In dem Atelier entstand auch „Piloten im Pyjama“
Der internationale Bestseller brachte ein Lügengebäude der USA zum Einsturz
von Gerhard Feldbauer
Auf dem diesjährigen CineFest in Hamburg wurden die aus dem gleichnamigen Filmstudio hervorgegangene DEFA-Stiftung und absolut MEDIEN für ihre gemeinsame Edition „Studio H&S. Walter Heynowski und Gerhard Scheumann. Filme 1964-1989″ mit dem Willy Haas-Preis ausgezeichnet. Die Jury würdigte Heynowski und Scheumann „als polemische, aber auch vielschichtige Dokumentaristen“, die sich „der großen Konflikte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts annahmen“. Der größte Konflikt dieser Zeit war der Krieg, den die USA in Vietnam führten, um das Land ihrer Weltherrschaft zu unterwerfen. Nach der Errichtung eines Marionettenregimes im Süden begannen sie im August 1964 einen barbarischen Luftkrieg gegen den Norden der Demokratischen Republik Vietnam (DRV), um den Weg für eine Okkupation frei zu bomben. Im Frühjahr 1967 reisten die DDR-Filmer nach Hanoi und interviewten zehn in Gefangenschaft geratene US-Piloten. Den Filmtitel „Piloten im Pyjama“ wählten sie nach der gestreiften Gefangenenkleidung.
Freiwillig in Gefangenschaft
Der „Code of conduct“ (Verhaltenskodex) des US-Präsidenten befahl jedem Piloten sich „niemals freiwillig“ zu ergeben und „mit allen möglichen Mitteln Widerstand zu leisten“. Dazu hatte jeder einen 9mm Trommelrevolver Smith & Wesson mit 30 Patronen im Gurt bei sich. Ausgenommen Namen, Rang, Dienstnummer und Geburtsdatum war auch verboten, „Informationen zu geben“. Obwohl H&S die Piloten, die schriftlich bestätigten, freiwillig und ohne Druck sich interviewen zu lassen, auf den „Verhaltenskodex“ hinwiesen, beantworteten alle ihre Fragen. Sie wussten auch, dass ihre Interviewer aus der DDR kamen. Alle Piloten erklärten, sich widerstandslos ergeben zu haben. Oberstleutnant Lindberg Hughes wurde von einigen Bauern gefangen genommen, von denen nur einer eine Waffe trug. Trotzdem, „ich unternahm keinerlei Versuch, die Sache sozusagen zu Ende zu schießen“, sagte er. Alle Interviewten bezogen sich darauf, bei ihrem „Job“ nur Befehle ausgeführt zu haben. Sie erhielten für je zehn Luftangriffe eine Verdienstmedaille.
Ein Lügengebäude zum Einsturz gebracht
Die Interviews widerlegten die USA-Behauptungen, über der DRV seien zunächst gar keine und später viel weniger Flugzeuge als von Hanoi bekanntgegeben, abgeschossen worden. Bis zur Einstellung der Luftangriffe im November 1968 wurden über Nordvietnam – auch durch westliche Quellen belegt – über 3000 Flugzeuge abgeschossen. Befragt wurde Oberleutnant Everett Alvarez, der bereits beim ersten Angriff, am 5. August 1964, mit seiner „Skyhawk“ vom Himmel geholt wurde. Das Pentagon bezichtigte die DRV der Geheimhaltung der Zahl der tot und lebend abgeschossenen Piloten. Zwar machte Hanoi keine offiziellen Angaben, aber jeder Gefangene konnte, wie die Interviewten bestätigten, seinen Angehörigen schreiben, wovon alle Piloten Gebrauch machten. Aus der Differenz zwischen den gefangen genommenen und der Gesamtzahl der verlorenen Flieger ergab sich die Zahl der Toten. Das Pentagon, hielt deren Zahl jedoch geheim und forderte von den Angehörigen, über erhaltene Briefe Stillschweigen zu bewahren.
Sogar die Ergebnisse der Baseball-Ligen der USA mitgeteilt
Entgegen der vom Pentagon verbreiteten Gräuelpropaganda, die Gefangenen würden „gefoltert und geschlagen“ und einer Gehirnwäsche unterzogen, erklärten alle Interviewten, sie seien keinen Misshandlungen ausgesetzt, erhielten ärztliche Betreuung, den Umständen entsprechend gute Behandlung, ausreichende Verpflegung. Jeder Gefangene konnte frei seine Religion ausüben, englischsprachige Literatur, darunter aus den USA als auch amerikanische Zeitschriften lesen und die englischsprachige Sendung von DRV-Radio „Stimme Vietnams“ hören, die auch die Ergebnisse der Baseball-Ligen der USA mitteilte.
Colonel Risner für Ende der Bombardements
Die Befragten bekannten, dass ihre Behandlung nicht den antikommunistischen Klischees entsprach, die ihnen vermittelt wurden. Alle sprachen sich für ein baldiges Ende des Krieges aus. Colonel Robinson Risner, im Koreakrieg mit dem „Distinguished Flying Gross“ (Außerordentliches Fliegerkreuz) dekoriert, meinte, dass die USA „zu dem Genfer Abkommen zurückkehren“ müssten, statt „Nordvietnam zu bombardieren.“ Die Piloten räumten mehr oder weniger ein, dass die Zivilbevölkerung von ihren Luftangriffen schwer betroffen wurde und sie dafür verantwortlich seien. Dazu trug sicher auch bei, dass sie als Gefangene nun auch den Bombardements ihrer Kameraden ausgeliefert waren. Äußerungen einiger Piloten konnten von bestimmten Einsichten zeugen. Der damals 25jährige Hauptmann James Richard Shively äußerte zum sozialistischen System der DRV, es sei das Recht der Bevölkerung, „das Gesellschaftssystem und das Wirtschaftssystem, das sie wünscht“, zu wählen.
Eine schockierende Söldnermoral
Bei anderen Piloten zeigte sich eine schockierende Söldnermoral. Der neunundzwanzigjährige Oberleutnant Edward Le Hubbard äußerte, „ich bin in ungefähr zwanzig Ländern gewesen, seit ich in den Luftstreitkräften diene, und das hat mir sehr viel Spaß gemacht.“ Er war einer von zwei der zehn interviewten Piloten, die nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft seine Aussagen widerrief. Hatte er gegenüber H&S bedauert, „unschuldige Menschen zu töten“, so erklärte er in dem Streifen von Hasso Bräuer „Agentengeschichten, die Geschichten von den ‚Piloten im Pyjama‘!“ (1996) „es war „notwendig, dass wir dort waren“, und „ich würde es wieder genauso machen“. Oberleutnant Alvarez behauptete, er sei dazu gezwungen und geprügelt worden.
Großes Interesse der Westmedien
Als H&S noch vor der DDR-Premiere ihres vierteiligen Films
im Oktober 1967 ihre erste Reportage darüber veröffentlichten, wurde diese u. a. von „Life“, „Paris Match“ und „Stern“ übernommen. „NBC“ strahlte Filmbilder in der Hauptsendezeit des Abends für ein 40-Millionen-Publikum aus. Dem Sonderbeauftragten des USA-Präsidenten für die Gefangenen in Vietnam, Botschafter Averell Harriman, fiel nichts Dümmeres ein, als danach zu erklären, die Zuschauer seien „Zeuge einer großangelegten Fälschung“ geworden.
Die Interviews erschienen unter dem gleichnamigen Titel auch als Buch im Verlag der Nation, Berlin (DDR) 1967.