Wenn ein Bahnbeschäftigter türkische Kollegen jahrelang immer wieder mit Aussprüchen terrorisiert wie „Hey, Ihr Kanaken, man müsste Euch erschießen“…“Ihr gehört vergast“. Und wenn er ihnen mit dem Hitler-Gruß gegenübertritt, dann ist das ein klarer Fall von faschistischer Hetze.
Aufgrund dieser Vorkommnisse schrieben Aydin und sein Kollege im März 2012 einen Beschwerdebrief an ihren Chef. Etwas später dann die Überraschung. Sie erhielten Strafbefehle wegen Verleumdung und wurden entlassen. Die Vorgesetzten der DB unterstützten den Rassisten als angebliches Opfer einer Verleumdung, obwohl sie wussten, dass dieser diese rassistischen Sprüche gemacht hatte.
Die Kollegen legten gegen die Strafbefehle Widerspruch ein. In der ersten Instanz gab der Mitarbeiter, der „Opfer der Verleumdung“ geworden war zu, dass er, wenn er sich aufgeregt hatte, gegenüber den beiden teilweise oben genannte Ausdrücke verwendet habe. Als dann auch noch ein Zeuge aussagte, dass der deutsche Mitarbeiter öfter den Hitlergruß verwendet habe, gingen die beiden von einem Freispruch aus. Doch weit gefehlt: Die beiden wurden vom Amtsgericht wegen Verleumdung zu einer Strafe von 40 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt. Der Kollege Aydin legte Berufung gegen das Urteil ein. Nun kam es zu einem zweiten Prozess vor dem Landgericht in Stuttgart.
Der zweite Kollege ging nicht in Berufung, sondern sagte vor dem Landgericht als Zeuge, einen zweiten Prozess würde er nervlich und in schwieriger familiärer Situation, dazu finanziell in großen Problemen und arbeitslos, nicht durchstehen. In eindrucksvoller Weise erklärte er, er habe kein Vertrauen in die Justiz, er habe erlebt, dass es keine Gerechtigkeit gibt. Auch der Kollege, der in Berufung gegangen ist, hat noch keine neue Arbeit und finanzielle Probleme. Das Urteil in der 1. Instanz hing damit zusammen, dass vermutlich Zeugen, die die Aussage des verklagten Kollegen stützen sollten, eingeschüchtert worden waren und nicht zu dem standen, was sie den Kollegen gegenüber gesagt hatten.
Die erste Sitzung am 5.12. war von türkischen und deutschen Kollegen und Kolleginnen gut besucht, was das Gericht wohl nicht erwartet hatte. Der Richter reagierte gereizt auf jedes Gemurmel und vernahm den beklagten Kollegen in schroffer Weise. Eine Kollegin aus dem Publikum verließ den Saal unter Protest mit dem Vorwurf, der Richter sei befangen. Erst bei der Vernehmung des deutschen Mitarbeiters scheint ihm der Verdacht gekommen zu sein, dass an den Vorwürfen des beklagten Kollegen etwas dran sein könnte. Nun werden Vorgesetzte geladen, bei denen sich der beklagte Kollege seiner Aussage nach jahrelang ohne Erfolg beschwert hatte.
Das Verfahren war ein Lehrstück darüber, wie ein rechts gestrickter Mensch aus Überzeugung rassistische Äußerungen macht, und wie er dann versucht, diese Äußerungen sowie den Hitlergruß umzudeuten und zu verharmlosen. Immer wieder sagte er, er habe seine Sprüche nicht beleidigend gemeint und sei nicht rassistisch gesinnt, musste aber einräumen, dass er einmal gesagt habe „ihr gehört erschossen oder vergast“. Von „Kanaken“ habe er nicht zu den betroffenen Kollegen gesprochen, sondern er habe das nur zu anderen über die beiden gesagt, so dass sie sich nicht beleidigt fühlen könnten.
Am 19.12.13 kam es dann zur zweiten Sitzung vor dem Landgericht. Nach den entlarvenden Aussagen des angeblich Verleumdeten sah sich der Richter gezwungen, weitere Zeugen zu laden. Immer deutlicher wurde, dass die Vorgesetzten den rassistischen Terror jahrelang gedeckt hatten. Der rassistische Täter wurden geschützt, seine Opfer entlassen. Das führte dazu, dass der Richter umschwenkte und deutlich dazu Stellung nahm. Er prangerte den Rassismus an und stellte das Verfahren ein. Das war ein Sieg der großen Solidarität.
Allerdings ist gegen den Täter und die Vorgesetzten, die ihn geschützt haben, bis heute kein Verfahren wegen Beleidigung oder Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole (Hitlergruß) eröffnet worden. Der Täter und seine ihm wohl gesonnenen Vorgesetzten haben weiterhin ihre Arbeit, während die beiden türkisch-stämmigen Kollegen arbeitslos sind und in finanzieller Not stecken.
Und natürlich stellt sich die Frage: Was für eine Unternehmenspolitik betreibt die Deutsche Bahn Service GmbH, dass ein Teamleiter gemeinsam mit dem Personalreferenten einfach entscheidet, dass der türkische Kollege, der sich über Beleidigungen beschwert, unglaubwürdig ist und dagegen der deutsche Kollege, der sagt: das ist mir mal rausgerutscht, war aber nicht so gemeint – als glaubwürdig gilt und ihm noch dazu offenbar nahegelegt wird, den türkischen Kollegen zu verklagen? Da der Personalreferent immer einbezogen war, kann sich die Firma nicht auf einen Fehler des Teamleiters herausreden. Zudem hat die Firma den Täter gedeckt und seine Opfer entlassen. Weiter fragt man sich, warum der Betriebsrat der Firma – es gibt einen – dies alles einschließlich der beiden Kündigungen geschehen ließ.
So zeigt das Verfahren, wie tief der Rassismus in dieser Gesellschaft verankert ist. Es macht deutlich, dass selbst in den Gewerkschaften (siehe die Haltung des Betriebsrates) Rassismus und Duldung des Rassismus eine Platz hat. Somit ist es eine tägliche Aufgabe, innerhalb der Arbeiter und Angestellten gegen Rassismus und Faschismus Stellung zu beziehen, Faschisten und Rassisten zu isolieren und eine Atmosphäre der Solidarität unter allen Kolleg/innen zu schaffen.