Bündniskonferenz statt. Aus dieser nationalen Konferenz entstand auch die Freie Syrische Armee (FSA). Die Kurden wurden auch dort von Anfang an ausgegrenzt. Deswegen hatten die Kurden auch zwei unterschiedliche Organisationen: Zum einen gab es die „Westkurdische Volksfront“, die aus 6 Parteien entstanden ist. Zum anderen gab es die „Syrisch-Kurdische Nationale Front“. Sie wurde aus 11 unterschiedlichen Parteien gebildet. Diese beiden Gruppen haben im März 2012 Gespräche miteinander geführt. Im Juni des selben Jahres haben sie den „kurdischen hohen Rat“ (kurd. Kürt Yüksek Konseyi) gegründet. Während der Revolution in Rojava gab es den hohen Rat, aber nach kurzer Zeit konnte er nicht mehr arbeiten. Die eine Hälfte, die „Syrisch-Kurdische Nationale Front“, hat sich vom Rat distanziert. Sie sagten: Teilen wir das westkurdische Gebiet unter uns auf! Das war eine überhebliche Aussage, die sich über die Köpfe der Kurden hinweg setzte. Deswegen konnten sie sich nicht mehr am hohen Rat beteiligen.
Nach der Revolution im Juli 2012 wurde diskutiert, wie das neue kurdische Autonomiegebiet aussehen sollte. Dann wurden die drei Kantone (Provinzen) Rojava’s konstituiert. Danach wurde die Partei der Demokratischen Union (PYD) – auf kurdisch „Partiya Yekitîya Demokrat“ – gegründet. Diese Partei hat dann ausführlich mit der Bevölkerung und der „Westkurdischen Volksfront“ über die Zukunft des Gebiets diskutiert. Schließlich wurden die Kantone Cizîrê, Kobanê und Efrîn proklamiert. Anfangs hatten die drei Kantone kleine Unterschiede und es gab Gebiete mit arabischer Mehrheit. Die drei Kantone mussten Provinzregierungen bilden, die aus ethnografischen Gründen unterschiedlich waren. Die ethnografischen Besonderheiten sind auf die Assad-Regierung zurückzuführen. Die Gründung der Kantone war nicht einfach. Um den Prozess der kurdischen Selbstbestimmung zu verhindern, hat die Türkei verschiedenen Gruppen geholfen. Im Januar und März 2012 haben sie die al-Nusra-Front unterstützt. Die al-Nusra-Front ist Teil von al-Quaida. Als erstes haben sie die Angriffe in Serêkaniyê, einem Dorf in Rojava, begonnen. Die al-Nusra-Front wurde von der Türkei sehr stark unterstützt. Als im Juli 2012 die Kantone proklamiert wurden, gab es nochmals einen großen Angriff. Nach der Proklamation wurde die al-Nusra-Front geschwächt. Danach begonnen die Angriffe durch die ISIS (Islamischer Staat im Irak und Syrien, Anm.d.Red.). Seitdem verübt die ISIS schwere, größtenteils sehr schreckliche, Anschläge gegen Rojava. Sehr viele Kurden wurden dabei umgebracht bzw. getötet. Sehr viele waren davon betroffen. Sie führten auch zum Tod vieler arabischer Sunniten, Schiiten, Jesiden (eine kurdisch-sprachige religiöse Minderheit, Anm.d.Red.) und Christen. Nichtsdestotrotz wurden die Kantone gebildet. Gleichzeitig wurden die Volksverteidigungseinheiten (YPG) gegründet. Das ist die Armee der Kurden in Rojava. Sie war eine der Gründe für die erfolgreiche Entstehung der Kantone, weil sie sich vehement gewehrt hat und es auch immernoch tut.
AZ: Wie regiert sich Rojava?
F. Işık: In Rojava – den drei Kantonen – gibt es drei Selbstverwaltungen. Sie alle sind sehr unabhängig. Jedes von ihnen hat sein eigene Regierung. In jeder Regierung gibt es 22 Minister und zwei Ministerpräsidenten (ein Mann und eine Frau). Neben der Regierung gibt es auch eine Volksversammlung, die legislative, judikative und verteidigungspolitische Aufgaben wahrnimmt. Zum Beispiel sind die YPG-Kämpfer auch in der Volksversammlung vertreten und arbeiten mit dem Verteidigungsministerium zusammen. Es gibt auch Minderheiten- und Gesundheitsministerien. Die ethnischen Minderheiten sind ebenfalls im Minderheitenministerium vertreten. Das Kanton Cizîrê ist sehr bekannt dafür. Dort leben vor allem arabische, armenische und kurdische Bevölkerungsteile und in den Ministerien sind all diese Ethnien vertreten. Teilweise stellen die Minderheiten auch die Ministerpräsidenten. Auch laut Gesetz müssen die Minderheiten einen Teil der Regierung stellen. Laut dem „Gesellschaftsvertrag“ (der Verfassung), der von den Ministern ratifiziert wurde, muss einer der beiden Ministerpräsidenten einer Minderheit angehören wenn der andere Ministerpräsident kurdisch ist. Das Gleichgewicht ist also sichergestellt. Für die Verhältnisse des Nahen Ostens ist das eine sehr demokratische Selbstverwaltung. Natürlich gibt es Mängel, aber die liegen am Kriegszustand. Nichtsdestotrotz kann man sagen, dass es Hoffnung für die Zukunft Syriens gibt.
AZ: Welche Maßnahmen hat die Regierung Rojavas im ökonomischen, sozialen und politischen Bereich ergriffen?
F. Işık: Wie ich bereits gesagt habe gibt es in den drei Kantonen Ministerien und in diesen Ministerien gibt es Fonds bzw. Kassen. Sie werden durch Handel und Steuergelder finanziert. Außerdem gibt es in bestimmten Orten auch produzierendes Gewerbe. Natürlich gab es Einnahmeprobleme aufgrund des Kriegszustands. Es werden auch Embargos über diese Gebiete verhängt. Nahrungsmittellieferungen aus der Türkei werden verhindert. In Nordkurdistan ist es genauso. Nichtsdestotrotz versuchen die Menschen die Wirtschaft zu stärken. Beispielsweise gibt es im Kanton Kobanê großes landwirtschaftliches Potential, das auch genutzt wird. Im Kanton Efrîn gibt es Potential für den Nuss- und Olivenanbau. Auch im Kanton Cizîrê gab und gibt es Grenzwirtschaft und -abkommen. Trotz Gewalt, Krieg und allen Hindernissen zum Trotz versucht man die Wirtschaft in Rojava zu stärken. Die Grundlage der Wirtschaft ist bereits geschaffen. Alles ist natürlich nicht so prickelnd wie man sich das vorstellt weil die Angriffe gegen die Bevölkerung zunehmen. Daduch gibt es auch Flüchtlinge, z.B. in Kobanê. Vor dem Krieg lebten dort 200000 Menschen. Dann sind viele geflüchtet, auch aus Syrien. In Efrîn war es genauso. Deswegen geht es der Wirtschaft nicht besonders gut.
AZ: Welches Verhältnis pflegt das autonome Gebiet Rojava zu den anderen politischen und militärischen Kräften in Syrien?
F. Işık: Wie ich bereits eingangs berichtet habe, hat man versucht sich in die syrische Opposition einzubringen. Man versuchte der Opposition als dritte Kraft anzugehören. Dies wurde jedoch von der Türkei und anderen Ländern mit aller Kraft verhindert. Dadurch gab es Gespräche mit der PYD. Die demokratischen Kräfte in Syrien und die PYD haben gute Beziehungen zueinander aufgebaut und es gab eine Zusammenarbeit in Form mehrerer Bündnisse, welche weitergeführt werden. Vor der Gründung der Armee (YPG) wurden die kurdischen Kräfte ausgegrenzt und die Kurden sind einen dritten Weg gegangen. Und dieser dritte Weg zielte auf die Selbstbestimmung der Kurden in Syrien. Heute gibt es zu den demokratischen Kräften in Syrien, die nicht in der „Nationalen Koalition“ (Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte, Anm.d.Red.) zusammengeschlossen sind – zu der armenischen und arabischen Opposition – gute Beziehungen. Im Kanton Cizîrê gab und gibt es Bestrebungen mit der arabischen Bevölkerung eine Regierung zu bilden, was letztlich auch gelang. Auch die Armenier sind in dieser Regierung vertreten. Deswegen sehen die armenischen und arabischen Bevölkerungsteile die YPG nicht nur als kurdische, sondern auch als ihre eigene, Verteidigungsarmee. Obwohl die meisten Soldaten Kurden sind, gibt es auch einige arabische und armenische Kämpfer. In manchen Gebieten hat die ISIS arabische Ortschaften besetzt und die YPG hat die arabische Bevölkerung beschützt. Später versuchte man eigene armenische und arabische Formationen aufzustellen. Solche Gruppen haben sich auch gebildet, waren jedoch sehr klein. Im Großen und Ganzen sind die meisten arabischen und armenischen Kämpfer in der YPG. Eins kann man sagen: Die YPG arbeitet nicht mit der syrischen Armee (Assad-Armee, Anm.d.Red.) zusammen. Solche Gerüchte gab es, aber dafür existieren keinerlei Beweise. Sie wurden gestreut von Politikern, die die kurdische Bewegung diskreditieren wollen. Man kann aber sagen, dass die Kurden in Syrien verankert waren und auch die PKK hatte einen großen Einfluss in Syrien. Vor dem Krieg haben sich viele Gruppen gebildet, die sich positiv auf Öcalan bezogen. Die PKK arbeitet in Syrien seit langem politisch. Diese politische Arbeit ist durch Öcalans politische Haltung geprägt. Abdullah Öcalan wird als ein kurdischer Volksführer anerkannt. Diese politische Gruppe hat dafür gesorgt, dass sich die Kurden und andere Völker in Rojava organisieren. Heute kann man sagen, dass die Kurden und andere Völker, z.B. Aramäer und Araber, eine Einheit gebildet haben und sich dadurch organisieren und mobilisieren. Von außen jedoch, kommt gar keine Unterstützung – im Gegenteil sie werden ausgegrenzt, wie ich anfangs bereits sagte. Aktuell gibt es in den drei Kantonen mit den anderen Völkern sowohl eine politische, als auch militärische Einheit.
AZ: Wie ist das aktuelle militärische Kräfteverhältnis in Rojava?
F. Işık: Bis zum 10. Juni 2014 führte der ISIS in Rojava lokale Angriffe. Nach dem 10. Juni eroberte der „Islamische Staat“ im Irak die 3,5 Millionenstadt Mossul und besetzte damit im mittleren sunnitischen Irak ein wichtiges Gebiet um sich den Weg nach Rojava zu öffnen, das dadurch schweren Angriffen ausgesetzt war.
Seit dem 2. Juli 2014 ist Kobanê, der schwächste Kanton Rojavas, von allen drei Seiten umzingelt und schweren Angriffen ausgesetzt. Nach dem 2. Juli 2014 wurde Rojava von Nordkurdistan und dem türkischen Teil Kurdistans massiv unterstützt. Sie konnten Rojava zwar nicht militärisch, wohl aber politisch unterstützen. In Suruç, an der Grenze zu Kobanê, wurden Solidaritätszelte aufgebaut. Zu dieser Zeit sind viele junge Menschen von Nordkurdistan nach Kobanê übergelaufen und haben sich der YPG angeschlossen. Durch deren moralische Unterstützung haben sie dort einen starken Widerstand geleistet. Aber die Bedrohungen und Angriffe des ISIS hörten nicht auf, denn sie konnten Kobanê nicht erobern und der Kampf geht nach wie vor weiter. Danach haben sie den Ort Hesice im Kanton Cizîrê angegriffen. Von dort wurde der ISIS nach kurzer Zeit verjagt und zurück gedrängt und hat schließlich, ab dem 4. August im südlichen bzw. irakischen Kurdistan den Ort Şengal angegriffen. Dies stellte eine große Gefahr für die Kurden in diesem Gebiet dar. Damit dieses Gebiet gehalten werden konnte, haben die Kurden aus dem Süden und die Kurden aus Rojava gemeinsame Operationen gegen die militante ISIS begonnen und diese dauern noch immer an.
Die Kämpfe und der Widerstand der Kurden in Rojava und die der Peschmerga (Streitkräfte des autonomen Gebiets Kurdistan im Irak, Anm.d.Red.) im südlichen Kurdistan gehen weiter und sie brauchen ernsthafte Unterstützung im Kampf gegen den ISIS – eine mörderische Organisation die Menschen enthauptet, Frauen und Kinder tötet und deren Handschrift solche Massaker sind. Die Menschen dort versuchen alleine dagegen zu kämpfen. Damit sie erfolgreich sein können, brauchen sie dringend Unterstützung. Jedoch gibt es keinerlei Unterstützung, weder vom Westen, noch von den Nachbarstaaten wie der Türkei, Saudi-Arabien oder Katar. Ganz im Gegenteil: Sie klemmen sich dahinter um die Kurden in die Enge zu treiben. Aber damit in diesen Gebieten ein demokratisches Leben errichtet werden kann, muss dieses Unheil ISIS vertrieben werden. Ferner muss in diesen Gebieten der Krieg, der Kampf und das Sterben von Menschen aufhören. Wir reden zwar von Rojava, aber in Syrien haben in zwei Bezirken hunderttausende Menschen ihr Leben verloren. Bei jedem Angriff verlieren hundert, zweihundert oder dreihundert Menschen ihr Leben. Wir reden von einem Gebiet wo jeden Tag hunderte an Hunger, Durst und Krieg sterben. Und das ist nicht nur das Problem der Menschen, die in diesem Gebiet leben, das geht die ganze Welt etwas an. Die Welt muss diese Politik der Vereinsamung endlich sehen und sie überwinden. Nicht nur auf Ebene der Staaten – es gibt überall auf der Welt mitfühlende Völker und mitfühlende Ansichten. Auch diese müssen hier auf ihre Art und Weise Unterstützung leisten.
AZ: Warum unterstützt der Westen die ISIS, aber nicht die Kurden?
F. Işık: Dieses Gebiet birgt seit über 200 Jahren wertvolle Rohstoffe und hat wichtige Erdölreserven um die Welt auch in den kommenden Jahren zu versorgen. Seit dem ersten Weltkrieg bis heute ist von den westlichen Imperialisten keinerlei Annäherung gezeigt worden um in diesen kurdischen Gebieten eine Stabilität und eine demokratische Regierung zu sichern. Wenn sich hier eine Stabilität und demokratische Verwaltung entwickelt, sind die westlichen imperialistischen Staaten nicht in der Lage ihre eigenen Interessen zu sichern. Diese Veränderung im mittleren Osten in den letzten Jahren – besser gesagt – die Erkenntnis, dass das Volk selbst eine eigene demokratische Regierung entwickeln kann, hat die westlichen Staaten beunruhigt. Sollten zudem im Irak und in Syrien demokratische Regierungen entstehen (wobei dies nicht begrenzt auf diese zwei Länder ist, sondern auch Saudi-Arabien, Katar, Jordanien und die Vereinigten Arabischen Emirate betrifft, welche Monarchien sind, aber mit dem Imperialismus verbundene Erdölgebiete der Scheichs) werden sie auch in dieser Gefahr sein und in naher Zukunft ihre Regierungen ändern. Das bringt mit sich, dass die ganzen imperialistischen Interessen auf den Kopf gestellt werden. Der Imperialismus nutzt seine Macht nicht damit es dort demokratischer wird, sondern um noch mehr Chaos entstehen zu lassen und er zieht daraus seinen Nutzen. Wenn die Völker nicht gegen dieses Chaos kämpfen und es nicht zu ihren eigenen Gunsten ändern, dann führt dieses Chaos später – wie vorher schon erlebt – dazu, dass sich der Imperialismus und dessen Befürworter durchsetzen. Die Völker haben zwei Alternativen: Entweder werden sie diese Machenschaften des Imperialismus beenden und von Grund auf Veränderungen aufzeigen, oder sie wenden sich hoffnungslos dem Imperialismus zu und bitten ihn um Rettung. Das ist vielleicht ein sehr grober Vergleich, aber versuchen sie sich vor dem Einem zu retten, wird vom anderer Seite viel schlimmeres kommen. Deshalb brauchen die Völker ganz viel Unterstützung um die Regierungen zu bezwingen.
Wenn im Gazastreifen – in Palästina – Israel jeden Tag Bomben abwirft und trotz der Bomben die Vereinten Nationen, die USA, Deutschland und die anderen westlichen Staaten immer noch sagen, dass Israel das Opfer sei, wenn sie so heuchlerisch sein können, dann muss das Volk aufstehen und versuchen ihren Staat zu stoppen. Die Völker von Rojava und Kurdistan müssen Organisationen wie ISIS stoppen oder ihre eigenen Regierungen mit Massenaktionen dazu zwingen sie zu stoppen und ebenso humanitäre Hilfe leisten. In den Gebieten, über die wir gerade sprechen, herrscht Krieg und die Menschen dort bekommen keine Medikamente, können deshalb nicht behandelt werden und sterben. Weil es nicht genügend Lebensmittel gibt, verlieren Menschen ihr Leben. In manchen Gegenden sterben die Menschen, weil es durch den Krieg nicht genug sauberes Trinkwasser gibt. Ebenso kosten durch den Krieg entstandene Seuchen Menschenleben. Insbesondere Kinder, Frauen und ältere Menschen sind in großer Gefahr. Müssen erst Zehntausende oder Hunderttausende sterben bis man sich verantwortlich fühlt? Wir sprechen jeden Tag von hunderten Toten und die ganze Welt ist Zeuge. Die Völker, die für Menschenrechte und ein demokratische System stehen, haben die Macht diese Situation zu ändern.
AZ: Welche Verbindungen hat Rojava zu den anderen kurdischen Gebieten in der Türkei und im Irak?
F. Işık: Insbesondere weil die Kurden in der Türkei sich nicht selbst verwalten können und gleichzeitig eine oppositionelle Arbeit führen, sind die Bindungen eher aus der Betroffenheit heraus oder manifestieren sich in gemeinsamen Massenaktionen, vor allem in Kurdistan. In Nordkurdistan – in der Türkei – wird Rojava sehr stark unterstützt. Von Zeit zu Zeit werden Kampagnen gestartet. Es werden Medikamente und Lebensmittel gesammelt und nach Rojava geschickt. Das ist schon eine große Unterstützung. Leider zeigt Südkurdistan nicht die gleiche Solidarität. Insbesondere nachdem Südkurdistan seine geschäftlichen Beziehungen mit der Türkei erweitert hat, sind zwischen Rojava und der Regierung von Südkurdistan Differenzen entstanden. Wegen diesen Unstimmigkeiten standen sich die Regierungen gegenüber. Dass man sich politisch nicht einigen konnte, hat beide Seiten beeinflusst. Vor allem die Regierung von Südkurdistan hat es negativ beeinflusst und dies war einer der Gründe weshalb der ISIS in Şengal einfacher einmarschieren konnte. Wenn es zu einer Einigung gekommen wäre, hätten sie einen gemeinsamen Rat gründen können, gemeinsames Militär aufstellen und gemeinsam operieren können. Dann würde die Situation heute vielleicht anders aussehen.
Rojava hat das auch wirtschaftlich beeinträchtigt. Aber in Südkurdistan haben, bis auf die „Kürdistan Demokrat“ Partei, die politischen Parteien, insbesondere „Kurdistan Yurtsever Birligi“ des Mitbegründers Celal Talabani und die „Gorran“-Bewegung unter der Führung von Norschirwan Mustafa, bessere Beziehungen [zu Rovaja, Anm.d.Red.] gepflegt. Eine Zeit lang haben die Abgeordneten von „Kurdistan Yurtsever Birligi“ und der „Gorran“-Bewegung im Parlament des irakischen Kurdistans den Antrag gestellt, die Regierungen der Kantone Rojavas anzuerkennen. Das Parlament hat das nicht angenommen und es wurde noch keine konstruktive Entscheidung getroffen, aber die Beziehungen sind besser als früher. Eine Zeit lang haben die Kurden sich bemüht einen nationalen Kongress zu bilden, aber sie waren leider nicht erfolgreich damit. Es gibt weiterhin Bestrebungen in dieser Richtung und es finden Treffen der Vetreter [Rojava‘s und Südkurdistans, Anm.d.Red.] statt. Nach den Angriffen des ISIS in Şengal sind nun vier Armeen verschiedener Parteien dabei in Şengal den ISIS anzugreifen. Die PYD (Partei der Demokratischen Union), „Kürdistan Yurtsever Birligi“ und die PKK haben Militär in das Gebiet Şengals geschickt, ebenso die „Gorran“-Bewegung und die „Kürdistan Özgürlük“ Partei aus dem Iran. Vielleicht kann der ISIS Anlass dazu bieten, diese Beziehungen zu festigen. Aber leider haben sich die politischen Beziehungen mit Südkurdistan noch nicht ernsthaft entwickelt. Dennoch gab es auch beiderseitige Unterstützung.
AZ: Wie entwickelt sich die internationale Solidarität für Rojava? Was können wir in Deutschland tun um sie zu verbessern?
F. Işık: Leider hat die internationale Solidarität in den Medien gefehlt. Jedoch hat weder in der westlichen Welt, noch in der östlichen Welt, die öffentliche Solidarität gefehlt. In Rojava ist ein kurdisches Volk dem ISIS gegenüber auf sich allein gestellt und trotzdem diesen Kampf bis jetzt geführt. Aber man muss mit aller Deutlichkeit sagen, dass das Wichtigste ist der ganzen Welt zu zeigen, was dort passiert mit seiner ganzen brutalen Nacktheit. Die Presse ist in den Händen von großen Monopolen – sie veröffentlicht das nicht. Doch jeder muss diese Gräueltaten, diese schweren Angriffe, diese Kinder – die ermordet werden – an die Öffentlichkeit bringen. Ebenso – das gilt für Deutschland wie für andere Länder – müssen Aktionen stattfinden um die eigene Regierung dafür zu sensibilisieren. In den Parlamenten werden demokratische, aufgeklärte Menschen sein, die gegen diesen Vorgang kämpfen. Diese zu sensibilisieren um ihre Regierungen dazu zu drängen an den Punkt zu kommen, dass sie „Stopp!“ sagen, die Annäherung verbessern, d.h. um die Vereinten Nationen zu bezwingen, Möglichkeiten erschaffen [sind Aufgaben der internationalen Solidarität, Anm.d.Red.]. Das Wichtigste ist die Öffentlichkeit zu bewegen und dadurch Regierungen zum Handeln zu zwingen.
AZ: Wir bedanken uns für das Gespräch mit Fehim Işık.