Die Menschenkette, die am 11. Mai die „Verteidigungszone“ von Notre-Dame-des-Landes umzingelt hat, war ein Erfolg. Sie hat gezeigt, dass das Mobilisierungspotential immer noch da war, und dass die jungen und weniger jungen, Bauern, Studenten, Rentner, Familien aus der Gegend von weiter her im gemeinsamen Willen verbunden sind, dieses teure, gesellschaftlich unnütze und aus ökologischer Sicht schädliche Projekt scheitern zu lassen.
Man hätte meinen können, dass die Entscheidung der Regierung, eine Kommission zu bilden, um zu versuchen, Zeit zu gewinnen, eine gewisse Demobilisierung bewirken würde; daraus wurde nichts und der Kampf vor Ort und in den Unterstützungskomitees, die es fast überall in Frankreich gibt, geht weiter, damit dieses Projekt eines neuen Flughafens schlicht und einfach aufgegeben wird.
Diese Erfahrung des Kampfes gegen ein staatliches oder regionales Großbauprojekt, dessen Nutzen für die große Masse der Bevölkerung absolut nicht ersichtlich ist, das sagenhafte Summen auffrisst und auch noch landwirtschaftliche Flächen kostet und Räume der Biodiversität zerstört – kann sie ein Modell sein?
Es ist sicher, dass das, was gerade in Notre-Dame-des-Landes passiert, viele der älteren unter uns an das, was in den 70er-Jahren in Larzac *) geschah, denken lässt. Der Widerstand der Viehhalter und der örtlichen Bevölkerung dieser Hochebene im Süden des Zentralmassivs, das sich die Armee unter den Nagel reißen wollte, hat sehr viele Menschen zusammengeschlossen und den Widerstand gegen ein autoritäres und militaristisches Projekt symbolisiert.
Augenscheinlich fand dieser Kampf der „Causse de Larzac“ in einem anderen Kontext statt als der jetzige. Heute erscheint der Bevölkerung die Tatsache, dass diese Großbaustellen zuerst und vor allem den Monopolen, den industriellen Großkonzernen und den Geldgebern der Bauwerke und der Logistik, die darin einen Segen für ihren Hunger nach Profiten finden, viel wichtiger. Die um sich greifende neoliberale Politik hat den Widerspruch zwischen den Interessen der großen Unternehmen, dieser Oligarchie, und der großen Masse der Bevölkerung, einzigartig in den Vordergrund geschoben. Im Fall von Notre-Dame-des-Landes handelt sich um „Vinci“, der betoniert, baut und den Flughafen betreiben will. Es ist auch dieser Zusammenhang von privaten Interessen und öffentlichen Geldern, der in dieser Mobilisierung angegriffen wird.
Dazu kommt eine immer größere Sensibilität für Umweltfragen. Das Zubetonieren landwirtschaftlicher und natürlicher Flächen für den Bau von Einrichtungen, deren Nutzen strittig ist, ruft den Protest von Menschen hervor, der sich nicht nur auf Umweltaktivisten beschränkt.
Wir berichteten in unserer Zeitung vom Kampf in Stuttgart gegen das Mega-Projekt des Bahnhofs, das in Wirklichkeit ein großes Immobilienprojekt ist, das von den großen Banken beherrscht wird, das auch dort die Bevölkerung der Stadt vereint hat, die weiterhin gegen dieses teure Projekt protestiert, das ohne Bezug zu den realen Bedürfnissen der Bevölkerung steht. Die Brutalität, mit der die Behörden auf diese Opposition geantwortet haben, die sehr breite Schichten der Bevölkerung umfasst, von denen noch viele keine Kampferfahrung hatten, erst recht nicht mit Zusammenstößen mit der Polizei, ließ sie nicht verstummen, ganz im Gegenteil.
Die Anwendung brutaler, unangemessener Polizeigewalt gegen den betreffenden Protest trägt auch oft zur Verstärkung und Verbreitung des Volksprotests bei. Das war bei Notre-Dame-des-Landes der Fall, wo zu Beginn der Besetzung die anwesenden Familien, durch die Gewalttätigkeit des Polizeieinsatzes empört wurden. Das hat sie nicht vom Kampf abgehalten, sondern im Gegenteil in ihrer Entschlossenheit, dieses Gebiet zu verteidigen, bestärkt. Man sieht heute, wie ein Projekt wie der Bau eines Einkaufszentrums im Gezi-Park nahe des Taksimplatzes im Zentrum von Istanbul eine Protestbewegung zusammenschließen kann, die sehr viel weiter geht als die Schonung der Umwelt! In der Tat ist es in diesem Fall der Autoritarismus einer antidemokratischen Regierung, gegen den von der Jugend, den Frauen, eines ganzen Teils der Bevölkerung protestiert wird, die darin das Mittel gefunden hat, sich in einer Protestbewegung gegen ein politisches Regime zu vereinen.
Aber es ist über diese Großprojekte hinweg auch ein Protest gegen eine Lebensweise, eine Gesellschaftsform: man will, dass wir Tag und Nacht konsumieren, während der Lebensstandard, die Kaufkraft der Mehrzahl von uns ständig sinkt. Man will Autobahnen bauen, um immer mehr Autos auf den Asphalt zu setzen, man baut riesige und luxuriöse Bahnhöfe und Flughäfen, um die Taschen des Großkonzerne zu füllen.
In Notre-Dame-des-Landes ist „Vinci“ im Visier, woanders wird es Bouygues sein oder ein anderer Baukonzern, hinter denen immer die Großbanken und ihre Immobilienabteilungen stehen.
Aber es wäre falsch, zu glauben, dass jegliches Großbauprojekt zum Brennpunkt eines Volksprotest werden könnte.
In mehreren Fällen stoßen die geplanten großen Bauprojekte auf widersprüchliche Interessen und in der Tat prallt der Protest, der aus einem bestimmten Gesichtspunkt berechtigt sein kann, auf einen Teil der Bevölkerung, für den die Bauarbeiten die Lebens- und Verkehrsbedingungen verbessern oder es erlauben würden, einer industriell vernachlässigten Region Arbeitsplätze zu bringen….
Notre-Dame-des-Landes ist nicht so einfach zu übertragen! Es müssen einige Bedingungen zusammenkommen, damit sich ein Volksprotest entwickelt und nationalen Charakter bekommt. Es ist notwendig, dass die Nützlichkeit des Projekt bezweifelbar ist, dass die Interessen der Konzerne, die damit zu tun haben, offenbar sind und vor allem, dass eine Einigkeit der Bevölkerung herzustellen ist. Dafür müssen die Interessen aller durch das fragliche Projekt in Frage gestellt sein. Denn es ist das Potential der Volkseinheit, dass den Erfolg des Protestes garantieren kann. Im Rahmen dieser Einheit kann auch der Widerstand gegen die neoliberale Politik und das Streben nach einem Bruch mit diesem System wachsen. Es ist die Rolle der fortschrittlichen Kräfte, der gesellschaftlichen Veränderung, daran zu arbeiten.
*) Der Kampf von Larzac war eine Bewegung des friedlichen zivilen Ungehorsams gegen die Ausweitung eines Militärlagers auf der Hochebene von Larzac, die ein Jahrzehnt, von 1971 bis 1981 andauerte und mit einem Sieg belohnt wurde, als der zum Präsident der Republik neu gewählte Francois Mitterand entschied, das Projekt aufzugeben.
Übersetzung aus „La Forge“, Zeitung der PCOF, Juni 2013, siehe www.pcof.net