Der Vertreter eines Teils der ukrainischen Oligarchen, der ins russische Exil vertriebene Ex-Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch, hat den Ukrainer/innen massiv mit seiner korrupten Politik geschadet. Aber er hat eine richtige Entscheidung gefällt: den Assoziierungsvertrag zwischen der EU und der Ukraine nicht zu unterzeichnen.
Dieser Schritt führte zu dem von der EU, den USA und speziell von Berlin unterstützen Kiewer Umsturz, den die ukrainischen Faschisten anführen.
Diese Entscheidung der ehemaligen ukrainischen Janukowitsch-Regierung ist und bleibt gut begründet. Dieses Abkommen muss mehr als kritisch unter die Lupe genommen werden.
Das Abkommen mit der Ukraine ist nach offizieller Sprachregelung der EU und seiner ukrainischen Unterstützer „ präzedenzlos ambitioniert und umfassend“. Hier eine vielsagende Stellungnahme des EU-Parlaments, in der auch „unumkehrbare Reformen“ (!!) von der Ukraine gefordert werden: Mit dem Assoziierungsabkommen mit der Ukraine entstehe eine neue Generation von Assoziierungsabkommen, das einen bisher ungekannten Grad der Integration zwischen der EU und einem Drittland beinhaltet. Die Verhandlungen mit der Ukraine seien die am weitesten fortgeschrittenen Verhandlungen in der östlichen Nachbarschaft und dienten als Beispiel für die gesamte Europäische Nachbarschaftspolitik. So steht es sinngemäß in der „Entschließung des Europäischen Parlaments vom 1. Dezember 2011 …zu den Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen EU-Ukraine“. (Quelle: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2011-0545+0+DOC+XML+V0//DE)
Der deutschsprachige ukrainische Pro-EU-Propaganda-Blog www.ukraine-nachrichten.de jubelt, dass durch das Abkommen „der Prozess der politischen Assoziation und der wirtschaftlichen Integration zwischen der Ukraine und der EU in die Wege geleitet und die Modernisierung unseres Landes nach europäischen Standards zu unserer juristischen Verpflichtung gemacht wird“.(http://ukraine-nachrichten.de/sieben-mythen-%C3%BCber-assoziationsabkommen-zwischen-ukraine-eu_3703_politik)
Dieser Satz ist als Jubelhymne gedacht. Trotzdem macht er in wenigen Worten klar, worum es Berlin, Brüssel, den westlichen Imperialisten geht: Die Ukraine wird juristisch verpflichtet! Schon diese drei Wörter verraten: in Wirklichkeit wird ein ziemlich einseitiges Verhältnis etabliert. Die Ukraine wird juristisch verpflichtet, ihre Märkte, das ganze Land für die EU zu öffnen. Wie weit die EU sich öffnet, wird in dem Abkommen haarklein und im Einzelfall eng definiert.
Zu was soll die Ukraine in diesem Rahmen verpflichtet werden?
Zu einem Prozess
* der politischen und militärischen Assoziation,
* der wirtschaftlichen Integration zwischen der Ukraine und der EU und
* der Modernisierung des Landes nach europäischen Standards.
Politische Assoziation
Die Europäischen Union und die Ukraine andererseits „vertiefen“ laut Artikel 7 des Abkommens „ihren Dialog undihre Zusammenarbeit und fördern die schrittweise Zusammenführung ihrer Außen und Sicherheitspolitik, einschließlich ihrer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik…“(Quelle – englisch! – auch bei weiteren Zitaten aus dem Abkommen: http://eeas.europa.eu/ukraine/assoagreement/assoagreement-2013_en.htm; eigene Übersetzung).
Hier wird gleich einer der Gründe für die derzeit sich stündlich verschärfende Krise klar: Dieser Grundsatz kann nur verstanden werden als die immer weiter gehende Integration der Ukraine in die imperialistischen Bündnisse der EU und vor allem der NATO („gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“!). Das ist eine Kampfansage an Russland, den imperialistischen Gegenspieler, dem hier angekündigt wird, dass die Ukraine, bisher Russlands schwankender Verbündeter, zum militärischen Gegner in der imperialen Konkurrenz aufgebaut wird! Das ist übrigens keine Theorie! Schon jetzt sind ukrainische Truppen in der Nato-Mission in Afghanistan dabei!
Klar, dass die ukrainischen Faschisten um Tjagniboks Swoboda-Faschisten, die dem Kiewer Umsturz sein extrem nationalistisches, antirussisches Gesicht geben, sich für dieses Abkommen schlagen. Es geht ja gegen das verhasste Russland!
Die ukrainische Bevölkerung findet sich allein aufgrund solcher Zielsetzungen des Abkommens mitten in einer, wie man gerade aktuell an den Fakten sehen kann, brandheißen imperialistischen Auseinandersetzung, deren Folgen vor allem sie selbst zu tragen hat!
Wirtschaftliche Integration zwischen der Ukraine und der EU
Im neoliberalen EU-Sprech liest sich das so: Artikel 343 des Abkommens fordert von der Ukraine: „ … eine funktionsfähige Marktwirtschaft zu etablieren und ihre Politik schrittweise der entsprechenden Politik der EU annähern – in Übereinstimmung mit den Leitprinzipien gesamtwirtschaftliche Stabilität, gesunde öffentliche Finanzen und ein nachhaltiges Zahlungsbilanz-Gleichgewicht…“.
Einige Bemerkungen zu hier angesprochenen Themen:
Gesunde öffentliche Finanzen!
Dafür kommt niemand anderes auf als wir Steuerzahler! Im Fall der Ukraine die sowieso schon vielfach verarmten Ukrainer, mit Ausnahme der Reichen, der Oligarchen, die ihre Kapitalien und Profite außer Landes schaffen.
Schon jetzt steht fest, dass IWF-Chefin Lagarde die Milliarden, um die die neue Regierung in Kiew als Hilfe nachgesucht hat, nur unter harten Auflagen freigeben wird: Welche Staatsausgaben, welche Sozialleistungen bzw. öffentliche Dienstleistungen, welches Geld für Kulturhäuser kann man streichen? Müssen Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten bezuschusst werden? Warum arbeiten die nicht kostendeckend, warum tragen nicht die einfachen Menschen die Kosten? Die Armen zahlen!!
Das Thema gesunde öffentliche Finanzen stünde ab sofort direkt auf der Tagesordnung, wenn es nicht durch die aktuelle Kriegsgefahr in den Hintergrund gerückt würde! Eigentlich soll am Montag, dem 3. März 2013 schon eine EU-Delegation genau zu diesem Thema nach Kiew zur neuen Regierung kommen. Da gelten die im Abkommen festgeschriebenen Grundsätzen auch ohne Unterschrift!
Nachhaltiges Zahlungsbilanz-Gleichgewicht!
Das heißt: Gleichgewicht zwischen Importen und Exporten von Waren und Dienstleistungen. Die EU fragt mit diesem Abkommenstext schon vor der Unterzeichnung: Kann die Ukraine ihre Importe mit Exporten bezahlen? Sind also Industrie und Wirtschaft der Ukraine überhaupt exportfähig bzw. wettbewerbsfähig? Und wenn Nein – davon geht man sowieso aus – wie wird sie es? Die Antwort ist nur zu bekannt: Lohnsenkungen, Durchrationalisierung, Entlassungen ohne Ende. Und zwar in den wenigen ukrainischen Industrien, denen man überhaupt eine Chance zubilligt, wettbewerbsfähig zu werden. Wo man diese Chance nicht sieht, heißt es gleich: Weg mit dem alten Schrott, Schließung der Buden! – Pech gehabt, liebe Ukrainer, die Ihr so engagiert für das EU-Assoziierungsabkommen gekämpft habt!
Aber – so wird vielfach eingewandt – so böse kann doch die EU nicht sein, sie verspricht doch den Geist der Freiheit, der Menschenwürde usw. So sollen wir denken! Aber diese Worte, die zigfach in dem umfangreichen Abkommenstext gebetsmühlenartig wieder holt werden, sie zählen nur wenig, wenn es um Wirtschaft und Profite geht!
Artikel 1 des Abkommens legt unter Absatz 2, Punk (d) fest:
„Ziel der Assoziierung ist es,…
(d) die Bedingungen zu schaffen für den Ausbau von Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, die zu schrittweiser Integration der Ukraine in den EU-Binnenmarkt führen, wobei eine vertiefte und umfassende Freihandelszone aufgebaut werden soll …“
„Vertiefte und umfassende Freihandelszone“ heißt: Liberalisierung des Warenhandels, freier Handel mit Dienstleistungen, Bewegungsfreiheit fürs Kapital!
Das Abkommen betont, die vertiefte und umfassende Freihandelszone gelte natürlich auch für Waren- und Kapitalströme der Ukraine in Richtung EU. Klar ist aber: Real werden billige EU-Waren und -Investitionen den ukrainischen Markt überschwemmen.
Wenn die Zollvergünstigungen, die Russland heute noch der Ukraine gewährt, erhalten blieben, würden diese Ströme auch in den russischen Markt weiterwandern. Also würde Russland Zollschranken gerade gegenüber der Ukraine errichten. Diese verlöre zumindest einen Teil ihres heutigen Marktes, wie damals die Reste der DDR-Wirtschaft im Osten!
Nicht die Ukraine, sondern die wettbewerbs-optimierten Wirtschaften der EU, voran Deutschland werden zu Nutznießern. Deutschlands Kapitalisten würden zu Hauptprofiteuren einer solchen Entwicklung. Klar also, warum Frau Merkel und ihre Leute so hinter der ukrainischen „Opposition“ stehen. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt! Bezahlen aber werden eine solche Entwicklung die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Angestellten, die Erwerbslosen, die Rentner/innen der Ukraine.
Die so genannte Arbeitnehmerfreizügigkeit
Artikel 18 des Abkommens erlaubt eine eingeschränkte Freizügigkeit für Arbeitnehmer. Demnach bestimmen die Mitgliedsstaaten nach ihrer jeweiliger Arbeitsmarkt- und Gesetzeslage, ob und in welchem Umfang ukrainische Arbeitnehmer sich um Beschäftigung bemühen dürfen, was dann in einem Abkommen zwischen dem interessierten Mitgliedsstaat und der Ukraine geregelt werden soll. Auch hier fällt wieder die Einseitigkeit auf. Da schon jetzt die Arbeitslosigkeit in der Ukraine hoch ist und ihr weiteres Ansteigen zu befürchten ist, können die EU-Länder die Bedingungen nach ihrem Gusto diktieren. Was das in Deutschland bedeutet, können wir in der aktuellen politischen Debatte studieren: Entweder billigste Arbeitskräfte für die dreckigsten Jobs zu übelsten Bedingungen, oder aber der „Braindrain“: Die in der Ukraine vorhandenen, gut qualifizierten Facharbeiter , Ärzte, Ingenieure, IT-Leute werden geholt – als Lohndrücker, so dass man sich die Investitionen in hiesige Erwerbslose oder Jugendliche sparen kann. Siehe die Hetze gegen die Kolleginnen und Kollegen aus Bulgarien, Rumänien, Griechenland, Spanien! Das wird auch die Zukunft mit einer assoziierten Ukraine so bringen, nur dass hier Deutschland oder andere EU-Staaten viel stärker eigene Interessen durchsetzen können. Mit Sicherheit geschieht das nicht im Interesse der arbeitenden Menschen unserer Länder – im Gegenteil!
Europäische Standards?
In der Realität der EU ist das eine nackte Drohung gegen alle, die innerhalb und (noch) außerhalb der EU von Arbeit und Lohn leben müssen! Die griechischen, die spanischen und portugiesischen Kolleginnen und Kollegen, ihre Völker, speziell die Jugend, die Rentner/innen – sie müssen gerade am eigenen Leib erfahren, was „europäische Standards“ bedeuten. Erfahrene Arbeiter/innen und Angestellten auch in Deutschland kennen ganz real, aus eigenem, oft leidvollem Erleben, deren Anwendung in Industrie, Logistik, Handel, in allen gesellschaftlichen Bereichen: Schrankenlose Kosteneinsparung auf unsere Kosten!
* Schließung unrentabler Betriebe oder Betriebsteile,
* Arbeitsplatzverlagerungen,
* Lohnsenkungen,
* immer längere Arbeitszeiten,
* stets wachsender Leistungsdruck, ins Unerträgliche verdichtete Arbeitsabläufe,
* rücksichtslose Flexibilisierung aller Arbeitsbedingungen, vor allem der Arbeitszeit,
* Billiglohnkonkurrenz durch Leiharbeit, prekäre Arbeitsverhältnisse, durch massenhaft organisierten Import „billiger“ Arbeitskräfte nicht zuletzt aus den faktisch zu Kolonien gemachten Ländern der EU.
Dazu kommen Steuererhöhungen, Beitragserhöhungen, Leistungskürzungen, Lohn- und Sozialraub, Hartz IV, Rentenkürzungen, Bildungskürzungen, Gesundheitswesen kaputt! Das ganze Programm – wir können es rauf und runter buchstabieren!
Diese Politik ist es, die die ukrainischen Kolleg/innen, unsere Klassengenossinnen und -genossen erwartet, wenn das Abkommen abgeschlossen wird. Aber da sie meist schon jetzt in skandalöser Armut leben, heißt das: Alles noch eine Stufe brutaler! Zahllose, auch große Betriebe werden zugemacht, hunderttausende Arbeitsplätze fallen weg, Hunderttausende Erwerbslose mehr! Noch mehr Armut!
Uns „im Westen“ erzählt man in unserem Alltag nicht so viel von europäischen Standards – nein, aber wir kennen sie, weil es eben die Standards in der EU sind, in der wir leben! Wir wollen nicht, dass die ukrainischen Kolleg/innen das noch verschärfter erleben müssen.
Man sieht: Es gibt gute Gründe für alle die Ukrainerinnen und Ukrainer, die jetzt gegen das EU-Abkommen kämpfen unter schwersten Bedingungen, unter der Bedrohung durch Faschisten! Ihnen muss die Solidarität ihrer Kolleg/innen in der EU, unsere Solidarität gelten!
Wir können das Abkommen so zusammenfassen:
* Zunehmende Spannungen international!
* Bewusstes Einkalkulieren der wachsenden Kriegsgefahr durch die EU, was man derzeit sehen kann!
* Bedrohung der Ukraine durch die Austeritätspolitik der EU!
Das können bewusst lebende, kämpfende Arbeiterinnen und Arbeiter, Angestellte niemals wollen.
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