Der Bochumer IG-Metall-Vorsitzende Giesler zum „Sozialtarifvertrag“ für die Schließung im Dezember 2014:
„Mehr war nicht drin.“
Im vergangenen Jahr hatten die Opel-Belegschaft in Bochum als einzige Belegschaft der 4 Opel-Standorte in Deutschland den vorgelegten „Sozial“tarifvertrag mit einer deutlichen Mehrheit (75,1 Prozent) abgelehnt. „Soll ich etwa meine eigene Beerdigung beschließen?“ – das war die Meinung vieler Kolleginnen und Kollegen. Ihre Entscheidung fand in den Medien wenig Verständnis, aber sie hat sich als richtig erwiesen. Noch heute sagen viele von der bevorstehenden Werksschließung Betroffene: „Wir konnten damals gar nicht anders entscheiden.“ Bei diesem eindeutigen Ablehnungsergebnis hätte es nicht bleiben dürfen, eine sofortige Arbeitsniederlegung wäre richtig gewesen. Anzeichen der Bereitschaft zu solchen Aktionen gab es immer wieder in Bochum, doch sie wurden weder vom Betriebsrat noch von der IG Metall aufgegriffen – sie erfüllten die Aufgaben ihrer Auftraggeber… Nun darf der Betriebsrat lau Betriebsverfassungsgesetz nicht zum Streik aufrufen, aber er darf ruhig eine eine Informationspolitik betreiben, die die Kolleginnen und Kollegen auf eigene Gedanken zum Handeln bringt…
Vor der Schließung Ende Dezember 2014 gab es nun noch einmal Betriebsratswahlen. Man fühlt sich an Wilhelm Busch erinnert: „Jedes legt noch schnell ein Ei, und dann kam der Tod herbei.“ Diesmal ging es wegen der reduzierten Belegschaft um weniger Sitze, was zu einer Art Hauen und Stechen führte. Manche bisher zumindest angeblich betriebsratskritische Liste sah ihre Felle davonschwimmen und schlüpfte schleunigst unter die Fittiche der Einenkel-Liste WIR – „Groko“ läßt grüßen, so wird das auch von vielen Kolleginnen und Kollegen empfunden. Die Liste WIR erhielt durch diese Überläufer bei der BR-Wahl mehr Prozente als bei der letzten 2010 und feiert das als Sieg. Wir stimmen mit den Auffassungen der Liste „Offensiv“ nicht immer überein, freuen uns aber über ihren Erfolg bei den Wahlen, denn sie konnte ihre Stimmenzahl trotz kleinerer Belegschaft fast verdoppeln und zieht nun mit 3 statt bisher einem Sitz in den Betriebsrat ein.
Im Jahr 2004 hatte die Bochumer Belegschaft bei einem mehrtägigen „wilden“ Streik gegen den Abbau von mehreren tausend Arbeitsplätzen eine große Solidarität nicht nur in Deutschland erfahren. In diesem Streik trotzte sie der IG Metall und der Betriebsratsführung die Zusage ab, dass vor jeder entscheiden Maßnahme die Zustimmung der Belegschaft eingeholt wird. Beim beabsichtigten Verzicht auf das Urlaubs- und Weihnachtsgeld und die 4,2 % ausgehandelte Lohnerhöhung im Jahr 2009 mussten betriebsratskritische „Listen“ diese Befragung allerdings selbst organisieren und mit etwa 3000 in kürzester Zeit gesammelten Unterschriften den Betriebsrat zwingen, vor das Arbeitsgericht zu ziehen. Nach einigem juristischen Hickhack zahlte Opel Deutschland dann sogar vor dem ersten Prozesstag den Opelanern aller deutschen Standorte die ihnen zustehenden Gelder aus und in Bochum erntete bei der nächsten Betriebsratswahl der BR-Vorsitzende Einenkel auf dem Feld, auf das ihn die etwa 3000 Opelaner gezwungen und wo andere gesät hatten.
Aus Schaden wird man klug, das gilt leider auch für die Unternehmerseite. Für die jetzt für Ende 2014 geplante Schließung des Werkes in Bochum wurde die Belegschaft gar nicht erst gefragt. Es wurde eine sog. „Informationsveranstaltung“ durchgeführt; da das Opelwerk in Bochum (noch…) ist, sollte man eigentlich annehmen, diese Veranstaltung würde auch in Bochum stattfinden, entweder auf dem Werksgelände oder in der Jahrhunderthalle; doch sie fand in Dortmund in der Westfalenhalle statt. Den Kollegen wurde dafür den Montag über arbeitsfrei gegeben, auch denen, die nicht zur „Informationsveranstaltung“ kommen wollten. Ihnen wurde mitgeteilt, dass es keinen Lohnabzug für diese Zeit geben werde…
An diesem Montag war schönes Wetter und der Weg nach Dortmund ist weiter als der zur Jahrhunderthalle in Bochum – trotzdem kamen etwa Zweidrittel der Belegschaft, um sich beim Betreten der Halle den von Opel und IG Metall bereits unterzeichneten Text des „Sozialtarifvertrags“ in die Hand drücken zu lassen – ein Papier von etwa 16 Seiten, in dem immer wieder auf zahlreiche „Anhänge“ verwiesen wurde, die die Kolleginnen und Kollegen aber nicht erhielten und wohl bis heute nicht kennen. Zeit zum Durchlesen wurde ihnen natürlich nicht gegeben, wozu auch? Und an eine Abstimmung war auch nicht gedacht: Sinngemäß wurde ihnen mitgeteilt: „Mehr war nicht drin. Wir wollten Euch nicht vor die Entscheidung stellen, die Stilllegung beschließen zu müssen.“ Das kommt einem doch irgendwie bekannt vor – da werden glatt die Argumente der Kolleginnen und Kollegen bei der vorherigen Abstimmung nun gegen sie angewendet.
Bochumer Opelaner betrachten diesen Sozialtarifvertrag als Zustimmung der Gewerkschaft zur Betriebsstilllegung – es geht nur noch um das Wie. Von einer Gewerkschaftsführung sollte man eigentlich erwarten, dass sie gegen eine Betriebsstilllegung ist, so setzen sich ja in anderen Ländern manchmal sogar sogenannte gelbe Gewerkschaften ein. Dieser Vertrag, der bis kurz nach der „Informationsveranstaltung“ nur für IG-Metall-Mitglieder galt, ist inzwischen sowohl von der IG-Metall-Führung als auch dem Betriebsratsvorsitzenden Einenkel unterschrieben und, soweit wir das beurteilen können, damit rechtskräftig. Einziges Hintertürchen ist vielleicht die bis zu 3 Jahre dauernde Transfergesellschaft; unklar ist nämlich, wer dann die Kosten des 2. bzw. 3. Jahres (nur noch 75 % des bisherigen Lohnes) übernimmt. Das müsste wohl Opel sein und die werden sich vor diesen Kosten drücken und die Betroffenen drängen, eine „zumutbare“ Arbeit anzunehmen.
In vielen Medien wurde der „Sozialtarifvertrag“ als Erfolg gefeiert und er ist zumindest in einigen Punkten besser als der vor einem Jahr abgelehnte. So werden jetzt in die Berechnung der Abfindung 24 Arbeitsjahre einbezogen statt vorher 20 – auch gibt es für jedes weitere vollständige Arbeitsjahr zusätzliche 500 €, was viele Opelaner aber als Hohn betrachten. „Mehr ist denen unsere Arbeit und Gesundheit nicht wert?“
Die Opelaner erhalten eine mit anderen Betrieben verglichen gute Abfindung – die haben sie sich aber in langen Jahren erkämpft. Medien verkünden auch, die Abfindung sei bei 250.000 € gedeckelt – eine stolze Summe. Verschwiegen wird allerdings, dass diese Summe nur von etwa einer Handvoll der Beschäftigten erreicht werden kann mit einem Lohn von mindestens 5.800 €.
Inzwischen schreitet der Abbau voran. Kollegen berichten, dass funktionsfähige Maschinen, Mobiliar, Werkzeug auf dem Müll entsorgt werden. In einer noch arbeitenden Abteilung wurde zur Behebung eines Schadens ein Gerät benötigt und sollte „mal eben“ geholt werden – das ging nicht, es war bereits auf dem Müll gelandet; also musste ein neues Gerät gekauft werden und wird dann bald ebenfalls auf den Müll geworfen.
Nun könnte man ja auf die gute Idee kommen: „Das haben die weggeschmissen, geht aber noch, das nehm ich mit.“ Tja, Kollege, Pech gehabt – jetzt bist Du Deine Abfindung los, denn so steht es im Sozialtarifvertrag…
Viele Nochbeschäftigte werden derzeit zu ihrer Ausbildung widersprechenden Tätigkeiten eingesetzt oder zumindest wird das versucht. So sollen sie (auch Ältere unter ihnen) Kisten in andere Räume schleppen, nicht nur eine. Als ein Kollege dazu nicht gleich bereit war, wurde er gefragt, ob er die Arbeit verweigern wolle – das hätte dann zur Folge, dass er… Nein, der Kollege wollte die Arbeit nicht verweigern. „Ich mache das einen Tag, und was dann am nächsten Tag ist, ist ja klar“ – eine Krankmeldung nämlich. Die übrigen in seiner Gruppe reagierten ähnlich, sodass das schon angefahrene Transportunternehmen unverrichteter Dinge wieder abfahren musste.
Werk 3 gehört heute zumindest offiziell nicht zu Opel, sondern zu Neovia; dort soll allerdings General Motors ebenfalls den einen oder anderen Finger drin haben. Als positiv wird gewertet, dass dort 265 Opelaner zumindest bis 2020 übernommen werden sollen, angeblich neue Arbeitsplätze. Doch das hat auch einige Haken. Ein gekündigter Opelaner könnte auf die Idee kommen, sich dort zu bewerben, doch dort werden nur bestimmte Berufe gesucht und die meisten Stellen sollen schon unter der Hand vergeben sein. Außerdem erfolgt die Einstellung nicht nach Opel-Bedingungen, sondern sie kann eine Einstufung um bis zu 3 Lohngruppen tiefer bedeuten. Damit nicht genug: es werden wohl nicht 265 neue Arbeitsplätze bei Neovia geschaffen, sondern ein Teil bereits bestehender Arbeitsplätze wird durch die Entlassung von Zeitarbeitern freigemacht.