Die Geschichte kennen, um die herrschende Ordnung in Frage zu stellen

Am 18. März 1871 war der Beginn der „Pariser Commune“. Die Arbeiter und kleinen Leute von Paris stürzten die Bourgeoisie und ergriffen die Macht. Anlässlich dieses Jahrestages erschien in „La Forge“, der Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs, folgender Artikel auf der Jugendseite (gekürzt).

 

„Die herrschenden Ideen einer Epoche waren immer die Ideen der Herrschenden.“ Diese Feststellung von Marx und Engels im Manifest der Kommunistischen Partei gilt im Besonderen für die Geschichte, wie sie in den Schulen und Universitäten gelehrt wird.

Die erste Frage ist eine Frage des Wissens: nicht zu vergessen, nicht die „Revisionisten“ aller Art die Lehren der Vergangenheit ziehen zu lassen. Das ist die Grundlage, um den kritischen Geist zu schmieden, die Resignation, die „ewig gültigen Ideen“, „die unveränderliche Ordnung“ der Dinge zu bekämpfen.

Eine andere Frage berührt die Vorstellung der Geschichte selbst. Ist sie das Ergebnis des Klassenkampfes oder das Werk großer Männer? Je nach der gemachten Vorstellung bringt man das Volk entweder dazu, sich auf einen zufälligen Menschen zu verlassen, oder man entwickelt das Bewusstsein, dass die Bewegungen des Volkes die Dinge verändern können.

 

Die „vergessene“ Geschichte

 

Ganze Teile der Geschichte der Arbeiterbewegung und des Kampfes der Völker werden vertuscht, manchmal kaum gestreift, ein anderes Mal entstellt.

Die Geschichte der Commune von Paris wird sehr selten gelehrt. Von Jules Ferry (1) erfährt man, dass er die Schulpflicht eingeführt hat, nicht, dass er Kolonialist war und dass in den Schulbüchern der 3. Republik die Rassentheorie Gobinots gelehrt wurde! General De Gaulle nennt man „den Mann, der Frankreich befreit hat“. Man sagt nicht, dass er 1958 der Mann „des fortwährenden Staatsstreichs“ gewesen ist, die mit der reaktionären Verfassung der 5. Republik ermöglicht wurden. Und in den 60er Jahren war er der Pate des Neokolonialismus. Vom Mai 1968 berücksichtigt man nur die Revolte der studentischen Jugend und verschweigt die Streiks der Arbeiter. Die ideologischen Debatten und die revolutionären Kämpfe dieser Epoche werden oft auf die Irrtümer der „linken“ Jugendlichen, einer kleinen Zahl von Kronzeugen wie Cohn-Bendit, reduziert!

In einer Zeit, in der die Jugend aus dem Volk die volle Wucht der Sparpolitik und die perverse Logik des Marktes und der Konkurrenz zu spüren bekommt, ist der Platz, den das „Nationalkomitee des Widerstands“ im Geschichtsunterricht einnimmt, nicht unwichtig! Die Schritte seines Programms zu kennen, die bei der „Libération“ (Befreiung vom Faschismus) in Kraft gesetzt wurden (Sozialversicherung, Verstaatlichungen…),  zu verstehen, wie und in welchem Maß sie durchgesetzt werden konnten, verhilft dazu, eine Meinung und einen Maßstab dafür zu haben, damit die Vorstellung, die Sozialabgaben seien „Lasten“ und die Unternehmen müssten ihre Anteile der Sozialversicherung nicht zahlen, nicht als unumstößliche Tatsache akzeptiert wird!

 

Die Kolonialgeschichte

 

Sie war nie klar in die Lehrprogramme aufgenommen worden und das Gesetz über die positive Rolle der Kolonisation, das die Rechte 2005 verabschieden ließ, hat nichts geregelt. Die Befreiungskämpfe der kolonisierten Völker können jedoch nicht, wie es sehr oft bezüglich des Algerienkrieges geschieht, auf „Gräueltaten von beiden Seiten“ reduziert werden. Bücher wie das von Niels Andersson „Widerstand gegen den Algerienkrieg“ geben Zeugnis vom Widerstand der Jugendlichen aus dem Volk gegen den kolonialistischen Algerienkrieg, von der Weigerung, die Waffen gegen die FLN zu erheben, von der Verteidigung verurteilter Kämpfer, von der Verteilung verbotener Texte… Es gibt so viele Handlungen, die den heutigen Geist des Widerstands nähren, wie die Aussagen der Zeitzeugen, die Bücher und Filme über die Mobilisierung der Arbeiter und der Gewerkschaften gegen den Indochinakrieg, die lange Zeit verboten und oft vergraben waren. Wir müssen sie bekannt machen, denn diese Geschichte ist im Lehrmaterial des offiziellen Schulsystems weitgehend nicht vorhanden. Jedoch es hilft, der ideologischen und politischen Ausrichtung zu widerstehen: jener zum Beispiel, die heute hinsichtlich der Militärinterventionen des französischen Imperialismus in Mali und Zentralafrika stattfindet.

 

Klassenkampf und Schock der Zivilisationen

 

Seit etwas mehr als 20 Jahren hören wir regelmäßig vom „Schock der Zivilisationen“. Die Konflikte werden nicht mehr als Konflikte zwischen Reichen und Armen oder beherrschenden Ländern (Imperialisten) und beherrschten, sondern als Konflikte zwischen verschiedenen kulturellen oder religiösen Entitäten, zwischen Orient und Okzident, Islam und Christentum usw. angesehen. Diese Ideologie, die ganz klar von Bush in seinen berühmten Reden nach den Attentaten vom 11. September 2001 ausgebreitet wurde, findet sich in der bekannten Rede Sarkozys in Dakar wieder, als er beteuert, dass „der afrikanische Mensch noch nicht in die Geschichte eingetreten“ sei.

Man findet sie in den Werken wie denen Emmanuel Brenners „Die verlorenen Gebiete der Republik“ wieder, wo der Autor andeutet, dass die Konfrontation zwischen der islamischen Welt und der („jüdisch-christlichen“) westlichen Welt alt ist, dass sie sich „im Bewusstsein der Völker abgelagert hat“ und dass „Frankreich acht geben muss, dass es nicht seine Seele verliert“. 2003 publiziert, heißt es, dieses Buch hätte den damaligen Erziehungsminister, Luc Ferry, stark inspiriert, und er hätte nicht gezögert, die linken Lehrer für die Ausbreitung des Antisemitismus an den Schulen verantwortlich zu machen! Nicht erstaunlich, dass die Dieudonnés (2) heute diese Konfusion ausspielen können, um sich als Systemkritiker darzustellen.

 

(1)     Jules Ferry: Ministerpräsident und Minister der 3. Republik (1871-1940) aus dem linken republikanischen Lager.

 

(2)    Dieudonné: Komiker, Schauspieler und politischer Aktivist. Ursprünglich im linken politischen Spektrum tätig, wandte er sich zunehmend antizionistischen und antisemitischen Positionen zu und gilt als prominenter Vertreter des Rechtsextremismus.

 

(Anmerkungen nach Wikipedia)