Seit nunmehr eineinhalb Monaten ist der Waffenstillstand in Gaza in Kraft und die 100.000 Bewohner, deren Häuser zerstört wurden, verbringen ihre meiste Zeit damit, hinter humanitärer Hilfe her zu rennen, vor allem hinter Lebensmitteln und Medikamenten .Diese Hilfe kommt jetzt allmählich an, aber sie bleibt angesichts des Bedarfs lächerlich, und im Augenblick kommen die Baumaterialien nur tröpfchenweise durch, weil Israel für alle Frachtgüter für den „zivilen“ Wiederaufbau einen Verwendungsnachweis verlangt. Gemäß eines Mitte September geschlossenen dreiseitigen Vertrags (UNO, palästinensische Autonomiebehörde und Israel) sollte diese Kontrolle von nun an durch die UNO erfolgen…
Israel auf der Anklagebank
Während Netanjahu gehofft hatte, aus der Schwächung der Hamas Nutzen zu ziehen, hat sich der Krieg als politische Niederlage für Israel erwiesen, zuvorderst im Inneren. Auch wenn der Krieg gegen Gaza die Popularität Netanjahus nicht geschwächt hat, findet doch die Mehrheit der Israelis (54%), dass sie den Krieg verloren haben. Nicht nur die Verluste der israelischen Armee (70 Tote und mehrere hundert Verwundete) waren außergewöhnlich hoch, sondern die Israelis werden auch seine exorbitanten Kosten tragen müssen, während die sozialen Unterschiede immer größer werden. Ein Viertel der israelischen Bevölkerung hat schon große wirtschaftliche und soziale Probleme.
Ein anderer beunruhigender Fakt für Netanjahu: die fortschreitende Abkehr seiner internationalen Unterstützer, insbesondere auf europäischer Ebene. Auch, wenn die französische Regierung Hollande-Valls ihm eine starke Unterstützung zukommen ließ, steht es heute nicht mehr in ihrer Macht, andere Staaten auf ihre Position zu bringen, da „die Stimme Frankreichs“ heute sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene gleichsam unhörbar geworden ist. Dazu erfordert die Stärkung der Beziehungen zwischen Frankreich und Saudi-Arabien eine diskretere Unterstützung, zumal Andere nicht mehr zögern, es seine pro-israelische Politik offen spüren zu lassen. So hat Kuweit gerade den französischen Konzern Veolia von einem umfangreichen Vertrag zur Müllentsorgung (in Höhe von 750 Millionen $) und von allen künftigen Verträgen ausgeschlossen und sich dabei explizit auf die Kampagne BDS(*) berufen! Wenn er noch auf die Unterstützung der USA zählen kann, so erwarten diese jedoch von Netanjahu, dass er Zugeständnisse macht und es akzeptiert, an den Verhandlungstisch mit der palästinensischen Autonomiebehörde zurück zu kehren. Das ist die Botschaft, die ihm Obama zu übermitteln versuchte, als er ihn aufrief „Fortschritte beim Status quo zu machen“. Mit ihrem anti-terroristischen Kreuzzug gegen den IS beschäftigt, haben die USA großes Interesse daran, dass der israelisch-palästinensische Konflikt nicht ihre Pläne torpediert.
Die palästinensische Autonomiebehörde geht gestärkt hervor
Aber vor Allem gegenüber den Palästinensern ist die Niederlage noch schmählicher. Entgegen seines machiavellistischen Kalküls musste sich Netanjahu einer einigen palästinensischen Widerstandsfront gegenüber sehen. 79% der Palästinenser sind der Ansicht, dass der palästinensische Widerstand den Krieg „gewonnen“ hat. Kurz und gut, die Legitimität der palästinensischen Autonomiebehörde ging daraus mehr als gestärkt hervor. Während die israelische Offensive das Ziel hatte, die Regierung der nationalen Einheit zum Scheitern zu bringen, wurde diese Regierung schließlich gebildet und eine innerpalästinensische Übereinkunft, die im September zustande kam, wird es der Regierung der palästinensischen Autonomiebehörde erlauben, ihre Macht im Gaza-Streifen zum ersten Mal seit der Machtergreifung der Hamas im Jahr 2007 vollständig auszuüben. Heute steht Israel nicht nur der Hamas, sondern dem ganzen palästinensischen Volk gegenüber, das mehr denn je entschlossen ist, seine Rechte, alle seine Rechte einzufordern. Ein Anspruch, den Mahmud Abbas unverzüglich mit einer diplomatischen Offensive bei der UNO zum Ausdruck brachte. In seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 30. Sept. hat er die israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete, einschließlich Ost-Jerusalems, heftig angeprangert. Er forderte das Ende dieser Besatzung und die sofortige Unabhängigkeit des palästinensischen Staates: „Die Besatzung muss jetzt aufhören, die Stunde der Unabhängigkeit Palästinas ist gekommen.“ Indem er den palästinensischen Friedensplan vorstellte und das Dossier über die Regelung des Konflikts mit Israel in die Hände der UNO zurückgab, versucht er, die Hegemonie der USA über den Friedensprozess zu beenden. Ein Diskurs, der eine regelrechte Schande für Netanjahu und die Amerikaner darstellt, um so mehr, als Abbas trotz des amerikanischen Drucks, insbesondere betreffs der Finanzhilfe, welche die palästinensische Autonomiebehörde erhält (jährlich 700 Millionen $), seine Entschlossenheit erklärte, vom Sicherheitsrat einen Endtermin für die israelische Besatzung zu fordern. Er erläuterte, dass im Falle eines amerikanischen Vetos gegen eine zukünftige Resolution über das Ende der israelischen Besatzung, er nicht zögern würde, alle Abkommen mit Israel noch einmal zu überprüfen, insbesondere die Sicherheits-Zusammenarbeit, und um die Mitgliedschaft Palästinas beim internationalen Strafgerichtshof zu ersuchen, was es ihm erlauben würde, die israelischen Führer wegen Kriegsverbrechen zu verfolgen. Sicher ist noch nichts unbestritten, aber nach 20 Jahren demütigender Verhandlungen haben die Palästinenser das Gefühl, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.
*) Kampagne BDS = campagne Boycott-Désinvestissement-Sanctions (Kampagne Boykott-Desinvestment-Sanktionen)
aus „La Forge“, Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs (PCOF), Okt. 2014