»In den letzten Jahren ist die politische Unterdrückung in der Deutschen Bundesrepublik Zug um Zug auf allen Gebieten erheblich verschärft worden. Es gibt in Westeuropa, abgesehen von Spanien (damals postfaschistisch – C.R.), kein einziges Land, in dem die politische Unterdrückung solche Ausmaße angenommen hat wie in der Bundesrepublik. (…) Die Zahl der von Berufsverbot betroffenen Lehrer und anderer Angehöriger des Öffentlichen Dienstes geht weit in die Hunderte« (»Roter Morgen«, 10. März 1978, S. 7<http://mao-archiv.de/Scans/BRD/VLB/RM/1978/RM_1978_10_07.jpg>).
Als die damalige KPD/ML 1978 diese Worte an die Jury und den deutschen Beirat des Russell-Tribunals richtete, war es bereits sechs Jahre her, dass der berüchtigte »Radikalenerlass«, der Kommunisten und andere Antifaschisten allein aufgrund von Gesinnung und Organisationszugehörigkeit durch Berufsverbote vom Öffentlichen Dienst in der BRD ausschloss, in Kraft getreten war. Heute, 35 Jahre später – nach insgesamt 10.000 Anwendungen – ist das Berufsverbot, wenngleich es längst nicht mehr so oft verhängt wird wie vor drei, vier Jahrzehnten, weiterhin eine scharfe Waffe in den Händen der Bourgeoisie; noch vor wenigen Jahren wurde, wenn auch erfolglos, versucht, ein Berufsverbot gegen den antifaschistischen Lehrer Michael Csaszkóczy zu erwirken.
Der junge Historiker Dominik Rigoll hat sich in seinem neuen Buch »Staatsschutz in Westdeutschland« mit der Berufsverbotspraxis ab Anfang der siebziger Jahre auseinandergesetzt. Er zog dabei historische Parallelen zu den »Berufsverboten«, »die ’im Zuge der Entnazifizierung gegen ehemalige Bedienstete des Dritten Reiches und andere NS-Funktionseliten ausgesprochen‘, aber bereits unter Adenauer wieder aufgehoben wurden – durch einen Erlass vom 19. September 1950«, der »unterstellte, dass die alten Nazifunktionäre politisch und fachlich geeignet seien, ihren Dienst in der neuen Demokratie zu leisten« (Rezension in: »Die Zeit«, 11. Juli 2013<http://www.zeit.de/2013/29/berufsverbote-radikalenerlass-1972/komplettansicht>).
»Wie aber«, heißt es in der Rezension der Hamburger »Zeit«, »konnte aus dem Blickfeld verschwinden, dass es ebenjene ’49er‘ (nach 1949 rehabilitierte Altnazis – C.R.) gewesen waren, die in den dreißiger Jahren geholfen hatten, ’die Erste Republik in ein Drittes Reich zu verwandeln‘? Ein ’antitotalitäres Narrativ‘ habe das ’antifaschistische Narrativ‘ von 1945 ersetzt, lautet Rigolls These«. Daher konnten die Herrschenden der BRD nach der Devise: »Nazis rein, Linke raus« handeln: »Die Rehabilitierung der Funktionseliten, die den Aufstieg Hitlers zu verantworten und den NS-Staat getragen hatten, sei eine enorme ’Verdrängungsleistung‘ gewesen. Mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen. Belastete und ’Mitläufer‘ saßen alsbald wieder in sämtlichen Institutionen, in Polizei und Justiz bis hin zum Bundesgerichtshof, und sie dachten natürlich anders über potenzielle Gefahren für Staat und Demokratie als jene, die unter den Nazis gelitten hatten. (…) Die einzige politische Gruppe, die weiterhin ’in aller Öffentlichkeit aus der NS-Belastung eines Beamten oder Richters dessen mangelnde Eignung ableitete‘, sollte mundtot gemacht werden«. Mit dem »Radikalenerlass« von 1972, so Rigoll, »wurde der antitotalitäre Konsens gegen die Einwände der Protestgeneration noch einmal mit aller Macht verteidigt. (…) Es sei ’Unrecht, was damals passiert ist‘«.
»Die Zeit« nennt Rigolls Forschungsbeitrag »einen eindrucksvollen Beitrag zur Mentalitätsgeschichte unserer Republik« – dabei lässt sich die »Totalitarismus«-Doktrin, die die Berufsverbote gegen Kommunisten und andere Antifaschisten »legitimierte«, leider nicht einfach in die Geschichtsbücher verbannen; vielmehr erlebt sie seit den tragischen Ereignissen 1989/91 eine neue Blütezeit. Rigoll gebührt das Verdienst, in Zeiten staatlich dekretierten Antikommunismus das Unrecht der antikommunistischen Berufsverbote mutig als solches benannt und verdeutlicht zu haben, dass die »Totalitarismus«-Doktrin, auf die sich die Väter des »Radikalenerlasses« beriefen und mit der Sozialismus und Faschismus als »totalitär« gleichgesetzt werden sollen, mit echtem Antifaschismus nichts gemein hat, sondern vielmehr als besonders perfides Repressionsinstrument der Antikommunisten dient.
CR