Wenn „wir“ schon nicht Fußballweltmeister geworden sind, so scheint jetzt sicher dass Deutschland China von Platz 1 verdrängen wird und „wir“ 2012 „Titelträger“ sein werden. 2009 hatte China Deutschland mit Exporten im Wert von 1,2 Billionen Dollar überholt, das nur Exporte im Wert von 1,12 Billionen Dollar vermelden konnte.
2010 lag der Wert der Exporte Deutschlands bei rund 1,26 Billionen Dollar und im letzten Jahr stieg der Export auf 1,47 Billionen Dollar. Doch aussagekräftiger als die reinen Exportzahlen ist die Höhe des Handelsüberschusses.
Das Münchner Ifo-Institut hat im Auftrag der „Financial Times Deutschland“ berechnet, dass Deutschland 2012 vermutlich einen Handelsüberschuss von rund 210 Milliarden Dollar verbuchen kann. 2011 lag der Überschuss bei 220 Mrd. Dollar, wobei China lediglich 155 Mrd. Dollar vorweisen konnte.
Denn nur die Höhe des Handelsbilanzüberschusses oder Defizits kann über die internationale Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft eine klare Aussage geben. Den Titel „Exportweltmeister“ hielten die USA fast ununterbrochen bis zum Jahr 2002. Doch das Problem der größten Volkswirtschaft der Erde ist, dass die Importe höher sind als die Exporte. 2011 lagen die Exporte der USA bei rund 1,4 Billionen Dollar, doch im gleichen Zeitraum führten die USA Waren im Wert von rund 2,37 Billionen Dollar ein. Das Problem kennt jeder, der mehr Geld ausgibt als er hat. Es fehlt Geld, und diese Lücke kann nur durch massive Kapitalzuflüsse aus dem Ausland geschlossen werden. So betrug der Kapitalbedarf der USA allein in 2011 rund 800 Mrd. Dollar. Vor diesem Hintergrund versteht man die Initiative für den Abbau der globalen Ungleichgewichte, die US-Präsident Obama im März 2010 verkündete und die zum Inhalt, hat die Ausfuhren der USA innerhalb von fünf Jahren zu verdoppeln.
Und damit ist das erste Problem offensichtlich, denn die Idee, die Produktion hochzufahren, um dem Schuldental zu entkommen, ist ja nicht besonders originell. Der Kapitalismus kennt nur den Weg der Ausweitung der Produktion und Ruinierung der Konkurrenz. Es hat ja einen Grund, warum US- Bürger in großem Umfang ausländische Güter und Dienstleistungen nachfragen, die die US-Wirtschaft offensichtlich nicht selbst befriedigen kann. Und sollte es den USA mit Zöllen und Preisdumping gelingen, die Handelsbilanz in ihrem Sinn zu verbessern, dann wären die Verlierer nur auf der anderen Seite. Das ist eben das Problem mit Bilanzen, denn des einen Gewinn ist des anderen Verlust. Der Grund für Krisen und Kriege.
Selbst wenn man den Fokus einmal nicht auf die „Sorgenkinder“ Griechenland und Spanien legt, so zeigen schon die deutschen Überschüsse des Warenhandels mit anderen Ländern die Probleme auf: Frankreich 27 Mrd. Euro, Großbritannien 20 Mrd. Euro, Österreich 19 Mrd. Euro, USA 14 Mrd. Euro und so weiter (auf Basis der Zahlen von 2009).
Eine recht humane Lösung wäre ja, wenn „wir“ einfach im Gegenzug aus diesen Ländern mehr einführen würden. Gerade unsere südlichen Nachbarn sind als attraktive Urlaubsregionen bekannt, doch da stoßen wir auf das zweite Problem.
Der Titel „Exportweltmeister“ ist ein Pyrrhussieg. Denn er wurde vor allem über zu niedrige Löhne in Deutschland erkauft. Die deutsche Binnennachfrage ist dadurch so schwach, dass die deutsche Wirtschaft zum Export gezwungen wird. Und durch das niedrige Lohnniveau ist es eben den Werktätigen nicht immer möglich, ihren Urlaub in den besagten Ländern zu verbringen oder mehr Waren aus dem Ausland nachzufragen.
„Wir“ sind Exportweltmeister, weil die Zahl der regulären Arbeitsverhältnisse zurückgeht, weil die Zahl der Minijobs und der befristeten Stellen steigt. Weil sich die Zahl der Leiharbeiter in den vergangenen zehn Jahren auf jetzt 900.000 verdoppelt hat. Weil wir immer länger arbeiten müssen.
Wenn der gewaltige Überschuss den Werktätigen zukommen würde, dann würden wir auch etwas davon spüren, doch die Einkommenssituation verschlechtert sich kontinuierlich. Die Wirtschaftsforscherin Frederike Spiecker gibt an, dass die Reallöhne in den unteren Einkommensschichten in den letzten zehn Jahren um bis zu 25% gesunken sind.
Während die Bruttolöhne und -gehälter in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren um rund 22 Prozent stiegen, lag der EU-Schnitt allerdings bei 37 Prozent. Mit den deutschen Dumpinglöhnen werden so andere Volkswirtschaften ruiniert. Die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft erinnert schon an eine Zwangshandlung, die die Verarmung der einheimischen wie der ausländischen Bevölkerung fördert. Der Chefvolkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung UNCTAD, Heiner Flassbeck, kritisierte Deutschland: «Besonders tragisch ist, dass Berlin das noch immer als Erfolg feiert – dabei ist höchst ungewiss, ob das Ausland seine Schulden überhaupt zurückzahlen kann.» Flassbeck fügte hinzu: «Deutschland schießt sich mit seinem Geschäftsmodell ins eigene Bein.».
Womit Herr Flassbeck den eigentlichen Irrsinn anspricht. Man stelle sich vor, man geht so durch die Fußgängerzone und ein Ladenbesitzer fängt einen ab und bietet ein Bündel Geld mit der Bitte und Bedingung, dieses bei ihm auch auszugeben. Genau so funktioniert die Sache. Das Problem ist nur, dass das Geld nicht geschenkt, sondern verliehen wird. Damit die deutsche Wirtschaft nur recht viel produzieren kann, sorgt der Staat dafür, dass die eigentlich zahlungsunfähigen Kunden Kredite erhalten. So ist sichergestellt, dass zum Beispiel Griechenland reichlich Leopard Panzer kaufen kann.
Die Sache wird allgemein so dargestellt, dass eine gewisse Höhe der Schulden akzeptabel ist, wenn sie zum Beispiel 80% des Bruttoinlandsproduktes betragen. Im Prinzip ist das natürlich grundfalsch, denn ein Interesse an Schulden können nur die haben, die es auf die Zinsgewinne abgesehen haben. Doch die Deutsche Bank hat jetzt in einer Studie ermittelt, dass die Schulden Griechenlands 2013 sogar auf 150% des BIP steigen werden, selbst wenn alle Sparauflagen der EU befolgt werden.
Japan sieht auf den ersten Blick sogar noch problematischer aus, denn mit Schulden in Höhe von 200% zum BIP sind die Japaner deutlich höher verschuldet. Doch die Gläubiger sind zum größten Teil die japanische Bevölkerung selbst. Dadurch kommt es nicht zu einer Abhängigkeit vom Ausland. Die Deutsche Bank hat ausgerechnet, dass bei einem Zinssatz von 5 %, Griechenland einen Betrag von 6% der Wirtschaftsleistung ins Ausland transferieren müsste. So fließt ständig Geld ab und durch das Defizit Griechenlands kommt keines hinzu. Im Gegenteil, im Außenhandel beträgt Griechenlands Defizit weitere sieben Prozent der Wirtschaftsleistung. „Dies ist im Grunde das Problem, mit dem Griechenland konfrontiert ist“, betont Thomas Mayer von der Deutschen Bank. Wenn ausländische Anleger Griechenland kein Geld mehr leihen wollten, müsse das Land seinen Haushalt wieder ins Gleichgewicht bringen und einen Handelsbilanzüberschuss generieren, erklärt er.
Da ist der Rat von solchen Fachleuten, so richtig wie sinnlos, denn weder wird Griechenland einen Handelsüberschuss erzielen können, ohne die Importe einzuschränken, noch wird Griechenland seine Exporte einfach ausweiten können, da es nicht mehr über eine konkurrenzfähige Volkswirtschaft verfügt.
Nur eine Anhebung des deutschen Lohnniveaus würde zu einer Milderung der Krise führen, doch das würde die Profite der einzelnen Firmen negativ beeinflussen.
Und würde man die Verschuldung Griechenlands oder jedes anderen Landes bei scheinbar tragbaren Schulden in Höhe von 80% des Bruttoinlandsprodukt halten, so würden diese Länder in der bürgerlichen Presse bestimmt als „gerettet“ gefeiert werden. Aber man sollte sich vor Augen führen, dass sich bei Zinsen von 7% bis 8% die Schuld schon nach zehn Jahren verdoppeln. So fließen kontinuierlich unvorstellbare Vermögen der Volkswirtschaften an die Banken, ohne dass die Schulden jemals getilgt werden noch getilgt werden sollen.
Damit steht ein Gewinner des Systems fest, denn ohne die Banken könnten keine Handelsdefizite ausgeglichen werden. Die Werktätigen verlieren sogar doppelt, denn sie haften sowohl für die Staatsschulden, als auch für die Wetten, die auf Staatsanleihen abgeschlossen wurden.
Wenn die Verluste des einen die Gewinne des anderen sind, dann bleibt die Frage, wer noch von den deutschen Exportüberschüssen profitiert, denn die Staatskassen sind bekanntlich leer.
Der Redakteur Karl Weiss von der Berliner Umschau schätzt, dass durch die „Reformen“ der Regierungen Schröder und Merkel die großen Firmen heute pro Jahr 100 bis 150 Mrd. € weniger an Steuern zahlen müssen als während der Kanzlerschaft von Helmut Kohl. Heute können Firmen sogar Kosten für die Verlagerung von Firmenteilen ins Ausland in Deutschland geltend machen, während sie die im Ausland erzielten Gewinne nicht in Deutschland zu versteuern brauchen. Auch die Kosten für die Entlassung von Arbeitern und Kursverluste lassen sich in Deutschland von der Steuer absetzen.
Das System kann also nur in den Abgrund führen, denn ob die Gewinne der Konzerne in die Rationalisierung gesteckt werden oder bei den Banken landen, in jedem Fall wird sich die Krisenspirale beschleunigen, denn die einzige Verwertung ist letztendlich die Produktion. Der Glaube an ein unendliches Wirtschaftswachstum steht im Widerspruch zu der zunehmend verarmenden und arbeitslosen Arbeiterklasse, die sich die Güter nicht leisten kann. Es gibt also keinen Grund den Titel des „Exportweltmeisters“ zu feiern. Da wäre der Titel des Fußballweltmeisters wenigstens ein Grund zur Freude. (JT)